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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1888

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Heft 3/4
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Vereinschronik
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https://doi.org/10.11588/diglit.7906#0030

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wochenversammlungen des Kunstgewerbe-Vereins.

Die Reihe der dieswinterlichen Wochenversammlungen wurde am
8. Nobember eröffnet; nachdem der Vorsitzende, perr Direktor Lange,
einen Ueberblick über die vorkominnisse des letzten Jahres und über
die Entwickelung des Ausstellungs-Unternehmens gegeben hatte, wurde
zur Ergänzungswahl des Münchener Lokalcomitös geschritten. pier-
auf hielt perr Architekt G. von Bezold einen hochinteressanten
Vortrag über seine im Auftrag des Staates begonnene Inventari-
sation der Kunstdenkmäler Bayerns, insbesondere des Amtsbezirkes
München I und II (exklusive Stadt München). Die Ergebnisse dieser
ersten etwa zehnwöchigen Studienreise, welche zum Theil in Zeich-
nungen, zum Theil in Photographien Vorlagen, waren so be-
deutende, daß der Architekten- und Ingenieur-Verein ein Dank- und
Anerkennungsschreiben für die Inangriffnahme dieser großen Arbeit
an das Staatsministerium zu richten beschlossen hat, welchem Aner-
kennungsschreiben auch der bayer. Kunstgewerbe-Verein auf Einladung
seine Zustimmung ertheilen sollte. Es würde hier zu weit führen, die
Erfolge dieser ersten Kampagne auch nur flüchtig zu registriren; wir
haben aber allen Grund, uns der herrlichen, zum Theil fast neuent-
deckten Schätze zu freuen. — Den Abend beschloß die Vorführung von
verschiedenen Schreibmaschinen durch perrn Ingenieur Bayerlen
(Stuttgart), deren Brauchbarkeit zur Vervielfältigung von Schriftstücken
perr Bayerlen kurz vorher durch Perstellung einer größeren Zahl von
Listen der in das LokalkomitL vorgeschlagenen perren bewiesen hatte. —

War dieser erste Vereinsabend mehr nur durch Zufall zu einem
Vortragsabend geworden, so bildete dagegen den Kernpunkt des
zweiten — am (5. November — ein Vortrag. Professor Dr. Sepp sprach
über „Antike und christliche Kunst-Symbolik" und erläuterte
die Bedeutung einer großen Reihe von Symbolen bei den verschiedenen
Völkern des Alterthums, von besonderem Interesse war dabei der
pinweis auf die Verwandtschaft zwischen bildlicher und sprach-
licher Symbolik; so wurde namentlich in Bezug auf letztere an der
pand zahlreicher Beispiele der Nachweis geführt, das speziell in der
alttestamentarischen Geschichte die symbolische Redeweise eine außer-
ordentlich bedeutsame Rolle spiele, so daß man fast sagen könne:
weniger der pistoriograxh als der xhantasievolle Maler haben die
Ereignisse geschildert.

Der dritte Vereinsabend — am 22. November — wurde durch
die Mittheilung eröffnet, daß Se. königl. poheit der Prinz re gen t,
als Protektor des Vereins, den minder bemittelten Kunstgewerbe-
treibenden eine Unterstützung in pöhe von 25,000 Mk. zukoinmen ließ;
im Uebrigen war der Abend einer höchstinteressanten Ausstellung ge-
widmet, zu deren reichen Ausstattung mehrere Vereinsmitglieder, Kirchen-
und Museums-Vorstände und Korporationen beigetragen hatten, perr
Konservator Preckle erläuterte kurz die einzelnen Stücke, worauf der
Vorsitzende, perr Direktor Lange, einen gedrängten Ueberblick über
die Geschichte der Elfenbeinarbeiten gab; Elfenbeinschnitzer Dießl und
Drechslermeister Endres machten sodann noch einige interessante
Mittheilungen vom technisch-praktischen Standpunkte aus, ersterer
über die verschiedenen Elfenbeinarten unter Erklärung ihrer ver-
schiedenen Merkmale, — letzterer über Arbeiten mit der Guillochir-
Maschine. — Der an diesem Abend als Gast anwesende perr Direktor
G ö tz aus Karlsruhe, welcher als Vertreter des badischen Landeskomitös
einen Raum von 700 sIm belegte, brachte in warmen, von Perzen
kommenden Worten ein poch auf den bayer. Kunstgewerbeverein aus,
welches seitens der Versammlung mit einem von perrn Direktor
Lange ausgebrachten poch auf den badischen Kunstgewerbeverein, als
den ersten, der unserm Ruf zur Beschickung der Ausstellung gefolgt
sei, — erwidert wurde. —

Am 29. November sprach Dr. Richard Muther über die
Wege und Ziele der modernen Malerei. In ebenso siießender
wie humoristisch-sarkastischer Weise schilderte der Redner den Kampf
der modernen Malerei gegen die herkömmlichen Begriffe von Klassicis-
mus, der die antike Kunst als einzige tpuelle des Studiums ansah
und dadurch jene palbheit erzeugte, bei der Gedanke und Auffassung
Alles, die Technik, das zeichnerische Geschick Nichts war, und gegen die
„Rührstücke" der romantischen Schule, bei „welcher die technische Impo-
tenz gleich bedeutend schien mit Gemüthstiefe". Die Schule von
Kornelius, die sich wie eine Enklave ausnimmt, spricht die Sprache
des Gelehrten; das Gelehrtenthum huldigte auch am meisten dieser
Richtung, „von des Gedankens Bläffe angekränkelt", sucht diese

