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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0255

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IV. Die griechische Kunst in ihrem Streben nach Süsserer Wahrheit.

251

Gefühl der Ohnmacht, gegenüber der strafenden Gewalt der Götter, mütterliche
Liebe in der höchsten Verzweiflung um den Verlust des Theuersten, ihres grössten
Stolzes, Entsetzen und Todesfurcht, der jähe Tod selbst, das ist es, was uns diese 358
Statuen in den verschiedensten Abstufungen, aber in einer in sich abgeschlossenen
Reihe von Erscheinungen in der lebendigsten, kaum mehr rührenden, sondern
niederschmetternden Auffassung vor Augen stellen. Eine so gewaltige Handlung
lasst allerdings den Werth der Form an sich, sowie das aus ihrer Schönheit
allein entspringende Behagen untergeordnet erscheinen; und in dieser Beziehung
ist die Beobachtung nicht gering anzuschlagen, welche Wagner über die Statuen
der Niobe in ihrem Verhältnisse zur Kunst des Praxiteles ausspricht: ..die Formen",
sagt er, „sind nicht mit derselben Zartheit angegeben, sondern weit einfacher
und anspruchsloser. Ihre Stellungen erscheinen weniger zierlich, aber in ge-
wissem Betracht naiver. Die Falten sind einfach und schlicht gewogen, eben
so schlicht und unbefangen ausgeführt, und ohne dass das Einzelne so sehr
berücksichtigt wäre, wie bei den Wiederholungen des 7i£pi(3djjroc-" Wenn wir
nun aber, wie Wagner, die Niobiden lieber dem Skopas, als dem Praxiteles
zuzusprechen o-eneigt sind, so liegt für uns doch der Hauptgrund nicht in diesen
Formen, sondern in der entschieden pathetischen Auffassung des Gegenstandes,
die dem Geiste des Skopas durchaus entspricht, für welche wir dagegen, auch
wenn wir die Aufforderung zu einer solchen durch die Natur des Mythus voll-
kommen zugeben, in allem, was wir von Praxiteles wissen, kaum irgendwo
einen Anknüpfungspunkt finden.

Lysippos.

Lysippos war nach den übereinstimmenden Zeugnissen des Alterthums
a.us Sikyon gebürtig. Die Zeit seiner Thätigkeit trifft mit der Herrschaft Ale-
xanders des Grossen zusammen, für welchen er vielfältig beschäftigt war. Anfang
und Ende derselben lassen sich indessen nicht völlig sicher bestimmen. Plinius i)
giebt nur allgemein die 113te Olympiade an. Da aber Lysipp auch die Statue
des TroYlos gemacht hatte, welcher Ol. 102 zu Olympia siegte 2), so glaubte man
seine Thätigkeit über Ol. 114 oder das Todesjahr Alexanders auf keinen Fall
ausdehnen zu dürfen, indem dieselbe auch so schon den bedeutenden Zeitraum
von etwa fünfzig Jahren umfasste. Dabei musste freilich die Inschrift einer
Statuenbasis, welche sich einst in Rom befand und wegen des Imperfectum 359
^toifi allerdings auch erst in der römischen Epoche gemacht sein konnte, un-
berücksichtigt bleiben. Denn sie lautet3):

ZEAEYKOZ BAEIAEYE AYOnnOI EnOIEI

Seleukos aber nannte sich König erst seit Ol. 117. 1. Man half sich daher mit
der Annahme, dass, wenn Lysipp wirklich eine Statue des Seleukos gemacht,
dies vor der Annahme des Königstitels geschehen sein könne, und derselbe erst

!) 34, 51. -') Paus. VI, 1.4. a) Dati vite de pittori p. 117. C. I. Gr. n. 6018. Sie
Wird bereits in einer handschriftlichen Inscliriftciisammluitg des I'ietro Sabine aus dein Hude
des 15. Jahrhunderts auf der vaticanischen Bibliothek als in aedibus Mellini befindlich an-
gefahrt.
 
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