rathen könnten. Dem gegenüber betont Prof. Meurer nochmals den
pädagogischen Werth des Naturformenstudiums; das letztere betrachte er
nicht als Selbstzweck, sondern nur als Mittel zum Zweck und
Zwar nicht an Stelle des Kunstformenstudiums, sondern neben
demselben. Auch Prof. vr. p. F. Krell spricht seine Ueberzeugung
dahin ans, daß es nicht möglich fein werde, den in Rede stehenden
Unterricht in der von Meurer beabsichtigten Ausdehnung zu betreiben;
aber er glaubt, daß er sehr wohl neben dem Gypszeichnen Platz habe.
Gegen die Austrocknung der dekorativen Kunst schütze nur das Studium
der Naturformen. Prof. Friedrich Thiersch schlägt den indirekten
Nutzen der Naturformenstudien für jedes künstlerische Fach sehr hoch
an, weil aus ihnen viele Gesetze für künstlerisches Schaffen — z. 23.
Proportion, Unterordnung des Einzelnen unter das Ganze — am
klarsten ausgesprochen seien; er erblickt keine Gefahr darin, einmal
eine andere Methode zur Beobachtung der Natur einzuschlagen. Prof.
Meurer möchte vor mißverständlicher Auffassung seiner Absichten
warnen und erkennt ausdrücklich an, daß der einzelne Schüler nur in
beschränktem Maße derartige Studien machen könne; das Studium
der Kunstformen solle durchaus nicht beseitigt werden, sondern gerade
an der Sand überlieferter Kunstformen sollen die Naturstudien gemacht
werden. Prof. Krell erinnert an dießbezügliche Studien und Arbeiten
der Franzosen, und meint, daß diese bei manchen Fehlgriffen in das
Bereich der Naturformen, doch hin und wieder treffliche Früchte daraus
pstücken. Prof. August Thiersch findet den von Prof. Meurer
eingeschlagencu Weg zur Erkenntniß der Gesetzmäßigkeit in den Natur-
sormen sehr einfach und klar; bei dem gewöhnlichen Pflanzenzcichnen
werde in der Regel zu wenig konstruktiv gedacht; man übersehe vor
dem Malerisch-Unregelmäßigen zumeist das Geometrisch-Regelmäßige.
Prof. Gabr. Seidl hält gleichfalls das Studium der Natur für die
Grundlage, auf der das Kunstwerk erst geschaffen werden muß; dagegen
hält er die von Prof. Krell angeführten französischen Erzeugnisse nicht
für künstlerisch bedeutungsvoll. Musterzeichner A. Hochstätt er
berichtet, wie er s. Z. in Paris Ornamente und Blumen zu gleicher
Zeit studiert habe, und daß dieß noch jetzt dort ebenso gehalten werde.
Mit einem kurzen Rückblick auf die zu Tage getretenen Anschaungen
schloß hierauf Dir. v. Lange die Diskussion.
Die Wichtigkeit des Gegenstandes und das tiefgehende Interesse,
welches derselbe bei der zahlreichen Versammlung gefunden, ließ indessen
die Geister noch lange nicht zur Ruhe kommen. Darin, daß das
Studium der Naturformen nützlich und nothwendig sei, bestand keine
Meinungsverschiedenheit; nur wie weit dasselbe bei der beschränkten
Lernzeit neben dem Kunstformenstudium noch Platz finden könne und
ob der von Meurer vorgeschlagene weg der richtige sei, darüber gingen
die Ansichten auseinander. Die Beantwortung der ersteren Frage,
ob und wie sich ein „vergleichendes Naturformenftudium" an
Kunstgewerbeschulen einführen läßt, wird zumeist von der Organisation
der einzelnen Schulen abhängen; sie wird also nicht generell beant-
wortet werden können.
