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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1892

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Heft 11/12
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Riegl, Alois: Spanische Aufnäharbeiten
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https://doi.org/10.11588/diglit.6906#0082

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bestimmte nicht allzu lange Zeit dazwischen niüssen die in
Rede stehenden Muster auch in Italien verbreitet gewesen
sein. Den Beweis dafür liefern zwei Modelbücher, die
beide den Sechszigerjahren des sechszehnten Jahrhunderts
angehören, und in Venedig erschienen sind. — Das erste
betitelt sich Opera nova intitolata la fede dei recami,
und hat Domenico dei Franceschi, Venedig (564, zum
Perausgeber. Blatt A 4 verso dieses Buches (Original
im österr. Museum) enthält die unten (5) abgebildeten zwei
Muster. Dieselben sind ziemlich streng nach spanischem
Muster entworfen, stehen aber im Effekt den meisten der
von UNS abgebildeten Bordüren nach. - Das zweite (auch
von Mngania reproduzirte) Buch ist die Vera perkettione
des Giov. Ostans, Venedig (567. Das sechszehnte Blatt
dieses Buches zeigt die gleichfalls hier zur Abbildung ge-
brachten Muster (g). Die schmäleren darunter sind höchst
einfacher Art und nächstverwandt dem oberen Schmalstreifen
unserer Nr. (. Der breitere Streifen zeigt aber eine fort
laufende Wellenranke von abendländischem Ductus; die an-
gesetzten „Blatt"-Motive allerdings stellen auch hier den
Zusammenhang mit der Maureske her.

d) XlTarqneterie aus Kairo (vgl. 9. 70).

Das Ergebniß, das wir hieraus gewinnen, ist ein
doppeltes. Einmal die Gewißheit, daß inan auch in Italien
mindestens in den Sechszigerjahren des (6. Jahrhunderts
die reciproken psianzenmuster der spanischen Aufnäharbeiten
gekannt, zu Vorlagen verwendet und daher wohl auch aus
geführt hat. Es wird sonnt von nun an keineswegs an
gehen, eine Aufnäharbeit bloß unr des an ihr zu Tage
tretenden reciproken Musters willen spanischem Ursprünge
zuzuschreiben. Die Modelbücher geben nickst einmal ein
Kriterium an die pand, das eine halbwegs begründete Unter-
scheidung zwischen spanischen und italienischen Arbeiten reci
proken Musters auf Grund dieses letzteren allein gestatten
würde. Die Wellenranke des Ostens trägt zwar einen
freieren Tharakter zur Schau, die Beispiele des Domenico
dei Franceschi sind aber völlig spanisch. Letzterer Umstand
wird uils auch eine direkte Uebertragnng dieser Muster aus
Spanien nach Italien annehmen lasten müssen, und nicht
etwa eine selbständige venezianische Ableitung aus dem Sara-
zenischen, wofür ja in Venedig manche parallele geltend zu
machen wäre. Daß aber gerade in Venedig die bezüglichen
Muster in Betrieb gekonmien sind, mag sich am Ende nicht
bloß aus typographischen, sondern zum Theil auch aus kultur-
historischen Gründen, aus dem altherkömmlichen Orientalis-
mus in den Neigungen der Venezianer erklären. Der einzige
Umstand, der an beiden gegebenen Beispielen aus veneziani

scheu Modelbüchern für nichtspanischen Ursprung spricht, liegt
außerhalb der formalen Beschaffenheit der Mustermotive. Es
ist dies die (Zuadrirung, mittels welcher auf beiden Vorlagen
die weißen Flächen des Musters
ausgestattet sind. Die Nächstliegende
Erklärung hiesür wäre diejenige,
daß diese Muster insbesondere für
Applikation aus Netzgrund bestimmt
waren, wofür sich u. a. ein allerdings
nicht reciprokes Beispiel in der ein
gangs erwähnten Publikation von
F. Lipperheide findet. Es ist aber
kaum anzunehmen, daß man sich
in Italien auf die in gewisser Be-
ziehung geradezu stilwidrige An
wendung der reciproken Muster auf
Netzgrund beschränkt haben soll.

Das zweite Ergebniß, das wir
aus der Betrachtung der italien-
ischen Modellbücher gewinnen, betrifft die Zeitbestiminung.
In den Sechszigerjahren des (6. Jahrhunderts finden die
in Rede stehenden Aufnäharbeiten Verbreitung in Venedig;
in Spanien müssen sie also gewiß schon früher geübt worden
sein, jedenfalls zur gleichen Zeit noch in Verwendung ge-
standen haben. Wenn man nun bisher im Allgemeinen
das (6. Jahrhundert als Datirungszeit dieser Arbeiten
nannte, wird man dieselbe nunmehr etwa zwischen die Jahre
(550—(580 zu setzen haben.

Eine strengere Behandlung der zu einem reciproken Aus
näh-Muster zusammengestellten Motive wird man also gemäß
dem vorhin Gesagten nicht inehr als absolutes Kriterium
für spanische Perkunst hinstellen dürfen. Ist aber umgekehrt
eine freiere Behandlung ein Ausschließungsgrund für spanische
Arbeiten? Auch diese Frage wird man verneinen müssen
angesichts der Decken auf Tafel 54, die fämmtlich von I.
Krauth aus Spanien gebracht und nach St. Petersburg
verkauft worden sind.*) Die freiere Behandlung drückt sich


f) Spitzenmuster.

Had) Domenico dei Franceschi, Venezia J56^.

hier ebensowohl in der Rankenführung im Allgemeinen als
in den Motiven im Einzelnen in der entschiedensten Weise
aus. In Fig. ( und 5 läuft das Rankenwerk um die

*) Die folgenden Nummern gruppireu d'g. 2

sich auf der Tafel in dieser Weise: 9 zig. g'3' ^
 
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