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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1892

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Heft 1/2
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Haushofer, Max: Die Letzten Schicksale künstlerischer und gewerblicher Erzeugnisse, [1]: Vortrag, gehalten im bayerischen Kunstgewerbe-Verein von Max Haushofer
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https://doi.org/10.11588/diglit.6906#0018

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lichen Geistes. (Es gibt ja Pyramiden, Roloffalbilder und
Felsentempel, deren Alter nicht nach Jahrhunderten, son-
dern nach Jahrtausenden zählt; aber in ihnen verkörpert
sich nicht mehr der Gedanke und die schöpferische -Persön-
lichkeit eines einzelnen Menschen, sondern sie sind nur mehr
der steingewordene Ausdruck eines ganzen Zeitalters.

Man könnte fragen, was es für Sinn hat, den Schick-
salen der Erzeugnisse unseres Fleißes nachzuforschen. Den
Prozeß der Zerstörung, den: sie alle entgegengehen, können
wir ja nicht aufhalten — was hilft es also, ihn näher zu
untersuchen?

Vielleicht ist aber doch nach einer oder der anderen
Richtung etwas damit geholfen.

Jedes Werk menschlichen Fleißes hat seine körperlichen
und seine geistigen Bestandtheile, wenn auch bei Manchem
die letzteren sehr verschwindend sind. Je inehr ein Er-

schonender behandeln; einfach aus Respekt vor der Arbeits-
mühe, die ihm daraus entgegenschaut. Auch der unge-
bildete Mensch hat eine instinktive Achtung vor der müh-
samen Arbeit Anderer und wird dieselbe behalten, wenn
sie nicht durch die Noth oder durch Leidenschaften, wie
Neid, Paß und Rachsucht gestört wird.

So ist die Arbeit, die in einem menschlichen Erzeugniß
aufgegangen ist, der vornehmste unter jenen Umständen,
welche den Verbrauch und Untergang dieser Dinge beein-
flussen. Der vornehmste deshalb, weil die Arbeit und ge-
rade die geistige Arbeit es ist, die das Arbeitsprodukt einer
steten Erneuerung und Miederverjüngung zugänglich inacht.

Ein Umstand, der die Erhaltung oder Zerstörung
menschlicher Erzeugnisse stark beeinflußt, ist auch ihr Um-
fang, ihre Größe. Wären die Pyramiden so klein gewesen,
wie moderne Grabsteine, so hätten sie sich nicht viertausend

Abb. 8. Türkische kfalbfayence».
Blau, grün und roth auf weißem Grund.
Durchmesser 27, bz. 25 cm.

8outb XensinAton Museum in London.

zeugniß dem Runstwerk sich nähert, desto mehr geistiger
Gehalt wohnt ihm inne. Jene Erzeugnisse aber, bei deren
Perstellung menschliche Geistesarbeit vorwiegend war, tragen
stets den Stempel derselben ausgeprägt und werden um
dessen willen schonender behandelt, bei der Aufbewahrung,
bei der Versendung, wie beim Gebrauch. Allein schon
die Gedanken, welche vom Erfinder, vom Unternehmer
und vorn Arbeiter hineingearbeitet wurden, dienen ihnen
als Schutz — ganz abgesehen von ihren Rosten und von
ihrem Preise. Wenn man dem ungebildeten Menschen
zwei Gemälde vorlegt, von welchen das eine das sorgfältig
ausgetüpfelte Bild eines Dilettanten und das andere die
keck hingeworfene unausgeführte Studie eines Meisters ist,
wird er ohne Zweifel das erstere höher schätzen und

Jahre lang erhalten; ebensowenig wie sich die Tempel-
trümmer von Palmyra oder Agrigent, die Memnonsstatuen
oder die keltischen Felsenbauten in Nordfrankreich erhalten
hätten ohne ihre gigantischen Maße. Es gibt einzelne
Werke der Bau- und Bildnerkunst, deren Meister von vorne-
herein ihren Sinn weniger auf Schönheit gerichtet hatten,
als auf Trotz gegen die Stürme der Jahrhunderte. Aus
dem Arbeitsleben der Gegenwart ist dieser Zug vollständig
verschwunden. Auch die Gegenwart errichtet noch Riesen-
werke; aber nicht in der Absicht, sie den Jahrtausenden
trotzen zu lassen. Die Eisenbahnen über den Gotthard,
über die Felsengebirge und die peruanischen Tordilleren
sind gewiß Riesenwerke; ebenso wie die Britannia-Brücke,
der Eiffelthurm, der Suez-Ranal, die transatlantischen Rabel,
 
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