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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1892

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Heft 3/4
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Haushofer, Max: Die letzten Schicksale künstlerischer und gewerblicher Erzeugnisse, [2]: Vortrag, gehalten im bayerischen Kunstgewerbe-Verein
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https://doi.org/10.11588/diglit.6906#0028

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Als aber der geharnischte Tritt der germanischen Eroberer
durch Italien erklirrte, flogen all' diese Reichthümer aus-
einander. Es war, als wären Eiiber und Gold, Marmor
und Edelsteine zu Federn geworden, die ein ungeheuerer
Sturm zerblies. Was von diesen Schätzen das oströmische
Reich nach Byzanz ausgenommen hatte, fand dort keine
Nahrung mehr.

Die christlich-germanische Welt ist bettelarm an greif-
baren Schätzen gegen die antike. Nur einmal taucht in

ihr ein mächtiger Schatz auf: der Nibelungenhort, den der
kühne Siegfried dem Zwergkönig Alberich abgewonnen.
Zwölf Doppelwagen konnten ihn kaum von dannen tragen
in vier Tagen und Nächten. Bei Lochheim iin Rheine
liegt er noch heute; dort hat ihn der grimme Pagen ver-
senkt. Als der später in Banden und schwerwund vor
Lhriemhilt lag und sie ihm das Leben um den Schatz
versprach, da brach er in die grimmigen Worte aus: „Den
Schatz weiß nun Niemand, als Gott und ich allein; der
soll dir, Teufelsweib, immer wohl verhohlen sein!"

Erst nach Jahrhunderten erscheinen wieder so sagen-
hafte Schätze. Das war, als die Spanier Mexiko und
Peru eroberten. Das Lösegeld, welches der letzte Inka,
Atahualpa, den Spaniern für fein Leben zahlen wollte,
war ein solcher Schatz. Alle Tempel, alle Paläste Peru's
gaben ihre Reichthümer, ihre Kunstwerke dazu. Monate-
lang mußten peruanische Goldschmiede den Schatz ein-
schmelze»; weniges ward erhalten. . pizarro selbst, der
abenteuernde Eroberer peru's, erhielt den goldnen Thron,
auf dem so lange die Inka-Könige gesessen waren. Die
Beute, welche die Spanier damals in Peru machten, war
ungeheuer. Ein spanischer Reiter erhielt das massiv goldene
Bild der Sonne als Beutetheil, das im große» Tempel zu
Euzco gehangen hatte. Er verspielte dasselbe in einer
Nacht. Und so verspielte sein Volk in ein paar Jahr-
hunderten den ganzen eroberten Welttheil; so werden im
Lauf der Jahrhunderte alle Schätze verspielt, welche Fleiß und
Kunst erschaffen, pabgier und Gewalt an sich raffen können.

Was nun endlich die letzten Schicksale der Kunstwerke
betrifft: in dieser pinsicht individualisirt das Schicksal auf's
wunderbarste. Die Werke der bildenden Kunst sind voll-
ständig der Laune des geschichtlichen Zufalls überlassen,
der sie bald in beklagenswerther Weise zerstört, bald mit
liebevoller Sorgfalt Jahrtausende hindurch erhält. Die
ganze Kunstgeschichte setzt sich aus Ereignissen zusammen,
in welchen die ruhige Entwickelung des künstlerischen Schatzes
der Völker als eine stetig fortlaufende Thatsache erscheint,
die aber immer wieder durch launenhafte Zufälligkeiten
unterbrochen wird. Sie berichtet uns von zahllosen Kunst-
werken, die einst das Entzücken der Kulturwelt waren, dann
im Sturme der Zeiten verloren gingen und oft nach tausend-
jährigem Schlummer da oder dort durch einen wunderbaren
Zufall wieder an's Tageslicht kamen. Wie viel von dem,
was das klassische Alterthum an edelsten Kunstwerken aus
Erz und Marmor geschaffen hat, ist für immer verloren
gegangen? Begraben unter dem Schulte zertrümmerter
Städte, zerschmolzen iin Feuerhauch verheerender Brände,
versunken im tiefen Dcean!

Die kunstsinnige Gegenwart gräbt und schaufelt uner-
müdlich in de» Schutthaufen der Vergangenheit. Sie hat
seit den Tagen der Renaissance gegraben und geschaufelt;
und wie viel sie gerettet hat: davon zeugen die Sammlungen
des Vaticans und des Louvre, das britische Museum und
die Münchener Glyptothek und zahllose andere Sainmlungen.
Es ist immer noch ein erstaunlicher Reichthum an Kunst-
schätzen, der die Völkerwanderung überdauert hat — jenen
gewaltigsten Sturm der Verheerung. And wenn selbst das
dreifache, wenn das zehn- oder zwanzigfache von dem, was
uns erhalten geblieben ist, verloren gegangen wäre: geblieben
ist uns doch genug, um ein treues Bild des schöpferischen
Geistes untergegangener Kulturwelten wieder erstehen zu lassen.

Wir stehen noch nicht anr Ende der Zeiten und wissen
nicht, welche Wandlungen der künstlerische Genius der Mensch-
heit noch durchzumachen hat. Aber wir dürfen wohl hoffen,
daß das, was einmal die furchtbaren Stürme vergangener
Zeiten überdauert hat, für alle Zukunft gerettet ist, um immer
wieder als Anregung zu Neuem und Schönen zu dienen.
 
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