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Curtius, Ernst
Gesammelte Abhandlungen (Band 2) — Berlin, 1894

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https://doi.org/10.11588/diglit.33815#0216

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VI. Die Darstellungen des Kairos.

bewegte, mit einander verschmolzen; man geßel sich immer
mehr darin, des Schicksals launisches Gaukelspiel in recht
augenfälliger Weise zumAusdruck zu bringen; man stellteden
laufenden Kairos auf Kugeln oder Räder und kam so auf das
geschmacklose Bild des Radlaufs, welches man irriger Weise
bei Kallistratos vorausgesetzt hat/) ein Bild, welches zu häfs-
lich und widersinnig ist, um einem klassischen Meister wie
Lysippos zugemuthet zu werden.

Nachdem man sich einmal von dem Einfachen und Ver-
nünftigen entfernt hatte, war kein Halt mehr. Immer mehr
wurde das unkünstlerisch Gedachte und sprachiichen Formeln
Entnommene in den bildlichen Ausdruck hineingetragen, immer
zuchtloser gritf der allegorisirende Trieb uni sich, die Stirn-
locken mit dem kahlen Hinterhaupte, das Scheermesser u. s. w.
wurden als witzige Zutliaten eingeführt.

Es ist dem Kairos ergangen wie einem Volksliede, das in
mündlicher Tradition allmählich so umgestaltet und so zersungen
worden ist, dafs es eine schwierige Aufgabe der Kritik wird,
aus der Masse von Interpolationen den Urtext herzustellen.

Mit dem Verfall des griechischen
Volkslebens verdunkelte sich auch die
Idee des Kairos immer mehr, so dafs
sie mit der des Ohronos zusammenüel;
aus dem Lysippischen Epheben wurde
ein alter Mann, und in dieser Form
erscheint er auf einer Reihe von Gem-
men, wo er in die eine Schale einen
Schmetterling legt, eine unklare Re-
miniscenz, wie es scheint, der Psycho-
stasier)

Das immer unklarer und bunt-
scheckiger gewordene Kairosbild hat
endlich auch zu Eälschungen Anlafs
gegeben. Dahin rechne ich das neben-
stehende Relief in der Sammlung MontferrandO)

Hier hält der gefiügelte Ohronos die Wage mit demselben

0 Archäol. Zeitung XXI 84.

Cade VIII n. 69-78.

b Köhne, Memoires de la Societe Imp. d'Archeologie Vol. VI 1852
p. 71. Höhe P 11^/./') Länge i' öfa".
 
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