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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0364

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Die Bildhauer.

schiedenen Arten des Verfahrens noch von früher her in hinlänglichem Maasse
vorhanden sein. Man verstand es noch unter Antiochos IV, den olympischen
Zeus des Phidias in Stoff und Form getreu nachzubilden. Im Marmor führte
man die complieirtesten Gruppen aus. Dass der Erzguss nicht, wie man aus
Plinius schliessen könnte, mit der 121sten Olympiade aufhörte, haben wir an
vielen einzelnen Werken gesehen, deren eines, der reuige Athamas des Aristo-
nidas, sogar eine besondere Kenntniss der Mischungsverhältnisse verschiedener
Metalle verräth. Dagegen zeigt sich in der besonderen Anwendung technischer
Mittel eine viel gesuchtere Absichtlichkeit, als früher. Wir haben gewiss nicht
mit Unrecht die Ausführung des sterbenden Galliers als meisterhaft anerkannt;
und allerdings strebt in dieser Statue die Technik überall, sich den besonderen
Forderungen des Gegenstandes anzuschmiegen. Die Unbefangenheit jedoch,
welche sich bei früheren Meistern wohl zuweilen in einer kleinen Vernach-
lässigung von Nebendingen verräth, dafür aber durch die hohe Vollendung alles
Wesentlichen reiche Entschädigung gewährt, finden wir an dieser Statue nicht.
Wir können sagen, dass der Künstler sich nirgends vergessen, sondern bei
jeder Einzelnheit mit feiner Ueberlegung berechnet hat, durch welche Mittel er
51G seine Zwecke am sichersten erreichen möchte. Indessen, wenn wir auch diese
Absicht bemerken, dürfen wir doch den Künstler von dem Vorwurfe freisprechen,
dass er den Beschauer durch technische Meisterschaft habe blenden wollen.
Nicht ganz so günstig vermochten wir über den Laokoon zu urtheilen. Wir
mussten zugeben, dass zwar dieses Werk an sich einen hohen Grad technischer
Meisterschaft bedingt, dass aber die Künstler gerade durch die absichtlich von
ihnen gewählte Art der Behandlung uns diese Meisterschaft noch mehr em-
pfinden lassen wollen, als das Werk selbst es erfordert. So hat hier die Technik
schon einen eigenen, selbständigen Zweck, der indessen neben anderen Zwecken
noch in einigermassen bescheidener Weise hervortritt. Dass dies aber keines-
wegs immer der Fall war, lehrt der eiserne Herakles des Alkon, bei dessen
Ausführung der Künstler gewissermassen als ein Nebenbuhler des Heros in der
Ueberwindung unsäglicher Mühen gelten wollte. Nehmen wir dazu, dass wahr-
scheinlich in diese Periode die sogenannten Kleinkünstler, Myrmekides und
Kallikrates gehören, welche ihren Ruhm in Arbeiten suchten, deren einzelne
Theile mit blossem Auge kaum zu erkennen waren, so sind wir endlich auf
dem Punkte angekommen, wo die ganze Kunst in technischen Spitzfindigkeiten
aufgegangen ist. Wir haben hier also ganz dieselben Erscheinungen, welche
auf dem Felde der Poesie unter den Alexandrinern die Metrik darbietet: man
übt die einfachen alten Metra in guter, ja gesteigerter und gesuchter Reinheit,
erfindet einzelne neue gekünstelte Maasse und verliert sich endlich in die
Spielereien der TS/i'OTraLyvia, um durch längere oder kürzere Versreihen be-
stimmte Figuren, Flügel, Altäre, Aexte u. a. darzustellen.

Wollen wir diese Vergleichungen mit Erscheinungen der Litteratur auch
auf die übrigen Gebiete der künstlerischen Thätigkeit ausdehnen, so finden wir
hier Analogien von fast noch schlagenderer Art. Die ganze Litteratur ist durch-
drungen von grammatischen, rhetorischen, realwissenschaftlichen Studien.
Nirgends finden wir eine eigentlich geniale Schöpferkraft, überall dagegen das
Streben, dieselbe durch gelehrte Forschung zu ersetzen. Das Gelehrte. Schwierige,
 
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