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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1892

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Heft 11/12
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Riegl, Alois: Spanische Aufnäharbeiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.6906#0080

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■J- 70 -?

daran zur Darstellung gelangten Muster sich mit der auf
Spaniens Boden im Mittelalter heimisch gewesenen sara-
zenischen Rankenornamentik, der sogen. Maureske berühren.

Nr. 9. Spanische Aufnäharbeit.

Farben: bellbraun und dunkelgrün (Soutb-Kensington-Museuin).

Es fragt sich aber, ob nicht das ornamentale Grundschema
dieser Aufnäharbeiten selbst, ob nicht die reciproke Musterung
schon an und für sich aus Rechnung sarazenischen Kunst
geistes gesetzt werden muß?

Reciproke Muster hat es nun zu allen Zeiten, sowohl im
Griente, als im Gccident gegeben. Zn der abendländischen
Kunst waren es aber vornehmlich geometrische Motive,
die zu diesem Zwecke zur Verwendung gelangt sind. Einer
höher entwickelten Kunst erscheinen geometrische Motive zu
bedeutungslos, als daß man dieselben zur Verzierung nam-
hafterer, breiterer Flächen heranziehen würde; — sie wird
daher geometrische Muster vornehmlich in schmalen Säumen
gebrauchen, die zwar Flächen von einander trennen, aber
durch ihr Muster nicht auffallen sollen. Genau dieses Ver-
hältniß gewahren wir in der spätantiken Textilkunst Egyp-
tens, die uns durch die Textilfunde von Sakkarah und
Akhmim in so zahlreichen Beispielen vorliegt. Mir be-
gegnen daran überaus häufig den reciproken Gamma-
und Tau-Säumen,*) aber immer nur in der angedeuteten
untergeordneten Funktion. Breitere Bordüren erscheinen mit
bedeutungsvolleren, pflanzlichen oder Thier-Grnamenten ge-
mustert, die sich klar und selbständig vom einfärbigem Grunde
abheben. Dies ist abendländischer Kunstgeist: das Grna-
ment habe mit Bedeutung gefällig zu fein; die Bedeutung
erfordert aber vor allem, daß das Motiv klar erkennbar
sei, und sich deutlich vom umgebenden Grunde abhebe. Die
besprochenen spanischen Aufnäh-Arbeilen bringen nun vege-
tabilische Motive in das reciproke Schema. Daß die Motive
hiedurch an augenfälliger Klarheit und selbst-
ständiger Bedeutsamkeit gewonnen hätten, wird
Niemand behaupten. Das Ineinander-Verschrän-
ken der Figuren, sowie das fortwährende Mech
sein der Farbe bewirken vielmehr das Gegen-
theil: sie vcrräthseln die Formen und verwischen
die Bedeutung der Einzelmotive. Es drückt sich
darin in Farbe und Muster jene Kunstweise aus,
die Gottfried Semper das Prinzip der gleich-

mäßigen vertheilung genannt und als spezifisch orientalisch
dem abendländischen Prinzipc der Subordination gegenüber
gestellt hat. Die Verwendung pflanzlicher Motive nach reci-
prokem Schema scheint somit schon a priori dem sarazenischen
Kunstgeiste am reinsten zu entsprechen. Es wird daher wohl
nicht schwerfallen, seinen Spuren aus sarazenischen Denkmälern
außerhalb von Spanien zu begegnen. Gb sich solche textiler
Natur aus dem Mittelalter heute noch Nachweisen lassen,
vermag ich nicht zu entscheiden; in der Literatur ist mir
nichts dergleichen begegnet. Aus neuerer Zeit liegen reci-
proke Dreiblatt-Bordüren auf einigen orientalischen Tep-
pichen, und Stickereien des India-Museums zu London vor,
von denen mir Prof. Gmelin berichtet hat. Dagegen hat
sich reiches einschlägiges Material in 60lz- und Stein
Marqueterie erhalten. Das auf S. 72 gegebene Beispiel
aus Kairo (cl) ist aus Bourgoin's Precis de l’art arabe
II. 57 entlehnt, wo weitere Exemplare von dieser Art zu
Dutzenden zu finden sind. Es ist auch keineswegs zufällig,
daß dies gerade Reproduktionen von Einlege-Arbeiten sind.
Mit der Intarsia hat es ja die Aufnäh-Arbeit gemeinsam,
daß nach Ausschneidung eines bestimmten Motives aus
einem gegebenen Stoffe der stehengebliebene Grund wieder
Muster werden kann, sobald man die Farben von Grund
und Muster vertauscht. Die dadurch ermöglichte Ersparniß
an RIaterial haben sich selbst europäische Intarsiatoren, wie
z. B. Boulle, mit Erfolg zu Nutze gemacht. Am allerein
fachsten gestaltete sich natürlich die Sache, sobald man ein
reciprokes Muster wählte, und dies that die sarazenische
Kunst, was, wie wir gesehen haben, durch Denkmäler in
Stein- und polzmosaik unmittelbar nachgewiesen ist; für
das textile Gebiet werden wir die spanischen Aufnäharbeiten
als indirektes Beweismaterial aufführen dürfen. Daß aber
nicht die Technik, wie vielleicht die Anhänger der technisch-
materiellen Entstehung der Grnamente werden annehmen
wollen, die in Rede stehenden Formen erzeugt hat, daß
vielmehr umgekehrt die Kunstsormen früher vorhanden
waren und im geeigneten Momente den entsprechendsten
Techniken angepaßt worden sind, wird wohl für jeden außer
Zweifel stehen, der überhaupt einer historischen Betrachtungs-
weise gleich der für die Bordürenmuster Nr. 2 ff. gegebenen
zugänglich ist.

So reiche Beispiele reciprok gemusterter Marqueterien,
wie das S. 72 in Abbildung wiedergegebene aus Kairo,
vermag ich wenigstens augenblicklich aus dem Bereiche der
maurischen Kunst aus spanischem Boden nicht beizubringen.
In einfacheren Formen begegnet man aber das Schema viel
fach an den Bauwerken der Alhambra. Zum Beweise diene
das S. 72 (e) abgebildete Stück einer Pilasterfüllung aus
der Sala de la Barca nach Owen Jones.

*) LI J ■! J u»d

Nr. (0- Spanische Aufnäharbeit.

Schwarze und weiße Seide. Aus dem Besitz des Bildhauers I. Arauth in Frankfurt a/M.
 
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