Eine andere Frage ist die, ob speziell die Meurer'sche Methode
der geeignetste Weg zum Naturformenstudium ist. Die Gründlichkeit
und Folgerichtigkeit, mit welcher dieselbe durchgcführt ist, verleiht ihr
zuviel gelehrten Anstrich, als daß sie sich leicht das Zutrauen der
Künstler erwerben könnte; es muß auch zugegeben werden, daß unter
den von Meurer vorgeschlagenen Uebungen sich manche befinden, bei
welchen das Studium der Natnrformen durch geometrische oder per-
spektivische Konstruktionen von verkürzten Darstellungen in den
Hintergrund gedrängt erscheint. Aber im Ganzen kann Menrers Ziel,
an den Naturformeu die auch für künstlerisches Schaffen gütigen
Gesetze ausfindig zu machen, auf dem von ihm vorgeschlagenen weg
erreicht werden, von mancher Seite haben sich gegen das mit-
unter fast mathematisch pünktliche Abmessen und Aufzeichnen von
Pstanzenformcn Bedenken erhoben; man sagt auf der einen Seite,
es wäre nicht richtig, ein Blatt von den Adern aus gewissermaßen
ZU konstruiren, der Umriß müsse vor allen Dingen „richtig
empfunden" sein, — während man auf der anderen Seite von
dem vorherrschen der mathematisch genauen Prüfung eine Beein-
trächtigung des künstlerischen Fluges befürchtet. Deni ersten Linwand
iäßt sich damit begegnen, daß das „richtige Empfinden", sofern es
uicht unbewußt aus künstlerischen Anlagen entspringt, nur die Folge
des Verständnisses des inucrn Wesens, des Baues, der Entwicklungs-
gesetze u. s. w. eines Blattes sein kann. Dieses verständuiß für die
organische Natur, speziell für den Zusammenhang zwischen innerem
Organismus und äußerer Erscheinung (z. B. eines Blattes) wird sicher
auf dem von Meurer vorgeschlagenen Weg gelehrt werden können.
Für denjenigen, welcher von Hause aus das instinktiv richtige Em-
pfinden mitbringt, ist weder Mcurer's noch irgend eine andere exakte
Lehr-Methode eine unabweisliche Nothwendigkeit; da die Schulen sich
aber uicht nur mit Talenten zu bevölkern pflegen, so sind solche Wege
nicht zu umgehen, so wenig wie Figurenzeichner, die es ernst mit ihrer
Kunst meinen, ohne Studium des Knochen- und Muskelbaues des
Menschen auskommen.
Der zweite der obengenannten Einwände richtet sich gegen die
an mathematische Studien erinnernde exakte Prüfung, welche
den künstlerischen Flug behindern soll. Wir zweifeln gar uicht daran,
daß ein pedantischer Lehrer, dem das richtige verständniß für den
Zweck dieser Prüfung abgeht, mit diesen, Verfahren wie mit irgend
einer andern „Methode" viel Unheil stiften kann; andrerseits aber
kann bei vernünftiger Lehrweise diese Methode dem beanlagten
Campanula Medium.
Blüthe noch geschloffen.
Schüler einen festen Halt für alle Zukunft geben, weil er durch
dieselbe zu logischem Vorgehen angehalten wird. Genau denselben
Linwand kann man gegen einen andern Lehrgegenstand erheben,
der schon längst das Bürgerrecht an Akademien und Kunstgewerbe-
schulen besitzt, gegen die Perspektive. Auch hier geht man von
mathematisch genau bestimmbaren Linien aus, ohne damit das freie
Abschätzen durch das Augenmaß lahm legen zu wollen. Ein
vollendeter Persxektivzeichner ist freilich darum noch lange kein voll-
endeter Künstler; und doch leugnet Niemand mehr, daß das Studium
der Perspektive dem Maler unentbehrlich sei. Lin Zeichner, welcher
auf's Gewissenhafteste Hunderte von Pflanzen nach den Mcurer'schen
Ideen studirt hat, wird darum allein noch kein tüchtiger Grnamentist;
aber so wenig das ernste Studium der Perspektive die Malerei schädigt,
so wenig wird unter dem Studium der Pflanzensormen — wenn
anders dieß nicht in einseitiger Weise getrieben wird
— das kunstgewerbliche Schaffen leiden.
