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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1892

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Heft 9/10
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Falke, Jakob von: Die kirchliche Kunst in geschichtlicher Uebersicht, [3]: Die kirchliche Kunst in neuerer Zeit
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Gurlitt, Cornelius: Die Kunstrichtung des 19. Jahrhunderts: Vortrag, gehalten im nordböhm. Gewerbemuseum
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https://doi.org/10.11588/diglit.6906#0068

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eben Gewebe wie andere Gewebe, einerlei ob sie das
Mobiliar, die Dame oder den Priester schmückten oder Vor-
hänge und Portieren bildeten.

An diesem Stand der Dinge änderte auch die größere
Feinheit oder vielmehr Zartheit in Aunst und Geschmack
des achtzehnten Jahrhunderts nichts mehr. Figürliche Ver-
zierungen waren selten, und wenn sie vorkainen, unzulänglich
ausgeführt. Das Rococo, die Aunst der ersten pälfte des
achtzehnten Jahrhunderts, übte kaum irgend einen Ginfluß
und ebenso wenig der Geschmack Louis XVI. und des Empire.
Als die Modestoffe sich änderten, löste sich die paramentik
wieder von ihnen und blieb nur immer schlechter werdend -
bei seiner Blumenpracht stehen, um im neunzehnten Jahr-
hundert wieder mit diesem Naturalismus zusammen zu treffen.

Auf anderen Gebieten der kirchlichen Aunst blieb das
Rococo nicht ohne Ginfluß, Altäre z. B. — es ist noch
manches davon erhalten — huldigten der Willkür und
Unregelmäßigkeit in Gestaltung und Ornament in aus-
schweifendster Weise. Die Leichtigkeit, mit welcher die
Schnitzerei auf das kühne, aber formlose Ornament ein-
gehen konnte, begünstigte den Gintritt des Rococo in die
Airche. Ebenso war es mit der ornamentalen Ausmalung
der Airchenwände. Auch das geschniiedete Eisen, das unter
dem pammer jede Form annahm und so sich deni Rococo
gefügig erwies, drang unter diesem Stil in die Airche ein
und bildete — in Meisterwerken, was Technik und Aühnheit
betrifft — Gitter und Schranken und Thüren und Ver-
schlüsse. Weniger bedeutend war der Einfluß des Rococo
auf die kirchliche Goldschnriedekunst, doch fehlte er nicht,
indem er die Formen schweifte und drehte und mit deni
Schnörkelornament des Rococo überdeckte. Da überhaupt
das achtzehnte Jahrhundert noch in Edelmetall fein zu
arbeiten verstand und darin selbst die Epoche von Louis XIV.
überbot, so konnte es geschehen, daß auch ini Rococo die
Goldschmiedekunst für die Airche Geräthe und Gefäße lieferte,
z. B. Aelche, Meßkännchen, Platten, welche als Arbeit be-
wundernswürdig sind.

Wenn man aber in Betracht zieht, daß die Airche
nach ihrer Natur einen gewissen Ernst, eine gewisse Würde
verlangt, auch da, wo es sich um Pracht und Reichthum

handelt, so muß man das Rococo bei seiner Willkür, bei
seiner Unruhe und Frivolität allgemeinhin als einen un-
kirchlichen Aunststil bezeichnen. Sein flottes, freies Wesen,
das um so mehr gefällt, je kühner es ist, entbehrt eben
der Würde. Das schließt nicht aus, daß der Stil, wenn
maßvoll und mit Geist und Geschmack behandelt, auch
Schönes und Würdiges schaffen kann. Für die Airche be-
deutet er auch nur eine kurze Epoche, wie überhaupt seine
Blüthezeit kaum drei bis vier Jahrzehnte dauert; erwirkte
nur noch in schablonenhafter und geistloser Weise, weil die
nachfolgenden Stilarten aus der zweiten pälfte des acht-
zehnten Jahrhunderts noch weniger Fuß zu fassen vermochten.

Die Ursache für diesen geringen Erfolg lag weniger
in ihnen selber, als in der Epoche der Aufklärung und
der kommenden und vorbereiteten Revolution, welche der
Airche und somit auch der kirchlichen Aunst nicht günstig
war. Zn einer Zeit, welche dahin kam, selbst Gott für
abgeschafft zu erklären, fragte und sorgte man wenig um
kirchliche Dinge künstlerischer Art. Es war kein neuer
Bedarf vorhanden. Mit der Restauration im neunzehnten
Jahrhundert kam nun wohl unleugbar ein neues religiöses
Leben, aber es war kein Aunstgewerbe niehr vorhanden
wie in den vorausgegangenen Jahrhunderten. Gearbeitet
wurde wohl, weil man eben dis Gegenstände brauchte, aber
die Aunst, der Geschmack, die feinere und reichere Technik,
das hatte sich verloren. Was man machte, das waren
— auch für die Airche — nur Gebrauchsgegenstände, nicht
Aunstwerke, und wo man Reicheres verlangte, da fehlten
eben Geschmack, Urtheil, Erfindung und Vollendung. Das
war der gleiche Fall für die Airche, wie für paus und
Palast. Für die Airche aber erwachte zuerst in unserer
Zeit wieder der Eifer einer künstlerischen Besserung, aber
der Eifer erlahnite rasch und wurde überflügelt von der
Reform des Geschmacks und des Aunstgewerbes auf dem
weltlichen Gebiete. Nun gilt es, das Versäumte nachzu-
holen und die Gegenstände für die Airche wieder ernst und
würdig und zugleich künstlerisch schön zu machen. Mit
pilfe dessen, was die Airche selbst an Vorbildern bewahrt
hat, wird auch das gelingen und eine erneuerte kirchliche
Aunst sich der erneuerten Aunstindustrie zur Seite stellen.

von Dr. Cornelius Gurlitt.

(Vortrag, gehalten im nordböhin. Gewerbemuseum i» Reichenberg.)

as letzte Jahrzehnt des Jahrhunderts, welches ge-
wiffermassen die Summe darstellen soll von dem, was
dies Jahrhundert gebracht hat, hat begonnen. Ls ist
wohl gut, daß man in einem solchen Augenblick Umschau
hält, um sich klar zu werden, was bis jetzt in den ver-
schiedenen geistigen Gebieten und was namentlich auf dem Gebiete,
welches uns hier interesiirt, auf dem der Kunst, in 90 Jahren geleistet
wurde; was geleistet worden ist seit der letzten Stunde des großen
Jahrhunderts, dessen Lnde die französische Revolution war und welches
über ganz Europa eine gewisse Einheit und Gleichheit des Schaffens
und Empfindens brachte, wie wohl nie vorher seit der Römerzeit.

Denn die Uniformität der Kunst, namentlich in allen Theilen Deutsch-
lauds, ja ganz Europas, war nie so groß als um das-Jahr (80;,
als das Jahrhundert begann. Seitdem hat sich mancherlei geändert,
nach mancherlei Seiten sind wir vorwärts geschritten ini der Richtung
der nationalen Entwicklung der einzelnen Völker, in manchen Be-
ziehungen aber auch rückwärts gegangen.

Im Jahre ;8oo herrschte in der ganzen lvelt der Stil, den wir
auch leider Euipire zu nennen uns gewöhnt haben, d. h. jenen Stil,
den man vor dreißig Jahren mit dem Namen Zopfstil bezeichnet hat,
der Klaffizisnius, ein vollständige Hingabe an die Vorbilder, welche
die alten Griechen und Römer uns hinterließen. Diese Hingabe war
 
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