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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1892

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Heft 3/4
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Dr. G. Hirths "Aufgaben der Kunstphysiologie"
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https://doi.org/10.11588/diglit.6906#0036

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26

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fertigte Fischer sämmtliche Modelle meist auch die Abgüsse; bei der
Münchener Synagoge und dem Hochschloß Pähl hatte er die Stein-
arbeiten auch selbst auszuführen. Neben diesen umfangreichen Arbeiten
liefen andere nicht minder bedeutende für die königlichen Schlösser
Lhiemsee und Linderhof, für den Park des Schlosses Fürstenried (Figuren-
gruppen, Pansbrunnen, ;88Z) für das Palais des Prinzen Leopold,
für den König von Rumänien (u. A. mehrere lebensgroße Holzfiguren),
für den Herzog von Meiningen, für den Fürsten von Detmold, ®) für
das Landtagsgebäude, die neue Kriegsschule, die „Isarlust" (;888) u. f. w.
in München (siehe die Abbildungen S. 25). von dem bedeutenden
Können Fischer's als Portraitist zeugen rnanche Grabmäler; die Büste
des Bürgermeisters Or. v. Erhard,, auf dem nördlichen Friedhof in
München, wird allseitig als ein Meisterwerk anerkannt. — Kleinere
figürlich-dekorative Arbeiten — Lateruenträger, Handtuchhalter u. A. —
fertigte Fischer mit Vorliebe aus Holz; am bekanntesten ist sein aller-
liebstes Knaben-Grchester geworden, von welchem er mehrere Figuren
wiederholt ausführen mußte.®* **)) Hier, wo er ohne jede beengende Rück-
sicht auf eine gegebene Architektur oder sonstige vorschnften, ganz frei
schaffen konnte, zeigt sich sein Geschick für treffende Eharakteristik iin
schönsten Licht; besser als in den — auf unserer Abbildung zu äußerst
stehenden — Figürchen, können Tenor und Baß nicht gekennzeichnet
werden: während der erstere seinen Empfindungen in schmetternden
Tönen freien Lauf läßt, blickt der Baß, der sich eben in den tiefsten
Lagen seiner Stiuime bewegt, auf den sorgsam zur Mäßigung mahnenden
Dirigenten, während er zur eigenen Sicherheit noch mit dem rechten
Fuß taktirt.

lvas ein Mann erreichen kann, der erst mit 26 Jahren unter
einem tüchtigen Meister ernstlichere Studien beginnt, das hat Fischer
erreicht, von seinen Leistungen dachte er selbst sehr bescheiden; zwei
dießbezügliche Aeußerungeu aus seinen Briefen mögen hier Platz finden.
„Es ist so mit allen Idealen; unser Leben reicht nicht aus, den langen
weg zum ersehnten Ziele zurück zu legen utid wir müssen zufrieden
sein, wenn es uns vergönnt ist, dem Ziele näher zu kommen." „Der

*) Line der betreffenden Arbeiten — eine große in Eichenholz geschnitzte
Thürbekrönung — haben wir im Jahrgang J888, 5. 23 gebracht; eine andere ist
oben auf 5. \7 abgebildet.

**) Linen Theil desselben geben wir auf 5. 2H in Abbildung wieder; es
gehören dazu noch die Vertreter des Lello, der Flöte, der Linellen und der pauke.

bildende Künstler, vorab Architekt und Bildhauer, kann nur tüchtig
werden durch Aufträge. Bekommt er diese nicht, so erschlafft schließ-
lich die beste, rüstigste Kraft, vielleicht hätte ich noch mehr Leidliches,
vielleicht auch Gutes schaffet: können, wenn ich entsprechende Aufträge
bekommen bätte. Der Auftrag aber ist der Sporn, der uns vorwärts
treibt, der uns auch zwingt, die sich bei jeder Aufgabe entgegen-
stemmeuden Schwierigkeiten zu überwinden. Alle, oder doch die meisten
Arbeiten, welche nicht wenigstens mit der Hoffnung auf verwerthung
entstehen, sind und bleiben fast immer Studicublättcr im Album iin
besten Falle, man sieht ihnen wenigstens einen Theil ihrer Zweck-
losigkeit immer an." *)

Fischer war zweimal verheirathet; nachdein der erste, im Jahre
;8?5 geschlossene und mit einen: Töchterchen gesegnete Ehebuud schon
,878 durch den Tod der schwer leidende,: Gattin gelöst worde:: war,
ging Fischer eine zweite Ehe ein, welcher drei Mädchei: und — kaum
ein halbes Jahr vor seinem Tode — ein Sohn entsprossen. Sein
starker Fainiliensiun, feilte unermüdliche Thätigkcit und sein haus-
hälterisches Wesen wirkten zusammen, um sein Familienleben glücklich
zu gestaltet:. Aber seine Gesundheit, welche scho:: früher durch tiefe
Gemüthsbewegungei: — Leiden und Tod seiner erstcti Frau und des
Töchterchcns — stark erschüttert worden war, mußte unter der ruhe-
lose,: Arbeit leiden, und die Tur»übui:gei:, die er zur Kräftigung seiner
Gesundheit lange Zeit in frühester Morgenstunde machte, konnten das
Auftreten eines Herzleidens nicht hindern. Trotzdem arbeitete er mit
alter Schaffenslust weiter; aber an seinem neuen Heim, das er iin
Herbst \8<)0 bezog und welches seiner umfangreichen Thätigkcit keine
Schranken setzte, durfte er sich nicht mehr lange erfreuen. Im Februar
des nächsten Jahres erkraickte er an Influenza; den in ihrem Ge-
folge anfgetreteuen schweren Krankheiten vermochte sein geschwächter
Mrganismus nicht mehr Stand zu halten. Er war darüber keinen
Augenblick im Zweifel. Bei vollem Bewußtsein traf er noch bis in
die letzte Stunde seine hausväterlichen Anordnungen; xflichtgetreu bis
zun: letzten pulsschlage verschied er am 22. Februar. L. G.

