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In der Sektion der Möbel ist eine große Zahl von Ausstellern
vertreten; sie gibt sonach wirklich einen annähernd richtigen Begriff
von dem Geschmack und dem Fortschritt auf allen Gebieten der Fein-
tischlerci und der Schnitzerei. Jeder einzelne Landcstheil Italiens
hat seine Geschichte und seine Kunst, und die geschichtlichen wie die
künstlerischen Ueberliefernngen wurden lebendig erhalten trotz allen
politischen und sozialen Umwälzungen; die Spuren dieser Vorgeschichte
der Halbinsel finden sich auch heute in den künstlerischen und anderen
Erzeugnissen der einzelnen Landestheile wieder. Selbst wer mit der
italienischen Kunstgeschichte im Einzelnen nicht vertraut ist, wird in
Palermo bald den Faden für die kunstgewerbliche Entwicklung der
einzelnen Landestheile finden. Manchem erscheint dies als ein Vorzug
— dem Verfasser dieses hiugegen als ein Nachtheil. Der Fehler des
italienischen Kunsthandwerks besteht hauptsächlich darin, daß es in
der Liebe zur Vergangenheit zu sehr die Gegenwart vergißt, daß es
zu sehr in und von den Uebcrlieferungen lebt.
Betrachten wir z. B. die Möbel aus Palermo. Ein gewisser
d'Gnofrio hat Möbel ausgestellt im altsizilianischen Stil, d. h. nor-
männisch oder aus byzantinischen und arabischen Elementen gemischt;
Niemand wird behaupten wollen, daß diese Möbel unter den vielen
hervorragenden der Ausstellung nicht der Beachtung werth seien;
aber wie geschickt auch hier die Formen der sizilianischen Architektur
angewandt sind, — wie groß auch die bei deren Ausführung erwiesene
Fertigkeit ist, — so ist doch daneben keine Spur von eigenartiger
Gestaltungskraft wahrzunehmen. Im Uebrigen bewegen sich die
sizilianischen Möbel in klassischen und bäuerlichen Formen bis zur
Frostigkeit. In Sizilien fand allerdings im Gefolge der italienisch-
griechischen Kultur die klassische Kunst Eingang; aber in welchem
Theile Italiens war dies nicht mehr oder weniger der Fall? vielleicht
in der Lombardei, wo sich zur Zeit in der Kunst ein Geist der Unab-
hängigkeit entfaltet, wie sonst nirgends in Italien. Im Ganzen also
besteht in Italic,r die erwähnte regionale Absonderung des Kunst-
Handwerks; aber dieselbe erscheint wie an einem Faden aufgereiht,
an dem Faden der klassischen Ueberlieferung, welche in Italien immer
noch kräftig wirkt. Die Tischler und Schnitzer in Italien haben sich
namentlich die Renaissance zum Muster genommen, was die Aus-
stellung wieder bestätigt. Man erstrebt hier keine Originalität und
das Publikum ist unempfindlich gegenüber dieser Thatsache, welche uns
gegenüber der alten Kunst wirklich nicht zur Ehre gereicht; das ist
entschieden ein Mangel. Unsere Möbel sind oft akademisch entworfen,
mit zu wenig Rücksicht ans den praktischen Gebrauch. Das Publikum
kann sich an den Blüthen der Renaissance berauschen; denn man
schmückt die Tischchen, Schränke, Stühle rc. reich mit Drnamenien,
nachdem man sich an Luxus- und Para de möbeln inspirirt hat,
— aber an die praktische und industrielle Seite wird durchaus nicht
gedacht. Deßhalb wird die italienische Kunsttischlerei, wenn sie auf
diesem Wege weitcrgeht, immer mehr an Boden verlieren. In Palermo
sind Monumente in Holz ausgestellt, nicht Möbel; daß ist der
Uebelstand.
hinsichtlich der Keramik ist die Ausstellung nicht so beachtens-
werth wie hinsichtlich der Möbel. Nur eine Gruppe neuerer Arbeiten
macht einen bedeutsamen Eindruck: jene der Kunstgewcrbeschule zu
Neapel, welche verschiedene Glaskästen mit keramischen Erzeugnissen
von wirklicher Schönheit gebracht hat. Verfasser dieses ist kein Ehau-
vinist; eben deßwegen darf er freimüthig bekennen, daß von den
Erzeugnissen der neapolitanischen Keramik diejenigen eines berühmten
Keramikers — Lacciapuoti — eine unrühmliche Ausnahme machen;
derselbe verfertigt Vasen mit Lampagnolen und so plumpen und miß-
farbenen Blumen, daß mau wünschen muß, es mögen diese Dinge
nicht auf den Markt gebracht werden. Ueber Antouibou-Vicenza mit
seinen wunderbaren Blumen, wie über die Ausstellung von Ginori-
Florenz mit ihren prächtigen Renaissancearbeiten sprechen wir nicht
weiter, da deren hervorragende Leistungen bekannt sind.
