Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Hinweis: Ihre bisherige Sitzung ist abgelaufen. Sie arbeiten in einer neuen Sitzung weiter.
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext


rs; EEE:
Heft 10.

q.9



4





Illuſtrirte Familien-Zeitung.





Iahra. 1898.





_ zung mehrere Aerzte



wurde das beiderseitig





Fern im s üd.
Roman

von

Woldemar Urban.

(Fortſezung und Schluß.)



I- . (Nachdruck verboten.)
J [V Ü U ZBwanzigltes Kapitel. :
) [ \§ ie nicht anders zu erwarten war, hatten die
Untersuchungen des Präſidenten Don Jg-
nacio Lamiél gegen den Grafen Galvän
jeglichen Verdacht von diesem entfernt. Die
in Saragoſſa vernommenen Zeugen, nämlich
der Kutscher des Grafen, Pedro Sange-
raldo, und der Apotheker Alvarez, hatten deſſen An-
wesenheit in jener Stadt zu einer Zeit beeidigt, welche
die Annahme, daß der Graf zur Zeit, da Muñoz er-
mordet wurde, in Madrid gewesen ſein könnte, völlig

haltlos machte. Der Präsident hatte dann nichts weiter

zu thun gehabt, als den Grafen Galvän mit faſt unter-
würfiger Höflichkeit wegen der verursachten Unbequem-
lichkeiten um Entschuldigung zu bitten. Wenn dabei
Graf Galvän die Aeußerung fallen ließ, daß er im Juni
wieder in San Se-
baſtian weilen und sich
glücklich ſchäten würde,
alsdann den Herrn
Präsidenten bei ſich als
Gaſt zu empfangen, ſo



als eine willkommene
Gelegenheit aufgefaßt,
die ſo sonderbar be-
ZL
setzen, und niemand ſah
darin etwas anders,.
als einen Att landes-
üblicher Höflichkeit und
Gaſtfreundſchaft von
seiten Galväns. :
Trotzdemaberdiese
Angelegenheit für den
Grafen einen ſo be-
ruhigenden Ausgang
genommenhatte, wurde
das Befinden ſeiner
Schwester Pepita von
Tag zu Tag besorgnis-
erregende. Galvän
zog in seiner Beſtür-

zu Rate, die aber
nicht darüber einig

werden konnten, was dem jungen Mädchen eigentlich

fehle. Der eine gab Blutarmut an, der andere Neur-

H|ſthenie und ein dritter wieder ein anderes Leiden; ebenso
_ verſchieden waren natürlich die Heilmittel und Kuren,
welche die gelehrten Herren in Vorſchlag brachten.







s

In Wahrheit war der Zuſtand Pepitas eine durch
die Ereignisse, die sie hatte erleben müſsſen, ganz erklär-
liche Steigerung des Angstgefühls, das sie ſchon immer
empfunden hatte. Schwere Beklemmungen bedrückten
ihr Gemüt und machten sie ſchwermütig. Sie behauptete,
zu wissen, daß ihrem Bruder ein Unglück bevorstände,
aber sie konnte keinen vernünftigen Grund angeben,
weshalb sie das behauptete. Sie fühlte es, ſie ahnte
es, träumte in der Nacht davon, ſah ihren Bruder bald
eingekerkert im Sträflingsanzug, bald als schrecklich ver-
stümmelte Leiche am Rande eines Abgrundes, bald als
Gerichteten am Galgen ~ kurz, die fürchterlichſten Bil-
der stürmten auf ihr zartes, empfindſames Seelenleben

ein. Sie wagte gar nicht, irgend jemand davon zu er-

H CU pu ui Me 41.411 102
ſichte zu. Galvän lachte darüber, um ſie zu beruhigen,
aber auch dieses Lachen, so frei und natürlich es auch
knen mochte, erfüllte ſie mit neuer Angst, statt sie zu
eruhigen. :

higtn. ſeltſame Zustand konnte nur erklärt werden
durch den Umstand, daß Galvän und Pepita eben —

Geschwister waren. Die gemeinſame Abſtammung und

innerliche Veranlagung, man könnte sagen das geistige
Verwachſensein der Geschwister ließen Pepita, obgleich
das Leben so total verſchiedene Reſultate daraus gezeitigt,
doch erraten, was ihr Bruder dachte und that. Ihr

Brinz Heinrich XXX. Reuß j. L. und ſeine Braut, SBrinzeſſin JFieodora von Sachſen-Meiningen. (S. 235)

geistiges Auge, sozuſagen das Auge der verwandten
Schwesterſeele, sah ſchärfer als ihr körperliches, als alle
Augen der Welt; ihr Gefühl verriet ihr das Gefühl
des Bruders, als ob sie Zwillinge geweſen wären.





Jungfrau del Pilar, so kniete Pepita jetzt oft stunden-

lang in einer kleinen Kirche, die gegenüber ihrer Woh-

tft UL LEut ſut UU UU.
schweren Ledervorhängen, welche die Thüren abſchloſſen,
verſchwand und in das dämmerige Heiligtum eintrat,
so war ihr immer, als trete sie in eine andere Welt.
Jene Vorhänge waren ihr eine Scheidewand zwischen
Utz el tu Ju vu Saut. qu G. q
der Ruhe und des Friedens. Die Stille der Kirche,
das weihevolle Dunkel empfing sie wie eine Wohlthat,
und das Gebet war ihr in ihrer hilfloſen Jugend, in
ihrer abhängigen Schwäche eine Zuflucht für ihre Seele.
Sie fühlte innerlich den ausgleichenden, alle Wirrnisse
des Lebens auflöſenden Einfluß der Religion, der ihr
Kraft und Troſt in der höchſten Not verlieh.

Die Schwestern unserer lieben Frau von San Lucar
an der Kirche befand ſich ein Nonnenkloster — bemerkten
sehr bald die stille, einſame Beterin, die so oft auf den
Stufen des Altars lag. Die Oberin, eine frühere
Gräfin Delama, jetzt Mutter Maria, ſprach sie mehr-
mals an und redete ihr tröſtlich zu. Sie ſchien den
Gedanken zu hegen, daß Condeſa Pepita früher oder
später wohl einmal Neigung haben könne, in den Orden
der Schwestern unserer lieben Frau von San Lucar ein-
zutreten. Das war auch der Fall. Das geängſtete
Gemüt des jungen
Mädchens suchte im
Frieden des Kloſter-
lebens eine letzte Zu-

lich - grauſamen Ge-
wühl des Lebens. Sie
ſprach sogar mit ihrem
Bruder andeutungs-
weiſe darüber. Aber
Galvän wollte davon
nichts wissen, ſchalt sie
und hielt ihr vor, daß
sie mit den Jahren
wohl andere Jdeen
bekommen werde.
. Pepita bezwei-

felte es.

Eben kam sie aus
der Kirche nach Hauſe
und fand ihren Bru-
der in dem gemein-
samen Salon zum
Auzsgehen bereit, wie
gewöhnlich in höchſter
Eleganz, parfümiert
und eine kleine feuer-
roteRoſeim Knopfloch.

„Wohin willst du,
Galvän?“" fragte ſie
beſtürzt.

„O, ich habe einen ganzen Sack voll Geſchäfte zu
erledigen, wie du dir wohl denken kannst. Wenn nächsten
Monat meine Hochzeit gefeiert werden soll, und das

soll sie, so iſt noch eine Menge zu erledigen. Das kannst

Wie seiner Zeit in Saragoſſa vor dem Bilde der | du mir wohl glauben.“

flucht vor dem ſchmerzz-
 
Annotationen