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Brunn, Heinrich von
Geschichte der griechischen Künstler (Band 1): Die Bildhauer — Stuttgart, 1889

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https://doi.org/10.11588/diglit.4968#0421

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VI. Die griechische Kunst zur Zeit der römischen Herrschaft.

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seine Gestalten zugleich ein mehr individuelles Gepräge erhielten, konnten sie
nicht so allgemein gültige Musterbilder werden, als die auf einem festgeschlossenen
System beruhenden Werke des Polyklet; ja ihr Beispiel mochte sogar zuweilen
verderblich wirken. So ergab sich für die Späteren das Bedürfniss, wiederum
eine strenge Richtschnur zu erhalten, welche, auf die Normen Polyklets ge-
stützt, doch auch von der Schlankheit lysippischer Proportionen das Mögliche
rette. Dass es dem Stephanos gelungen sei, eine solche mustergültige Ver-
schmelzung beider Systeme zu Stande zu bringen, wage ich nicht zu behaupten;
doch glaube ich in seinem Werke das Streben danach zu erkennen, und nament-
lich in dem Verhältnisse des Kopfes die Spuren des einen, in der kräftigen
Anlage der Brust die Spuren des anderen Systemes zu entdecken. Seine Ab-
sicht aber scheint der Künstler wenigstens in sofern erreicht zu haben, als sein
Werk wirklich für ein Muster gegolten haben muss: die Villa Albani allein be-
wahrt noch zwei ziemlich strenge Copien aus dem Alterthume. Sollte aber
etwa die Statue mit der Inschrift für zu unbedeutend oder zu unvollkommen
in der Ausführung erachtet werden, um für das Originalwerk des Stephanos
zu gelten, so würden dadurch die obigen Bemerkungen keineswegs umgestossen
werden, da sie nur auf die allgemeinsten Charakterzüge des Werkes gegründet
sind, welche auch in der Copie nicht leicht verwischt werden können; und 598
unsere Meinung von dem Werth des Künstlers müsste dadurch nur gehoben
werden. — Da wir keinen andern Künstler des Namens Stephanos kennen, so
werden wir diesem, dem Schüler des Pasiteles, die Marmorstatuen der Appiadeh
im Besitze des Asinius Pollio (Plin. 36, 33) beilegen müssen, zumal da in dessen
Sammlung auch andere Werke der späteren Zeit sich befanden. Vielleicht
waren sie der Darstellung der appischen Quellnymphe an einem Brunnen auf
dem Forum des Caesar verwandt (vgl. Jacobi myth. Wörterb. unter Appias).

Noch um ein Glied weiter vermögen wir die Schule des Pasiteles zu verfolgen:
Menelaos bezeichnet sich als Schüler des Stephanos auf einer Marmor-
gruppe der Villa Ludovisi: ME NE

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C. 1. Gr. n. 6166. Wir erblicken in derselben eine weibliche Figur mittleren
Alters in zutraulichem Gespräche mit einem noch nicht vollständig herange-
wachsenen Jünglinge. Von Erklärungsversuchen giebt es eine ganze Menge:
um von den gänzlich unhaltbaren zu schweigen, welche römische Namen vor-
schlagen, erwähne ich: Elektra und Orestes, Penelope und Teleinachos, Aethra
und Theseus. Für jede dieser Benennungen lassen sich gewisse Gründe auf-
führen, aber keine ist so schlagend, dass sie die anderen nothwendig ausschlösse
und uns zu ihrer Annahme zwänge. Am meisten haben wir bei diesem
Schwanken gewiss unsere eigene Unwissenheit anzuklagen; einen kleinen Theil
der Schuld dürfen wir aber auch dem Künstler beimessen, in sofern er eine
bestimmte Handlung nicht scharf genug charakterisirt, sondern zu einem liebe-

Brunn, Geschichte der griechischen Künstler. 2. Aufl. 27
 
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