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Zeitschrift des Bayerischen Kunstgewerbe-Vereins zu München: Monatshefte für d. gesammte dekorative Kunst — 1894

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Heft 6
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Berlepsch-Valendas, Hans E. von: Kunstgewerbliches aus Dalmatien, [1]
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https://doi.org/10.11588/diglit.6754#0060

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mittel zu Nutze ziehe. Studiert man aber die Verhältnisse
des nicht städtischen Volkes, des eigentlichen Bauern oder
des unter bäuerlichen Regeln lebenden Landbewohners, so
treten da ganz andere Resultate zu Tage und man kommt
in gar vielen Dingen zu der Einsicht, daß unsere Zeit gar
nicht so entsetzlich weit von jener entfernt ist, wo man noch
keine Geschichte schrieb. Das trifft hauptsächlich neben den
wenigen kleinen Bruchtheilen eingewanderter fremder Sprach-
stäinme (Magyaren, Finnen, Letten, Tartaren rc.) in erster
Linie bei der slavischen Welt Europas zu, bei der christlichen
sowohl als auch bei der mohamedanischen. Man ist gewohnt,
der letzteren und ihrem noch vor wenigen Jahrzehnten
große Länderstrecken von Europa beherrschenden Regiment
allein die Schuld beizumessen für das kulturelle Stehen-
bleiben großer Volksstämme. Daß das Ehristenthum in
manchen Fällen nichts geändert hat gegenüber den Ruit Ur-
zuständen der vorchristlichen Zeit, zeigt ein guter Theil Ruß-
lands, der nie unter der Herrschaft des Islam gestanden

3. Von der Domthüre zu Sxalato.

hat, von näher liegenden Beispielen ganz zu schweigen.
Ein weiteres prägnantes Beispiel dafür ist Dalmatien, die
Städte ausgenommen, welch letztere, obwohl heute so zu
sagen ganz slavisirt, dennoch das romanische Bildungs-
fundament auf Schritt und Tritt zeigen.

Wer mit dem Dampfer entlang der Rüste fährt oder
die wunderbar großartige Inselwelt kennen lernt, überall
den Löwen von San Marco noch an Thürmen und Thoren,
und weiter südlich das Wahrzeichen von Ragusa, den heiligen
Blasius angebracht sieht, vermuthet kaum, daß die an der
Rüste wahrnehmbare Rultur nicht viel mehr als eine Tou-
liffe ist, hinter welcher unmittelbar ganz andere Dinge liegen.
Man braucht nur den großen Jahrmarkt zu Salona (8. Sep-
tember) mitgemacht, dort alle die Volks-Typen und ihre
mannigfarbigen Trachten studirt und dabei gesehen zu haben,
was an Objekten kunstgewerblicher Art dabei von den Er-
zeugern — Fabrikant wäre hier ein unzutreffender Ausdruck —
feilgeboten wird. Reinen Augenblick wird man im Zweifel
sein können, daß die Rultur der Städte und jene des Landes

dort himmelweit von einander abstehen. Der reiche Metall-
schmuck der Weiber zeigt Formen, wie sie bei prähistorischen
Funden typisch Vorkommen. Das Rlapperblech spielt zuin
Beispiel dabei eine Hauptrolle. Wer bei festlicher Gelegen-
heit den Gesang der Männer, den Ton der dudelsackartig
klingenden Doppelstöte „Spirola" (wie der antike «uXo; mit
einem Mundstück und zwei yX&66cci versehen) und der ein-
saitigen Gusla gehört, den Duft der an einem Pfahl über
glühenden Rohlen schmorenden ganzen pammel genossen
und einer Mahlzeit unter Morlaken angewohnt hat, wird
kaum die Empfindung tragen, daß hier die Rultur der Neu-
zeit starke Wurzeln treibe. Es offenbaren sich dem Auge
Ueberbleibsel einer für uns moderne Rulturmenfchen längst
verschwundenen Welt. Im Ganzen liegt etwas Urwüch-
siges, seltsanr Phantastisches, etwas von stehen gebliebener
Vorzeit. Als eines der bei den Morlaken gebräuchlichen
Spiele führt Fr. Petter, der gründlichste Renner des Landes
und Verfasser einer bei Justus Perthes erschienenen zwei-
bändigen Beschreibung des Landes ((857) auch das auf,
einem, von einem Baumast niederbaumelnden Stück Feder-
vieh in schnellstem Vorüberlaufen mittelst des pandjars den
Ropf voin Rumpfe zu trennen. Frägt man aber bei Sol-
daten und Offizieren der etwas südlicher gelegenen Distrikte
der Bocche di Tattaro nach dem Verhalten der Bevölkerung,
so kann man die herrlichsten Geschichten von abgeschnittenen
Ohren, Nasen oder ganzen Röpsen erfahren, die noch heute
beim Eingeborenen als Siegestrophäen gelten. Am Meeres-
strand, in allerkürzester Entfernung von den Schauplätzen
dieser Thaten, ragen stolze steinerne Paläste und Rirchen.
Die Berührung der fortschreitenden Rultur mit der stehen
gebliebenen ist hier Jahrhunderte alt. Sie hat kaum etwas
zu ändern verinocht.

So viel politische perren sich auch festsetzten in diesem
Rüstenlande, immer galt ihr Streben nur den festen Plätzen
am Meere und den davor gelagerten Inseln. Was weiter
landeinwärts, lag auch außerhalb der Sphäre der Bildungs-
bemühungen, womit Regierungen zuweilen an ihre Unter-
thanen herantreten.

Wie alt die von unzähligen Eroberen sprechende Ge-
schichte des Landes ist, sagt der Name Illyria. Natürlich
lassen sich auch hier schwerlich jemals die Schleier lüften,
die über den Tagen vor der Aneignung durch eine starke,
ihren politischen Einfluß nach Außen durch Monumente
dokumentirende Nation schweben. Illyrius war ein Nach-
komme des Tyklopen Polyphem und der Galatea.. Ihm
wird nach der einen Version die älteste Gründung einer
eigentlichen Herrschaft in diesen Landen zugefchrieben, während
eine andere pyllus, den Sohn des perakles als den Vater
einer Monarchie in jenen Landen bezeichnet. Die Argo-
nauten, die voin schwarzen Meere her den Ister (Donau)
aufwärts ihre Fahrt richten und auf unbekannten Wegen
dann hernieder steigen zur Adria (eine treffliche Versinn-
bildlichung des Zusammentreffens der verschiedensten Rul-
turen; die Funde um Laibach z. B. gehören in dieser pin-
sicht zum Merkwürdigsten, was ein und dieselbe Periode an
greifbaren Leistungen aufzuweisen vernrag), benennen die ins
Meer vorspringende palbinsel zur Erinnerung an ihre Fahrt.
Die Medea-Sage hängt mit den Eilanden des Auarnero
zusammen; von Ilion zurückkehrende Pelden werden an diese
Ufer verschlagen und die aus Asien weggetriebenen Liburnier
 
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