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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1892

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Heft 3/4
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Dr. G. Hirths "Aufgaben der Kunstphysiologie"
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https://doi.org/10.11588/diglit.6906#0037

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d. h. hier die künstlerische Reproduktion, muß doch in jedem einzelnen
Falle erst gemacht werden, um einen klaren, präzisen Ausdruck für
die Werthe der gesuchten Unbekannten zu finden. Gegeben ist
auf der einen Seite immer eine Reihe von bestimmten nachbildlichcn
bezw. erinuerungsbildlichen Lichtwerthen, deren körperhafte Beziehungen
theils durch direkte Raumempfiudungen des Sehorgans, theils durch
anderweite Erfahrung und Kenntnisse (Anatomie rc.) aufgeklärt sind;
gesucht wird andererseits eine Zahl von Lichtwerthen, welche dazu
geeignet sind, das durch Natur und Phantasie gegebene Vorbild in
verständlicher, charakteristischer Meise wiederzugeben. Die Unbekannten
bestehen also wesentlich in Lichteffekten, Hierbei hat der künst-
lerische verstand den weitesten Spielraum; je nach dem Zwecke, nach
dem Grade der beabsichtigten Täuschung oder der Richtung der
Charakteristik kann er addiren, subtrahircn, eliminiren, wenn nur die
Rechnung ein befriedigendes, — ein künstlerisches Resultat giebt.

vor Allem muß betont werden, daß die identische Licht-
gleichung so gut wie ausgeschlossen ist. Wenn wir selbst davon ab-
schen, daß es für die unerreichbaren Feinheiten der Natur überhaupt
keine hinlänglich feine Technik giebt, so stößt schon die vollkommene
Wiedergabe der in der Natur herrschenden allgemeinen Lichtunter-
schiede aus unüberwindliche Schwierigkeiten. Die Farbstoffe, mit
denen der Künstler arbeitet, können in keiner Weise das in der Natur
verbreitete Licht in seinen reichen Abstufungen spiegeln; denn jene
Stoffe verlieren durch die oft unvermeidlichen Mischungen an
Leuchtkraft, während Mischungen wirklichen Lichtes eine Steigerung
derselben herbeifuhren.

Die photometrischen Experimente der Physiker belehren uns
darüber, daß die Beleuchtung durch die Sonne etwa 800,000 Mal
stärker ist, als die hellste vollmondbelcuchtung. Zwischen diesen
natürlichen Helligkeitspolen des Tages und der Nacht bewegen sich
die Eindrücke, welche unser Sehorgan vermöge feiner wunderbar
regulirten Empfindlichkeit aufnehmen und unter gewissen Bedingungen
auch unterscheiden kann. Dagegen sind, wie Helm holt; bemerkt,
„die hellsten Farben des Malers absolut überhaupt nur hundert Mal
so hell, als diejenigen, die er für seine dunkelsten Schatten verwendet."
Mit demselben weiß, das er auf den Mantel eines von der wüsten-
sonne beschienenen Beduinen verwendet, malt er auch den Mond und
seine glitzernden Wasserreflexe. Der Maler muß daher nothgedrungen
darauf verzichten, eine korrekte „Lichtabschrift" der Natur
zu geben, er muß seiner Lichtgleichung eine andere, sehr beschränkte
Empfindungsskala zu Grunde legen, „die einem anderen Grad von
Erregbarkeit des beschauenden Auges angehört, bei welchem das
Drgan in seinen Antworten auf die Eindrücke der Außenwelt eine
andere Sprache spricht." (Helmholtz.)-

wie ist es nun aber erklärlich, daß in einer Gemäldeausstellung
ein sonniges wüstenbild und eine Mondscheinlandschaft beide auf uns
den Eindruck der „Lichtwahrheit" machen können, obschon die von den
Malern angewandten Lichteffekte im einen Falle so weit hinter der
Natur Zurückbleiben, im anderen Falle dieselbe sosehr übertreiben? Der
Grund liegt in der großen Fähigkeit unseres Sehorgans, sich wechselnden
Lichtabstuf,ingen anzupassen, wenn in denselben eine gewisse ver-
hältuißmäßigkeit gewahrt ist. Nicht auf die absolute, sondern auf
die relative Lichtähnlichkcit kommt es hier an. Dhue den direkten
vergleich mit der Natur haben wir in einem Falle die Nachempfiudung
der Sonnenhelle, im anderen die der Mondhelle, nur weil die künstlichen
Lichtabstufungen eine annähernd überzeugende „Gleichung" der Natur
liefern. Diese Anpassungsfähigkeit des Sehorgans hat ihre Würdigung
in dem Webe r-Fechner'schen „psycho-physischen Gesetz gefunden,
welches die Beziehungen mannigfaltiger sinnlicher Empfindungen zu
den sie erregenden Reizen ausdrückt, und das (nach Helmholz) für die
Lichtempfindungen in folgender Weise ausgesprochen werden kann:
„Innerhalb sehr breiter Grenzen der Helligkeit sind
Unterschiede der Lichtstärke gleich deutlich, oder erscheinen
in der Empfindung gleich groß, wenn sie den gleichen
Bruchtheil der gesammten verglichenen Licht stärken
aus ma ch e n."