Schule Alles aus sich heraus zu machen, ohne Studium der Natur;
es war gleichgiltig, ob eine pand fünf oder sieben Finger hatte, ob
ein Kameel nach der Natur oder „aus der Tiefe der sittlichen Weltan-
schauung" gezeichnet wurde. Die Farbe wurde verachtet, weil ihre
Behandlung zu „schwer." In den vierziger Jahren wurde von Belgien
aus das „Kultur-Ideal" durch ein Farben-Ideal" verdrängt; aber man
glaubte jetzt, historische Bilder zu malen, wenn man die unbedeutendsten
Dinge — 5. B. Karl der Große, wie er zum ersten Male zu seiner
Braut „Du" sagt — darstellte. Erst das Jahr (870 brachte darin
eine entschiedene Besserung, indeni durch dasselbe das kosmopolitische
pistorienwesen gebrochen wurde. Gleichzeitig begann ein Kultus der
Farbe. Das gewaltig wiederauflebende Kunstgewerbe machte sich die
Malerei sogar in übertriebener Weise dienstbar, während z. B. zu
Dürer's Zeit die Malerei Lehrerin des Kunstgewerbes war. Die
Sucht, die Alten zu imitiren, brachte zwar bedenkliche Auswüchse, aber
die Technik erstarkte dabei. Dieß führte freilich dahin, sich auf das
„Stoffe-Malen" zu verlegen und der Darstellung des Reichthums folgte
als Reaktion in den letzten Jahren die des anderen Extrems, der Ar-
muth, woraus bald ein normaler Mittelweg gefunden werden wird.
Die moderne Malerei will sich vor Allem wieder an die reine Natur
anschließen und sie wird damit wieder neues Leben in die Kunst bringen.

Der gesellige Abend — am 6. Dezember — brachte eine Reihe
musikalischer und deklamatorischer Genüsse, die namentlich dadurch an
Anziehungskraft gewannen, daß sie durchweg von Vereinsmitgliedern
geboten wurden und zwar von Männern, die — wie der Vorsitzende,
perr Radsxieler mit Recht betont — nach Art der alten Meister-
sänger den Tag über im Schweiße ihres Angesichtes arbeiten, und
dann Abends sich und andere in Gesellschaft der Musen zu ergötzen,
tpuartettvorträge (der perren Schmid, Schiller, Mittermeir,
Pilz), humorvolle Soli's (perr Kaiser) und heitere Dialekt-Gedichte
(von perrn Stroblberger) wechselten in bunter Reihe ab und hielten
die Versammlung in heiterster Stimmung zusammen.

Den letzten Versammlungsabend des Jahres (887 — am (3. De-
zember — gestaltete Professor Dr. Scherer zu einem der gemüths-
vollsten durch seinen von Perzen kommenden und zu Perzen gehenden
Vortrag über „das deutsche Volkslied"; Redner behandelte den alle
Zuhörer im höchsten Grad interessirenden Gegenstand mit einer Wärme,
wie sie sich nur bei völliger Vertrautheit mit demselben entwickeln
kann. Wir müssen es uns leider wegen Raummangels versagen, auf
das für Vertreter deutscher volkseigenthümlichkeit — wozu unsere
Kunsthandwerker ebenso zu zählen sind, wie unsere Volkslieder-Dichter —
so ansprechende Thema näher einzugehen; die vom Redner geschilderte
Art, wie das Volkslied aus den: ureigensten natürlichen Empfinden
eines Volks-Menschen entstanden, mag manchen Kunsthandwerker ver-
anlassen, sich gleichfalls aus seinem eigenen natürlichen Empfinden An-
regung zu orginalen Schöpfungen zu holen.

Das neue Jahr wurde für denverein am 3. Januar durch einen Vor-
trag von Dr. Berth. Riehl über italienische und deutscheKunst
eröffnet. Anknüxfend an das für die italienische wie deutsche Kunst
bedeutsame Jahr (5((, in welchem Michelangelo die Sixtinische Kapelle,
Rafael die Camera della Signatura vollendeten, während in Deutsch-
land Dürer die drei Serien polzschnitte herausgab, die als „große"
und „kleine Passion" und als das „Leben der Maria" bekannt sind,
charakterisirte der Redner den gewaltigen Unterschied zwischen italienischer
und deutscher Kunst: die erstere arbeitet mehr für den Palast, die
letztere dringt in das paus ein. Dürer lernte von den Italienern
die Einheit der Wirkung, das dramatische Ineinandergreifen, die
Anatomie; aber trotz wiederholten Aufenthaltes daselbst arbeitete er
doch stets für das deutsche paus und aus dein deutschen paus, wo
der Erker den poetischen Winkel bildet, wo die Geräthe künstlerisch
fein gearbeitet waren, wo die Möbel schwer und dauerhaft, sich auf
Enkel und Urenkel vererbten. Eine so reiche Ausbildung des Kunst-
gewerbes, wie sie in Deutschland blühte, hat Italien nie besessen.
In Italien bildet der Palast das Eharakteristikum der Stadt — in
Deutschland war die Fagaden-Entwicklung des Profanbaues vor dem
(S. Jahrhundert fast gleich Null. Zusammenfassend darf man sagen:
Die deutsche Kunst zieht sich in sich zurück, sie zeigt ein liebevolles
Eingehen auf alle Vorgänge des Lebens, ein sorgsames Studium
derselben und ist von innigster Gemüthstiefe durchdrungen; die
italienische Kunst arbeitet frei aus sich heraus, sie behandelt mit
 
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