Bei den Ausstellungen der Zeichenschulen konnte mau er-
staunt sein über die Bewegung, welche die kunstgewerbliche Erziehung
in Italien gewonnen hat. Es sind noch nicht viele Jahre her, daß
dieser Unterricht noch kindisch war und unsicher vorwärts schritt, ob-
gleich er besonders in England und Frankreich sehr ausgebildet war;
heute sind auch in Italien zahlreiche Kunstgcwerbe- oder sonstige ge-
werbliche Zeichenschulen verschiedenen Grades und in jedem kleinen
Gewerbezentrum, weil die Bevölkerung eine bedeutsame Hinneigung
zur Kunst hat. Aus der Ausstellung zu Palermo gibt die Gruppe
der Schulen, welche auf direkte Anregung des Ministers für Ackerbau
und Handel gemacht wurde, ein wahres und befriedigendes Bild der
von einem Beichtstuhl in der Klosterkirche zu Mttobeureti.
Ausgenommen und gezeichnet von M. Aien dl-München.
eben genannten Bewegung. Natürlich wird nicht überall Gutes ge-
leistet, an manchen Orten kaum Mittelmäßiges, wogegen andere lobens-
werthe Erfolge erzielt haben; aber eine bemerkenswerthe Thatsache
ergibt sich aus der Prüfung der Schularbeiten: Die lebhafte Fürsorge,
welche die italienische Regierung durch Begünstigung der Schulen für
„angewandte Kunst" (arte applicata) an den Tag gelegt hat, die rasche
Verbreitung dieses Unterrichts auf der ganzen Halbinsel und die gute
Aufnahme, welche dieses Vorgehen der Regierung überall gefunden.
Ans der Menge der ausgestellten Arbeiten rc., geht deutlich hervor,
daß diese Schulen in Italien einem wirklichen Bedürfniß entgegen-
kamen ; dabei darf man nicht vergessen, daß die meisten derselben aus
Privatinitiative hervorgegangcu sind. Das ist in einem Lande, in
welchem eine solche Initiative so selten ist, ein beredtes Zeichen. A. M.
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In der Sektion der Möbel ist eine große Zahl von Ausstellern
vertreten; sie gibt sonach wirklich einen annähernd richtigen Begriff
von dem Geschmack und dem Fortschritt auf allen Gebieten der Fein-
tischlerci und der Schnitzerei. Jeder einzelne Landcstheil Italiens
hat seine Geschichte und seine Kunst, und die geschichtlichen wie die
künstlerischen Ueberliefernngen wurden lebendig erhalten trotz allen
politischen und sozialen Umwälzungen; die Spuren dieser Vorgeschichte
der Halbinsel finden sich auch heute in den künstlerischen und anderen
Erzeugnissen der einzelnen Landestheile wieder. Selbst wer mit der
italienischen Kunstgeschichte im Einzelnen nicht vertraut ist, wird in
Palermo bald den Faden für die kunstgewerbliche Entwicklung der
einzelnen Landestheile finden. Manchem erscheint dies als ein Vorzug
— dem Verfasser dieses hiugegen als ein Nachtheil. Der Fehler des
italienischen Kunsthandwerks besteht hauptsächlich darin, daß es in
der Liebe zur Vergangenheit zu sehr die Gegenwart vergißt, daß es
zu sehr in und von den Uebcrlieferungen lebt.