Der gesunde Kern in Meurer's Lehrmethode wird sich gewiß
überall, wo er richtig verstanden wird, Anerkennung verschaffen; es
ist nur zu wünschen, daß diese Methode nicht durch übereifrige An-
häuger in falsche Bahnen gelenkt wird. L. G.
pädagogischen Werth des Naturformenstudiums; das letztere betrachte er
nicht als Selbstzweck, sondern nur als Mittel zum Zweck und
Zwar nicht an Stelle des Kunstformenstudiums, sondern neben
demselben. Auch Prof. vr. p. F. Krell spricht seine Ueberzeugung
dahin ans, daß es nicht möglich fein werde, den in Rede stehenden
Unterricht in der von Meurer beabsichtigten Ausdehnung zu betreiben;
aber er glaubt, daß er sehr wohl neben dem Gypszeichnen Platz habe.
Gegen die Austrocknung der dekorativen Kunst schütze nur das Studium
der Naturformen. Prof. Friedrich Thiersch schlägt den indirekten
Nutzen der Naturformenstudien für jedes künstlerische Fach sehr hoch
an, weil aus ihnen viele Gesetze für künstlerisches Schaffen — z. 23.
Proportion, Unterordnung des Einzelnen unter das Ganze — am
klarsten ausgesprochen seien; er erblickt keine Gefahr darin, einmal
eine andere Methode zur Beobachtung der Natur einzuschlagen. Prof.
Meurer möchte vor mißverständlicher Auffassung seiner Absichten
warnen und erkennt ausdrücklich an, daß der einzelne Schüler nur in
beschränktem Maße derartige Studien machen könne; das Studium
der Kunstformen solle durchaus nicht beseitigt werden, sondern gerade
an der Sand überlieferter Kunstformen sollen die Naturstudien gemacht
werden. Prof. Krell erinnert an dießbezügliche Studien und Arbeiten
der Franzosen, und meint, daß diese bei manchen Fehlgriffen in das
Bereich der Naturformen, doch hin und wieder treffliche Früchte daraus
pstücken. Prof. August Thiersch findet den von Prof. Meurer
eingeschlagencu Weg zur Erkenntniß der Gesetzmäßigkeit in den Natur-
sormen sehr einfach und klar; bei dem gewöhnlichen Pflanzenzcichnen
werde in der Regel zu wenig konstruktiv gedacht; man übersehe vor
dem Malerisch-Unregelmäßigen zumeist das Geometrisch-Regelmäßige.
Prof. Gabr. Seidl hält gleichfalls das Studium der Natur für die
Grundlage, auf der das Kunstwerk erst geschaffen werden muß; dagegen
hält er die von Prof. Krell angeführten französischen Erzeugnisse nicht
für künstlerisch bedeutungsvoll. Musterzeichner A. Hochstätt er
berichtet, wie er s. Z. in Paris Ornamente und Blumen zu gleicher
Zeit studiert habe, und daß dieß noch jetzt dort ebenso gehalten werde.
Mit einem kurzen Rückblick auf die zu Tage getretenen Anschaungen
schloß hierauf Dir. v. Lange die Diskussion.
Die Wichtigkeit des Gegenstandes und das tiefgehende Interesse,
welches derselbe bei der zahlreichen Versammlung gefunden, ließ indessen
die Geister noch lange nicht zur Ruhe kommen. Darin, daß das
Studium der Naturformen nützlich und nothwendig sei, bestand keine
Meinungsverschiedenheit; nur wie weit dasselbe bei der beschränkten
Lernzeit neben dem Kunstformenstudium noch Platz finden könne und
ob der von Meurer vorgeschlagene weg der richtige sei, darüber gingen
die Ansichten auseinander. Die Beantwortung der ersteren Frage,
ob und wie sich ein „vergleichendes Naturformenftudium" an
Kunstgewerbeschulen einführen läßt, wird zumeist von der Organisation
der einzelnen Schulen abhängen; sie wird also nicht generell beant-
wortet werden können.
