Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1894

DOI Heft:
Heft 2
DOI Artikel:
Krell, Paul F.: Die Papiertapete: das Wesen der Papiertapete [und] aus der Geschichte der Papiertapete [und] die Tapetenindustrie in unserer Zeit
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.6754#0033

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
worden. Die vielfachen Beziehungen Englands zum Grient
konnten selbstverständlich bei einem ornamentalen Gebiet,
das sich fortwährend nach neuer Zufuhr umblickt, nicht ohne
Einwirkung bleiben. So ist die indische und persische
Ornamentik in der englischen Dekoration zu spüren, noch
bedeutender aber die japanische. Als in Europa die, in
ihren Details so reizvolle japanische Aunst Furore zu machen
begann, kam man in England auf die raffinirte Idee, ein
Erzeugniß herzustellen, bei welchem einestheils der volle
Reiz japanischer Arbeit bewahrt bliebe, anderntheils dem
europäischen Geschmack, d. h. namentlich den spezifischen
Stilforderungen uuserer Tapete Rechnung getragen wäre.
Dementsprechend wurde der japanische Zeichner mit den
Gesetzen der Muster für Tapeten bekannt gemacht, d. h. man
gab ihm, so zu sagen, die Umrisse an, in welche er seine
Blumen und Früchte, seine Zweige, Vögel, Schmetterlinge
u. s. w. und seine arabeskenartigen Wolken, Wellen und
Felsen hineinzeichnete. Diese, unter dem Namen „Japan
Produkt" ausgegebenen Tapeten fanden vielen Anklang
und sie begannen vom Jahre f885 an in England und
in den Vereinigten Staaten von Nordamerika die Leder
tapcten zu verdrängen.

Näher als der englischen Tapetenindustrie steht indeß
die unsrige der französischen, und wie sonst noch in vielen
Dingen haben wir uns im Tapetenwesen, im Inland wie
im Ausland vor Allem der Loncurrenz Frankreichs zu er-
wehren. — Die gegenwärtig von der Mode bevorzugte
Gattung von Tapetenmustern ist von Paris ausgegangen
und hat seit fünf bis sechs Jahren begonnen, die alten
Stilmuster zurückzudrängen. Es sind naturalistische
Blumendessins, d. h. Gestaltungen, welche aus einer
intimen Naturbeobachtung hervorgegangen sind, deren Reiz
in der frischen Enrpfindung und der virtuosen Darstellung
besteht, welche jedoch allerdings öfter in unzureichender Weife
stilisirt sind. Wesentlichen Antheil an dem Erfolg dieser
neuen Richtung hatte das frische, Helle, wir möchten fast
sagen Dieiwair-Lolorit, dem gegenüber dasjenige der Stil-
muster trüb und schwerfällig erschien. Eine besondere Be-
achtung verdient noch der Umstand, daß mit dieser Neuerung
die frühere Tendenz, durch Billigkeit den Markt zu be-
haupten, verlassen, und damit der Beweis erbracht wurde,
daß sich bei der jetzigen pöhe des Geschmackes durch eine
Steigerung des künstlerischen Momentes geschäftlich nicht
minder bedeutende Erfolge erzielen lassen.

In den Areisen der Fachmänner der deutschen Tapeten-
industrie selbst wird dein Aufkommen der iit Rede stehenden
Verzierungsweise die ungünstige Verschiebung zugeschrieben,
welche sich in unserem Import und Export im Verhältniß
zu Frankreich gerade seit 6 bis 7 Jahren vollzogen hat.
Deutschland, in den decorativen Ärmsten seit mehr als einem
Dezennium andere Pfade wandelnd, war nicht gerüstet, tu
dieser Spezialität zu concurriren oder derselben ein dem
modernen Geschmack gleich sehr zusagendes neues Genre
gegenüber zustellen. — Bis zum Jahr \ 887 stieg unsere
Gesa mm tausfuhr auf 28 5^3 Doppelcentner und sank
dann bis zum Jahr f89l auf 25f65 Doppelcentner herab,
während die im Wesentlichen aus Frankreich kommende
Gesammteinfuhr, welche im Jahre H,887 nur \622
Doppelcentner betrug, von da ab bis l89l auf 3752 Doppel-
centner stieg. Erst im Jahr \8C)2 ergab sich wieder eine

Besserung, indem sich die Gesammtausfuhr wieder auf
23 9l6 Doppelcentner hob und die Gesammteinfuhr auf
5^28 Doppelcentner herabging.

Nun läßt sich wohl sagen, daß diese naturalistischen
Blumenmuster auch eines Tages wieder anderen Dessins
Platz machen werden, daß ferner die Nachfrage nach Stil*
mustern immer vorhanden sein und sich sicher auch einmal
wieder weit lebhafter gestalten wird. — Aber wir dürfen uns
der Erkenntniß nicht verschließen, daß es sich eben nicht nur
um diesen einzelnen Fall handelt, daß die Wurzel des Nebels

7. Salontapete.

Deutscher Handdruck; Lhrysantbemum-Muster.

viel tiefer zu suchen ist. Nnsere ganze decorative Aunst bedarf
der Auffrischung und Erneuerung, welche ihr nur durch eine
innige Versenkung in die Natur zu Theil werden kann.

Was sodann das Tapetenwesen speziell betrifft, so gibt
es darin verschiedene Mißstände, welche die zur Verfügung
stehenden Aräfte und Mittel nicht zur vollen Entfaltung
und Wirksamkeit gelangen lassen. Dieser Zweig der Aunst-
industrie ist aber zu wichtig, als daß nicht der Erhaltung
und Förderung desselben die größte Aufmerksamkeit zu ge-
wendet werden sollte. Der Umsatz in Deutschland beträgt
jährlich etwa 35 Millionen Mark.
 
Annotationen