Betrachten wir z. B. die Möbel aus Palermo. Ein gewisser
d'Gnofrio hat Möbel ausgestellt im altsizilianischen Stil, d. h. nor-
männisch oder aus byzantinischen und arabischen Elementen gemischt;
Niemand wird behaupten wollen, daß diese Möbel unter den vielen
hervorragenden der Ausstellung nicht der Beachtung werth seien;
aber wie geschickt auch hier die Formen der sizilianischen Architektur
angewandt sind, — wie groß auch die bei deren Ausführung erwiesene
Fertigkeit ist, — so ist doch daneben keine Spur von eigenartiger
Gestaltungskraft wahrzunehmen. Im Uebrigen bewegen sich die
sizilianischen Möbel in klassischen und bäuerlichen Formen bis zur
Frostigkeit. In Sizilien fand allerdings im Gefolge der italienisch-
griechischen Kultur die klassische Kunst Eingang; aber in welchem
Theile Italiens war dies nicht mehr oder weniger der Fall? vielleicht
in der Lombardei, wo sich zur Zeit in der Kunst ein Geist der Unab-
hängigkeit entfaltet, wie sonst nirgends in Italien. Im Ganzen also
besteht in Italic,r die erwähnte regionale Absonderung des Kunst-
Handwerks; aber dieselbe erscheint wie an einem Faden aufgereiht,
an dem Faden der klassischen Ueberlieferung, welche in Italien immer
noch kräftig wirkt. Die Tischler und Schnitzer in Italien haben sich
namentlich die Renaissance zum Muster genommen, was die Aus-
stellung wieder bestätigt. Man erstrebt hier keine Originalität und
das Publikum ist unempfindlich gegenüber dieser Thatsache, welche uns
gegenüber der alten Kunst wirklich nicht zur Ehre gereicht; das ist
entschieden ein Mangel. Unsere Möbel sind oft akademisch entworfen,
mit zu wenig Rücksicht ans den praktischen Gebrauch. Das Publikum
kann sich an den Blüthen der Renaissance berauschen; denn man
schmückt die Tischchen, Schränke, Stühle rc. reich mit Drnamenien,
nachdem man sich an Luxus- und Para de möbeln inspirirt hat,
— aber an die praktische und industrielle Seite wird durchaus nicht
gedacht. Deßhalb wird die italienische Kunsttischlerei, wenn sie auf
diesem Wege weitcrgeht, immer mehr an Boden verlieren. In Palermo
sind Monumente in Holz ausgestellt, nicht Möbel; daß ist der
Uebelstand.
hinsichtlich der Keramik ist die Ausstellung nicht so beachtens-
werth wie hinsichtlich der Möbel. Nur eine Gruppe neuerer Arbeiten
macht einen bedeutsamen Eindruck: jene der Kunstgewcrbeschule zu
Neapel, welche verschiedene Glaskästen mit keramischen Erzeugnissen
von wirklicher Schönheit gebracht hat. Verfasser dieses ist kein Ehau-
vinist; eben deßwegen darf er freimüthig bekennen, daß von den
Erzeugnissen der neapolitanischen Keramik diejenigen eines berühmten
Keramikers — Lacciapuoti — eine unrühmliche Ausnahme machen;
derselbe verfertigt Vasen mit Lampagnolen und so plumpen und miß-
farbenen Blumen, daß mau wünschen muß, es mögen diese Dinge
nicht auf den Markt gebracht werden. Ueber Antouibou-Vicenza mit
seinen wunderbaren Blumen, wie über die Ausstellung von Ginori-
Florenz mit ihren prächtigen Renaissancearbeiten sprechen wir nicht
weiter, da deren hervorragende Leistungen bekannt sind.
Bei den Ausstellungen der Zeichenschulen konnte mau er-
staunt sein über die Bewegung, welche die kunstgewerbliche Erziehung
in Italien gewonnen hat. Es sind noch nicht viele Jahre her, daß
dieser Unterricht noch kindisch war und unsicher vorwärts schritt, ob-
gleich er besonders in England und Frankreich sehr ausgebildet war;
heute sind auch in Italien zahlreiche Kunstgcwerbe- oder sonstige ge-
werbliche Zeichenschulen verschiedenen Grades und in jedem kleinen
Gewerbezentrum, weil die Bevölkerung eine bedeutsame Hinneigung
zur Kunst hat. Aus der Ausstellung zu Palermo gibt die Gruppe
der Schulen, welche auf direkte Anregung des Ministers für Ackerbau
und Handel gemacht wurde, ein wahres und befriedigendes Bild der
von einem Beichtstuhl in der Klosterkirche zu Mttobeureti.
Ausgenommen und gezeichnet von M. Aien dl-München.
eben genannten Bewegung. Natürlich wird nicht überall Gutes ge-
leistet, an manchen Orten kaum Mittelmäßiges, wogegen andere lobens-
werthe Erfolge erzielt haben; aber eine bemerkenswerthe Thatsache
ergibt sich aus der Prüfung der Schularbeiten: Die lebhafte Fürsorge,
welche die italienische Regierung durch Begünstigung der Schulen für
„angewandte Kunst" (arte applicata) an den Tag gelegt hat, die rasche
Verbreitung dieses Unterrichts auf der ganzen Halbinsel und die gute
Aufnahme, welche dieses Vorgehen der Regierung überall gefunden.
Ans der Menge der ausgestellten Arbeiten rc., geht deutlich hervor,
daß diese Schulen in Italien einem wirklichen Bedürfniß entgegen-
kamen ; dabei darf man nicht vergessen, daß die meisten derselben aus
Privatinitiative hervorgegangcu sind. Das ist in einem Lande, in
welchem eine solche Initiative so selten ist, ein beredtes Zeichen. A. M.
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