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Brandi, Karl [Bearb.]
Quellen und Forschungen zur Geschichte der Abtei Reichenau (Band 1): Die Reichenauer Urkundenfälschungen: mit 17 Tafeln in Lichtdruck — Heidelberg, 1890

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https://doi.org/10.11588/diglit.14855#0054

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36

Kritik der Fälschungen.

Nr. 25, worin Karl III. eine Schenkung Karlmanns über Güter am Comersee bestätigt haben soll,
enthält unverkennbar wörtlich echte Bestandteile; Mühlbacher1) macht u. a. auf die spezifisch italienische
Pertinenzformel aufmerksam; man könnte dem "noch die Bezeichnung «insolanense cenobium» für
Reichenau, die allein im IX. Jahrb.. gebräuchlich war, hinzufügen; aber nur mit Mühe erklärt
Mühlbacher ebendort die recht bedenklichen Wendungen:

«et instinctu dilectae coniugis nostrae Rehgardae et multorum principum consilio»,

«et gloriosissimi regis anulo consignatum»,

«[Romae] coram domüio Papa Iohanne et multis principibus»,

«ea lege, eo jure decrevit» und vor allem die Titulatur Karls als rex [zu Rom 881] _ für

möglich; richtiger nimmt Mühlbacher [BM. 1567] nach Einsicht der Urschrift an, daß uns eine
Fälschung vorliegt, die mit ausgiebiger Benutzung einer echten Vorlage gearbeitet wurde; diese
Vorlage scheint mir nun eben jene, angeblich hier bestätigte, Urkunde Karlmanns gewesen zu sein,
welche ihrerseits, nach Ausweis des Besitzverzeichnisses nur die Schenkung von Grabedona [nicht
Turdela, Sandrobium und Oastanado] enthielt; so erklären sich außerdem am einfachsten die vielen
echten Formalien, meist italienischer Färbung2), und andererseits die unhaltbare Formulierung vieler
Einzelheiten; für das Protokoll wäre dann eine der vielen Urkunden Karls III., welche das Kloster
besaß, zu Rate gezogen. Gefälscht scheint also hier Besitz in Turdela, Oastanado und [S]androbium3),
während derjenige in Grabedona echt ist; ganz dasselbe bestätigt nun aber auch eine spätere
Nachricht; 1312 Okt.. 27 transsumiert und schützt Heinrich VII. zwei Urteilsprüche des Richters
von Como zu Gunsten der Reichenau4), und in diesen kommt allein Grabedona wirklich als
Reichenauischer Besitz vor.

Daß man aber etwa im XII. Jahrh. die unmittelbare Veranlassung zur Fälschung haben
konnte, ergiebt sich aus der angeblichen Urkunde Walahfrids (Nr. 9,2), welche für den klösterlichen
Haushalt u. a. verlangt: «de Langobardia XII modios castanearum, H soumas olei».

Bezüglich Nr. 27. hat ebenfalls Mühlbacher5) die für eine Urkunde Karls III. kanzleiwidrigen
Wendungen, ungewöhnliche (jüngere) Arenga u. unmögliche Datierung hervorgehoben. Kann danach
die für andere Teile notwendig anzunehmende echte A^orlage6) nur sehr flüchtig benutzt sein, so
wird das durch einen bestimmten Punkt ganz augenfällig; die Urkunde ist stets vornehmlich des-
wegen verworfen, weil sie sich den unverzeihlichen Irrtum hat zu Schulden kommen lassen, Liutuuard
für einen Abt der Reichenau auszugeben; dieser Verstoß aber ist lediglich ein Abschreibefehler;
man vergleiche die richtige Wendung etwa in Nr. 29:

«quiaLiutuuardus [uir . . episcopus, atque Ruodhohus augiae monasterii] uenerabilis abba —»;
die Verwechselung wäre ja auch für einen Reichenauer Mönch fast undenkbar.

Im ganzen lassen die Formeln auf eine von Karl III. als König ausgestellte, von Inquirin
rekognoszierte Schenkungsurkunde [unbestimmbaren Datums] als Vorlage schließen; der Anspruch
auf die beiden Orte ist, wie erwähnt, zweifelsohne gefälscht. —

Wie man sich eine derartige Verwertung echter Muster praktisch zu denken hat, läßt sich
bei Nr. 37 und 39 beobachten; beide Fälschungen geben thatsächlich nur echte, uns noch erhaltene

') W. S. B. 02, 4SG.

2) Auch die auffallende Nachahmung italienischer Schrift, vergl. p. 52.

3) Leider läßt sich aus den italienischen Quellen, etwa Tattis Annalen, nichts über diese Orte, nicht einmal
über ihre Wortformen, in Erfahrung bringen.

») Zs. ORh. XXVII, 478. N. F. I, 15<J. -
6) W. S. B. 92, 487.

c) Wie stark dieselbe auf die Schrift einwirkte, ist p. 51 ausgeführt.
 
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