Eine andere Frage ist die, ob speziell die Meurer'sche Methode
der geeignetste Weg zum Naturformenstudium ist. Die Gründlichkeit
und Folgerichtigkeit, mit welcher dieselbe durchgcführt ist, verleiht ihr
zuviel gelehrten Anstrich, als daß sie sich leicht das Zutrauen der
Künstler erwerben könnte; es muß auch zugegeben werden, daß unter
den von Meurer vorgeschlagenen Uebungen sich manche befinden, bei
welchen das Studium der Natnrformen durch geometrische oder per-
spektivische Konstruktionen von verkürzten Darstellungen in den
Hintergrund gedrängt erscheint. Aber im Ganzen kann Menrers Ziel,
an den Naturformeu die auch für künstlerisches Schaffen gütigen
Gesetze ausfindig zu machen, auf dem von ihm vorgeschlagenen weg
erreicht werden, von mancher Seite haben sich gegen das mit-
unter fast mathematisch pünktliche Abmessen und Aufzeichnen von
Pstanzenformcn Bedenken erhoben; man sagt auf der einen Seite,
es wäre nicht richtig, ein Blatt von den Adern aus gewissermaßen
ZU konstruiren, der Umriß müsse vor allen Dingen „richtig
empfunden" sein, — während man auf der anderen Seite von
dem vorherrschen der mathematisch genauen Prüfung eine Beein-
trächtigung des künstlerischen Fluges befürchtet. Deni ersten Linwand
iäßt sich damit begegnen, daß das „richtige Empfinden", sofern es
uicht unbewußt aus künstlerischen Anlagen entspringt, nur die Folge
des Verständnisses des inucrn Wesens, des Baues, der Entwicklungs-
gesetze u. s. w. eines Blattes sein kann. Dieses verständuiß für die
organische Natur, speziell für den Zusammenhang zwischen innerem
Organismus und äußerer Erscheinung (z. B. eines Blattes) wird sicher
auf dem von Meurer vorgeschlagenen Weg gelehrt werden können.
Für denjenigen, welcher von Hause aus das instinktiv richtige Em-
pfinden mitbringt, ist weder Mcurer's noch irgend eine andere exakte
Lehr-Methode eine unabweisliche Nothwendigkeit; da die Schulen sich
aber uicht nur mit Talenten zu bevölkern pflegen, so sind solche Wege
nicht zu umgehen, so wenig wie Figurenzeichner, die es ernst mit ihrer
Kunst meinen, ohne Studium des Knochen- und Muskelbaues des
Menschen auskommen.
Der zweite der obengenannten Einwände richtet sich gegen die
an mathematische Studien erinnernde exakte Prüfung, welche
den künstlerischen Flug behindern soll. Wir zweifeln gar uicht daran,
daß ein pedantischer Lehrer, dem das richtige verständniß für den
Zweck dieser Prüfung abgeht, mit diesen, Verfahren wie mit irgend
einer andern „Methode" viel Unheil stiften kann; andrerseits aber
kann bei vernünftiger Lehrweise diese Methode dem beanlagten
Campanula Medium.
Blüthe noch geschloffen.
Schüler einen festen Halt für alle Zukunft geben, weil er durch
dieselbe zu logischem Vorgehen angehalten wird. Genau denselben
Linwand kann man gegen einen andern Lehrgegenstand erheben,
der schon längst das Bürgerrecht an Akademien und Kunstgewerbe-
schulen besitzt, gegen die Perspektive. Auch hier geht man von
mathematisch genau bestimmbaren Linien aus, ohne damit das freie
Abschätzen durch das Augenmaß lahm legen zu wollen. Ein
vollendeter Persxektivzeichner ist freilich darum noch lange kein voll-
endeter Künstler; und doch leugnet Niemand mehr, daß das Studium
der Perspektive dem Maler unentbehrlich sei. Lin Zeichner, welcher
auf's Gewissenhafteste Hunderte von Pflanzen nach den Mcurer'schen
Ideen studirt hat, wird darum allein noch kein tüchtiger Grnamentist;
aber so wenig das ernste Studium der Perspektive die Malerei schädigt,
so wenig wird unter dem Studium der Pflanzensormen — wenn
anders dieß nicht in einseitiger Weise getrieben wird
— das kunstgewerbliche Schaffen leiden.
Der gesunde Kern in Meurer's Lehrmethode wird sich gewiß
überall, wo er richtig verstanden wird, Anerkennung verschaffen; es
ist nur zu wünschen, daß diese Methode nicht durch übereifrige An-
häuger in falsche Bahnen gelenkt wird. L. G.