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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1888

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Heft 1/2
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Gmelin, L.: Ein verlorener Kirchenschatz: Mittheilungen aus dem "Heilthumbuch" der St. Michaels-Hofkirche zu München
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https://doi.org/10.11588/diglit.7906#0006

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Seine Gemahlin (f {602) wetteiferte mit ihm in
Schenkungen und übermachte der Rirche u. A. auch „die
so reichen und auf 6000 fl. geschätzten Tapeten, so sie
meistentheils mit ihren und ihrer Frauenzimmer fänden
verfertiget", wie uns ein „Bericht von den Heilthümern ic. der
Hauptstadt München" aus d. Jahre (776 erzählt. (Anton
Trammer, Sechstes heiliges Jubeljahr des deutschen Rom's.)

Die Reliquien, welche der Herzog, dem Zuge seiner
Zeit folgend, allerorts sammelte, ließ er — soweit sie nicht
schon in Tabernakeln, Tafeln, Lassetten u. s. w. geborgen
waren — in kostbar gezierte Reliquiarien fassen, da dem idealen
lVerth des Geborgenen nur eine materiell und künstlerisch
werthvolle Hülle entsprechen konnte. Die Zahl der im
XVI. und XVII. Jahrhundert am herzoglichen Hof in
München gesammelten Reliquien muß eine sehr bedeutende
gewesen sein; denn trotz den manchfaltigen politischen
Stürmen, vom 30jährigen Rriege an bis in unser Jahr-
hundert herein, ist doch noch eine große Anzahl kostbarer
Reliquienbehälter auf uns gekommen. So enthält z. B.

die „Reiche Rapelle" in der kgl. Re-
sidenz allein aus der Zeit Wilhelms V.
noch (4(6 Reliquiarien, ungerechnet die
undatirten?) Auch die Zefuitenkirche
bedachte der Herzog mit zahlreichen
Reliquiarien; aber er ließ es bei diesen
„Heilthümern" nicht bewenden. Viel-
mehr sorgte er auch für das nöthige
Rirchengeräthe, die Altargefäße u. f. w.
und zwar in einer Weife, die vielleicht
weniger auf Prunk als auf Geschmack
Anspruch erheben kann. Immerhin
war auch der materielle Werth
desselben ein sehr beträchtlicher.

Tin unscheinbares Verzeichniß
aus dem XVII. Jahrhundert, das
der Verfasser in einem aus der
Michaelskirche stammenden Manu-
script der Münchener Staatsbibliothek
als loses Blatt vorgefunden und das
die Ueberschrift trägt: Argentea Su-
pellex templi S. Michaelis aestimata & ponderata —
Schätzung und Gewicht des Silbergcräths in der Michaels-
kirche — zählt an Silber u. A. 50 Leuchter, 26 Blumentöpfe,
26 Reiche mit patenen u. A. im Gesammtgewichle von
4(58 Pfund 20 Loth, — „das Pfund zu 25 fl. 56 kr. (der
Gulden — 60 Rreuzer) thut zu Geld ((228 fl. <(8 kr." Tine
spätere Wägung, wie sie aus einem andern einliegenden Blatt
notirt ist, gelangt aber zu noch ganz anderen Resultaten, indem
sich hierbei nicht weniger als (7 Zentner ergaben; die daran
sich anschließende Rechnung, bei welcher einmal das Loth zu
52 kr?), dann zu <(8 kr. angenommen wird, gelangt für
(7 Zentner zu <(7(4(6 fl. 4(0 kr. (oder 5(4(5( Taler (0 kr.),
bez. 4(3520 fl. (oder 290(5 Taler 30 fr.). Nach den heutigen
Gewichts-Verhältnissen berechnet sich ein altes bayer. Loth zu
(7,s gr., wonach (7 alte Zentner sich also auf 952 Rilo be-
laufen; bei der Annahme eines Durchschnittspreises von
2( Pfennig pro Gramm verarbeitetes Silber repräsentirt
dieser nur das Silbergeräth umfassende Schatz eine Summe

9 Dr. 3- Stockbauer, die „Reiche Kapelle".

9 ; Zentner — ;oo Pfund; — ; Pfund — 32 Loth.

fig.

