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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 14.1990

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Bürdek, Bernhard E.: Elektronik und Vernunft
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https://doi.org/10.11588/diglit.31838#0015
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enthalten. Dies kann jedoch noch viel weiter
getrieben werden wie es die „Kunstflieger“ bis-
her getan haben, die Studie von Tsune Tanaka
und Frank Zebner /II/ in der Zeitschrift form-
128-1V-1989 hatdies angedeutet.

Dabei darf nicht übersehen werden, daß das
rapide Anwachsen der wirtschaftlichen Bedeu-
tung der Mikroelektronik auch inzwischen vor
den „kreativen“ Bereichen in den Unterneh-
men nicht mehr halt macht. Ich habe darauf
hingewiesen, daß der„Chip“ in verschiedenen
Bereichen zum zentralen Thema des Designs
wird. Wenn also heute von „gesellschaftlicher
Modernisierung“ gesprochen wird, dann sind
damit im wesentlichen die Einsatzmöglichkei-
ten und Auswirkungen solcher Technologien
gemeint, die direkt oder indirekt mit der Mikro-
elektronik zu tun haben.

Bevor ich darauf näher eingehe, ein paar
Worte zur Vernunft - dem Generalthema die-
ses Kolloquiums. Seit den ausgehenden 60er
Jahren - also der Zeit der Studentenbewe-
gungen in den USA, Frankreich, Italien oder
Deutschland, ist hierzulande die Theorie im
Design zur Quantite negligeable verkommen.
Obwohl es ja wirklich eine Tradition zu bewah-
ren und zu verteidigen gäbe. Gerade die Ge-
schichte der deutschen Philosophie ist ja in
Designerkreisen kaum erschlossen, nicht zu-
letzt darin liegt ihre kulturpolitische Unwirk-
samkeit begründet. Wenn sie immer nur nach
Wirtschaftsförderung lechzen, brauchen sie
sich nicht wundern, wenn ihnen nur die Brosa-
men der Industrie auf den Tellern liegen blei-
ben. Daß sich dies beispielsweise in Italien
ganz anders darstellt, ist ja schon mehrfach
beschrieben worden, ich hatte darauf in mei-
nem Spielbericht Deutschland - Italien /12/ ja
auch hingewiesen.

Immanuel Kant versuchte als Theoretiker des
modernen Wissenschaftsbegriffs die Frage zu
klären, was menschliches Erkennen über-
haupt sei. Kant warf sowohl dem Rationalis-
mus (z. B. Leibnitz) als auch dem Empirismus
(z. B. Locke) vor, daß sie sich bei der Erklärung
der Möglichkeit von Erkenntnis nur auf reines
Denken bzw. nur auf reine Wahrnehmung
stützten. Mit seiner berühmten Feststellung:
„Gedanken ohne Inhalt sind leer, Anschauun-
gen ohne Begriffe sind blind“ versuchte er eine
Synthese aus beiden zu entwickeln und fol-

gerte, daß die Wissenschaft zwar allgemeine
und notwendige Sätze bieten, gleichzeitig hier-
für jedoch die Sinneserfahrung befragen
müßte.

In der Vorrede zu seiner „Grundlegung zur
Metaphysik der Sitten“ zeigte Kant (1785), daß
in den drei „Kritiken“ „nur eine und dieselbe
Vernunft“ zum Ausdruck kommt, die sich bloß
in der „Anwendung“ unterscheide.

Besondere Bedeutung kommt deshalb dem
Kant’schen Vernunft-Begriff im Design zu. Der
Frankfurter Philosoph Wilfried Fiebig /13/ hat
ausgehend von diesem Kant’schen Vernunft-
begriff dargestellt, daß:

die Quellen menschlicher Vorstellung aus
der sinnlichen Wahrnehmung und dem ver-
standesmäßigen Erfassen bestehen. Diese
beiden gehen in den Begriff „Einheit der
Vernunft“ ein.

Zwar ist in diesem Vernunftbegriff die äußere
Trennung (Dualismus) von Sinnlichkeit und
Verstand aufgehoben, sie sind als solche aber
weiterhin dialektisch vorhanden. Da sich nur in
der Trennung der Begriffe deren Unterschiede
bestimmen lassen, wird in der Einheit der
Sprachen ein gemeinsamer Vernunft-Begriff
vorausgesetzt. Anders ausgedrückt, die Ver-
nunft liegt der Erscheinung von Sprache zu
Grunde. Die „Theorie der Produktsprache“
kann deshalb auf die Debatte um den
Kant’schen Vernunftbegriff zurückgeführt wer-
den. Ziel des Designs ist somit die Entwicklung
„vernünftiger“ Lösungen.

Ein weiteres Moment in dieser Diskussion
stellt der Kant’sche Satz aus dem Jahre 1783
dar:

„Aufklärung ist der Ausgang des Men-
schen aus seiner selbstverschuldeten Un-
mündigkeit. Unmündigkeit ist das Unver-
mögen, sich seines Verstandes ohne Lei-
tung eines anderen zu bedienen. Selbst-
verschuldet ist diese Unmündigkeit, wenn
die Ursache derselben nicht im Mangel des
Verstandes, sondern der Entschließung
und des Muthes liegt, sich seiner ohne Lei-
tung eines anderen zu bedienen. Sapere

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