Nach diesem Gesetze würden also drei benachbarte Farben, deren
absolutes Lichtquantum durch die Zahlen \oo : 50 : ;o ausgedrückt
werden kann, durch drei Farben der entsprechenden (Qualitäten mit
der Lichtstärke (0 : 5 : ( zu ersetzen sein, ohne daß sie (unter gewissen
Beleuchtungsverhältnissen) einen wesentlich anderen Eindruck auf uns
machen würden. Die Schwäche des für die Kunst so wichtigen „Ge-

setzes" besteht zunächst darin, daß die Grenzen seiner Wirksamkeit
schwer oder überhaupt nicht bestimmbar sind. — — Sodann muß wohl
beachtet werden, daß das Gesetz nicht für alle Farben, namentlich aber
nicht für alle durch Pigmente darstellbaren Farben gleichmäßige
Gültigkeit hat; nach Helmholtz haben neuere Messungen gezeigt,
daß die Empfindlichkeit unseres Auges für schwache Schatten im
Blau am größten ist, im Roth am geringsten.-Das Roth ver-

hält sich also wie eine Farbe, gegen deren Abstufungen das Auge
relativ uneinpfindlicher ist, als gegen das Blau. Dem ent-
sprechend treten aber auch die Erscheinungen der Blendung bei ge-
steigerter Helligkeit iui Roth schwächer auf als im Blau. — — —
Hieraus folgt also, daß es trotz dein Fechner'schen Lichtverhältniß-
Gesetz immer als ein mehr oder weniger unsicheres Experiment erscheint,
wenn der Maler sein Bild unter wesentlich anderen Beleuchtungs-
verhältnissen malt, als diejenigen sind, unter denen es dem Beschauer
vorgeführt werden soll. Der Pleinairist z. B. wird sich fragen müssen

Relief über dem Hauptportal der Heilig-Geist-Kirche in München.

von f Bildhauer Carl Fischer, München.

ob die im Freien, im Sonnenschein gemalten Lichter ihre farbigen Werthe
auch im Zimmer, in der Gallerie oder Ausstellung (im Glasxalast!) im
richtigen vcrhältniß beibehalten werden. Auch die Richtung
der Belichtung ist hiebei wesentlich; Farbstoffe, die in der von allen
Seiten gleich mächtig auf die Leinwand eindringenden Beleuchtung
im Freien sehr naturwahr und wirkungsvoll waren, können bei der
in geschloffenen Räumen herrschenden seitlichen oder von oben kommen-
den Beleuchtung einen großen Theil ihres farbigen Werthes einbüßen.
Das sind wohl die Hauptgründe, die für die Vollendung des Gemäldes
im Atelier sprechen. Indessen ausschlaggebend sind auch diese Ge-
sichtspunkte nicht. Für die Kritik ist es ja ganz gleichgiltig, wo das
Werk entstanden ist, ob es mit kurzem Gedächtniß angesichts der
wiedcrgegebenen Natur, oder mit langem Gedächtniß aus der Erinne-
rung geschaffen ward. Da aber die Farbenerinnerungen bis
zu einem gewissen Grade vom Wechsel der Szene unabhängig sind
und sich jedenfalls leichter, als die Farbstoffe der Palette, jeder tieuen
Szene anbequemen, so wird freilich am sichersten Derjenige Vorgehen,
der die Lichter und Farben der Natur, wie er sie im Rahmen gewisser
Beleuchtungen gesehen, so fest im Gedächtniß hat, daß er sie an
jedem Grte und unter jeder andern Beleuchtung im richtigen verhältniß
wiedergeben kann. Zum Mindesten muß der Maler das Zeug haben, an
seinem Werke die, dem Wechsel der Lichtszene entsprechenden farbigen
Korrekturen anzubringen, — d. h. die unter dem anderen Dache nicht

mehr zutreffende „Gleichung" als solche wieder herzustellen.-

Diese Verschiebungen in der Lichtgleichung des Malers haben
nun aber sehr wichtige Folgen für die Darstelluug der komplemen-
tären Energien, deren Vernachlässigung das Gemälde um einen
 
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