Dem Ausschuß des Bayerischen Aunstgewerbevereins hat Mischer vom
Jahre J888 an bis zu seinem Code als eifriges Mitglied angehört; von ihm gieng
bei der Berathung über die Ehrengabe zum 70. Geburtstag des allerhöchsten Protektors
des Vereins der Vorschlag aus, hierfür ein allegorisches Figürchen: „das Kunstgewerbe",
zu wählen. Die Verwirklichung dieses Vorschlags kennen unsere Leser aus Tafel ^
dieses Jahrgangs.

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unstpJsiglogik."')

MÄjL. in Buch wie das in der Ueberschrift genannte, welches in
seiner Gesammtheit an den Leser die Höchstei: Ai:sprüche
stellt, kam: auch durch eine eingehe,:de Besprechung nicht
Wy in dem Maße gewürdigt werden als dasselbe verdient;
wir greifen daher mit freundlicher Lrlaubniß des Verfassers aus dem
Abschnitt „Kompleinentäre Energie und Lichtgleichung" einige Theile
heraus, von denen wir glauben, daß dieselben für unsere Leser von
besonderem Interesse sind und daß sie vielen Veranlassung zu ein-
gehenderem Studium des Werkes geben werden.

„An die Spitze der folgenden Betrachtungen muß ich nun einen
Satz stellen, der vielleicht Manchen befremdet: Wir sehen zunächst gar
nicht die „Formen" der festen, flüssigen oder luftigen Körper,
welche den Gegenstand der kllustlerischen Darstellung bilden, sondern
nur die Lichter (Farben, farbigen Kontraste und Unterbrechungen);
aus den differenten Breiten- und Tiefenwerthen, die wir den Lichtern
im binokularen Sehen zuzumeffen gezwungen sind, resultirt zwar zu-
gleich das farbige Raumgefühl, dieses führt aber erst durch die
Erfahrungen des Tastsinnes, durch Kopfbewegungen und kombinireude

logische Denkakte zur körperhaften Vorstellung. Mit anderen
Worten: wenn wir in uitserer Phantasie die in verschiedenen Ab-
ständen vor uns ausgebreiteten farbigen Flächen auch auf ihrer von
uns nicht gesehenen Rückseite mit Gesichtseriniierungen ausstatten,
so wird dadurch selbstverständlich die Bedeutung der Lichter nach allen
Richtungen hin aufgeklärt; sie werden ebenso als aufhöhende, die
Körperlichkeit verstärkende Elemente besser begriffe,:, wie andererseits
die Fälle, in denen sie ui:s über die wirkliche Gestalt der Dinge
täuschen könnten, beschränkt werden. Aber gesehen werden deniwch
nur die Lichter und deshalb glaube ich das Richtige zu treffen, wenn
ich sage: Jedes Kunstwerk ist zunächst eine Lichtgleichung.

Den Begriff der „Gleichung" wende ich gerade deßhalb recht
gerne au, weil inir auch die spezifisch kll::ftlerische Thätigkeit ohne ein
fortwährendes Abwägen und Berechne,: uude::kbar ist. Jede
neue, schwierigere Aufgabe setzt neben der alten Erfahrung und
Uebung neue Ueberleguug voraus. Nag auch in der verki:üpfung
der Glieder, in der Addition u,:d Subtraktion der bekannten
Größen vollkommene Sicherheit gewonnen sein, — die Rechnung,

*) G. hirth's Kunstverlag, München und Leipzig ^891- Inhalt: I. Theil: Vorwort. — Kunstphysiologie.— Der Begriff des „spezifisch Künstlerischen". — Gedächtniß-
ökonomie. — Nachbilder und Gesichtserinnerungen. — Die drei Grade des Merkens. — Die Eselsbrücke. — Kunstphysiologische Probleme. — Die Technik des einäugigen Sehens. —
Vervollkommnung im Doppelauge. — Das Vorrecht des Größeren. — Die körperhafte Perspektive. — Kunstfeindliche Irrlehren. — Das doppelte Lichtbad und die Lichtwaage. —
Die Komplementärfarbe. — Komplementäre Energie und Lichtgleichung. — Das Augenmaß für farbige Unterbrechungen. — Andere Erklärungen des Augenmaßes. — Schwankende
Gestalten des Seelenbildes. — Der reproduktive Maßstab. — Ausmessung des Gesichtsfeldes aus der Blickruhe. — Die Wahrnehmung bewegter Lichter. — II. Theil: Die nervöse
Organisation des Kunstverstandes. — Der Aufbau der Gedächtniffe. — Der Ort des Lichtgedächtniffes. — Spannungszustände; Erinnern und vergessen. — Unterströmungen im
verborgenen Gemerk. — verborgene Aufmerksamkeit. — Gesichtserinnerung ist farbiges Licht. — Die Temperamente der Grundgedächtnisse und Merksysteme. — Zur Naturgeschichte
der künstlerischen Merksysteme. — Talentvererbung, Genie und Degeneration.
 
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