Eckxarthie eines Ebenholz
postainentes.

von rund 200000 Mark. Rechnet man hierzu die zahlreichen
Goldstickereien, die verschiedenen silbergezierten Tbenholz-
arbeiten, die kostbaren Steine u. s. w., so kann man den
materiellen Werth dieses einst vorhandenen Rirchenschatzes
auf über eine Viertelmillion Mark veranschlagen.

Aber selbst mit der großartigen Beschenkung der Rirche
gab sich der Herzog nicht zufrieden; er wollte auch Fürsorge
treffen, daß der Schatz in dem von ihm hinterlassenen
Zustande erhalten werde, oder daß man doch in der
Lage bleibe, abhanden gekommene oder beschädigte Stücke
wieder zu ersetzen. Dieser Absicht verdanken wir wenigstens
die Abbildungen einer großen Zahl jener Rirchengeräthe,
da sie als materiell werthloses Objekt vor dem Schicksal be-
wahrt blieben, dem die Originalien — bis auf zwei Aus-
nahnten — verfielen. Ts bestand damals schon lange
die Sitte, die Reliquien und deren Behälter, die sich in
einer Rirche befanden, abzuzeichnen und zu registriren; durch
den Wetteifer der einzelnen Rirchen entstanden bald nach
Trfindung der Buchdruckerkunst gedruckte, mit Holzschnitten
oder Rupferstichen versehene „Heilthumbücher". Noch aus
dem XV. Zahrhundert sind derartige illustrirte Verzeichnisse
über Reliquien u. A. von Alt-Vetting, Andechs, Augsburg,
Tinsiedeln, Röln, Nürnberg u. s. w. erhalten; aus dem
Jahr (509 stammt das von Vr. G. Hirth neu heraus-
gegebene „Wittemberger Heiligthumsbuch", dessen Holz-
schnitte Lucas Tranach d. Aelt. gezeichnet. Tin solches
„Heilthumbuch" ist jenes, welches Herzog Wilhelm an-
fertigen ließ und welches sich in der St. Michaelshof-
kirche, wenn auch nicht ganz unberührt von den Wand-
lungen von fast drei Jahrhunderten, erhalten hat; noch
beinahe ganz unbekannt, hat es nur von Stockbauer Tr-
wähnung gefunden und zwar ein Mal im Text zu Zettler's
Publikation über die „Reiche Rapelle", ein anderes Mal
in den „Runstbestrebungen am Bayer. Hofe ic.'\3) wo er
von denselbem sagt: — — — „und giebt diese Sammlung
eine in ihrer Art einzige, höchst schätzenswerthe Quelle der
interessantesten und geschmackvollsten Formen für Gold-
und Silberschmiede" — eine Ansicht, die es wohl recht-
fertigt, daß wenigstens die besten Stücke der Sammlung
einem größeren Rreis von Runstgewerbtreibenden zugänglich
gemacht werden.

Die nahezu (50 Abbildungen befinden sich in zwei
Bänden (Großfolio, 4(5 auf 57 cm) vereinigt, von denen
allerdings nur der ältere Band ein eingehenderes Zntereffe
verdient; der spätere Band enthält neben einer großen
Anzahl leerer Blätter nur gegen 4(0, dem XVII. und
XVIII. Jahrhundert ungehörigen Gegenstände von geringem
Runstwerth und meist in ungeschickter Darstellungsweise.
Der erste, ältere Band, mit dem wir uns allein be-
schäftigen werden, zerfällt in zwei Haupttheile; der erste mit
Titelblatt und Vorrede umfaßt die Reliquiarien, Trucifixe ic.
mit einem zugehörigen Reliquien-Verzeichniß, der zweite die
Altargeräthe, Abendmahlsgefäße rc. und schließt mit einer
Tabelle über das Silbergewicht.

Der lateinische Titel dieses Rider Sacrarum Reli-
quiarum etc. lautet in freier Uebersetzung: „Buch der
heiligen Reliquien und des Silbergeräthes der Rirche St.
Michael des Rollegiums der Gesellschaft Zesu, welche der

9 Df. 3- Stockbauer, Kunstbestrebungen am Bayer. Pos
unter Albrecht V. und Wilhelm V., Seite 86., Anmerkung.

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