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Curtius, Ernst
Gesammelte Abhandlungen (Band 2) — Berlin, 1894

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https://doi.org/10.11588/diglit.33815#0036

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I. Studien zur Geschichte der Artemis.

Das phrygische Hochland ist der Knotenpunkt. von dem
sich der Gottesdienst nach Westen wie nach Osten ausgebreitet
hat. Im Osten ist Artemis die grofse Naturgottheit geblieben.
an deren Festen bei dem gygäischen See die ganze Schöpfung
sich betheiligt; die Schilfhalme regen sich im Takte, die Fische
lauschen, die Inseln bewegen sich. Von Phrygien aus hat sich
der Name Artemis tief in das Innere von Vorder-Asien ver-
breitet; als „persische" Artemis wurde sie bis jenseits des
Euphrat mit heiligen Rinderheerden verehrt (Plut. LucuHus 24)
und hatte dadurch eine internationale Bedeutung wie keine
andere der olympischen Gottheiten. Darum wurde auch ihr
Heiligthum in Ortygia auf Befehl des Grofskönigs von Datis
ausnahmsweisenichtnurverschont, sondern hoch gefeiert (Herod.
6, 97); das brauronische Bild wurde nach Susa gebracht, und
Themistokles wufste als Gastfreund der Perser die internationale
Geltung der Göttin geschickt zu verwerthen.

Auch in den Westiändern bezeugt sich die ursprüngliche
Identität von Kybele und Artemis, und beide Gottesdienste
werden in alten Tempelsagen ais Stiftungen der aus Phrygien
eingewanderten Tantaiiden bezeichnet (Paus. 3, 22). Gleichwie
in der Musik erst phrygisch und lydisch componirt wurde, dann
ionisch, und endiich in der Harmonie, welche Platon als die
allein echt helienische ansehen konnte (Laches 1^8), so erfolgte
auch im reiigiösen Leben eine stufenweise fortschreitende Klärung,
wodurch einzelne Völkergeschlechter aus dem früher unterschieds-
losen Volksganzen vortraten und das Hellenische sich von
dem ablöste, was man später barbarisch nannte. Das ist das
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I 60 in zum Theil wörtlicher Uebereinstimmung mit Thukydides
I 3 ausdrückt, und in diesen Process giebt uns die Geschichte
der Artemis einen Einblick. Die Hauptsache dabei war der
Bruch mit dem Pantheismus des Orients. Das Preisgeben der
Person an die Macht sinnlicher Naturtriebe, welche den Menschen
eben so wie die Tbierwelt beherrscht, wird durch keuschen Tempel-
dienst heranwachsender Mädchen ersetzt; das Menschenblut wird
der grofsen Göttin nicht entzogen, aber die Tödtung durch
Geisselung ersetzt, die den Jüngling Schmerzen ertragen lehrt.
Körperformen, welche die verschiedenen Schöpfungsgebiete ver-
mischen und sich bei Artemis am längsten erhielten, werden
beseitigt. Dem Pantheismus entsprechend ist auch die An-
 
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