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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Hrsg.]
Designtheoretisches Kolloquium — 14.1990

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Cordes, Gerhard: Konsequenzen umweltverträglicher Industrieproduktion für das Design
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https://doi.org/10.11588/diglit.31838#0043
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letztere als zusätzliche Vermischung der Bau-
geschichte - bloßgestellt werden.

Wichtig auch die Einbeziehung des „Ökolo-
gischen Bauens“ in diese Kritik. (S.47). Das
gleiche läßt sich übrigens auch bei den kurz-
lebigen landschaftsfressenden Holzhäuschen
des „ökologischen Bauens“ fragen, die oben-
drein zu der Regel auch noch die Energie-
Entropie vergrößern durch ungünstigen Au-
ßenwandanteil infolge zu kleiner Volumina.
Auch das „Ökologische Bauen“, wie es sich
heute darstellt, betreibt keineswegs nur Anti-
Entropie. Dazu ist es noch zuwenig ständlich,
zuwenig am Bedarf der Massen orientiert,
dazu betreibt es noch zuviel Landschafts-
entropie. Die Erhaltung von wirklichen Natur-
räumen (und nicht nur Schutzinseln) ist des-
halb so wichtig, weil diese der einzige Ort sind,
wo die Natur noch wirkliche Anti-Entropie auf-
bauen kann, wenn auch nur sehr langfristig.

Und wieder die Erinnerung an den Funktiona-
lismus: (S.48, mittlere Spalte, unten): „Gültig
ist nach wie vor seine Forderung ...“

Der überholten Forderung nach sozialer Rein-
heit dürfte die gestaltungsasketische Vorstel-
lung vom Einheitsprodukt für Alle entsprechen.
Um den Aufgruß des Originals nicht zu lang
werden zu lassen und wieder auf die Aus-
gangsfrage zurückzukehren, zitiere ich ein
letztes Mal: (S. 49 „Was wir dagegen brau-
chen ...“)

Die Produkte nach diesen Forderungen zu
gestalten ist für uns, auch wenn uns die An-
griffe der Postmoderne zuweilen verunsichert
haben, die Fortsetzung gewohnter Arbeit. Es
dürfte auch klar sein, daß das Gestaltungsni-
veau, in rationaler wie emotionaler Hinsicht,
gerade für umweltverträglich hergestellte und
vertriebene Produkte gar nicht hoch genug
sein kann. Das ist wie mit der Vollwertkost:
wenn sie nicht so gut schmeckt wie die nou-
velle cuisine, bleibt das Anliegen der gesun-
den Ernährung sektiererisch.

Die größeren Probleme und Aufgaben sind
dort zu erwarten, wo die gewohnten Ge-
brauchs- und Lebensweisen selbst verändert
werden müssen. Als großes Beispiel nenne
ich die Auto/Bahn-Alternative, als kleines den
Karton für die Zahnpastatube.

Die alte Frage nach dem Brauchen - von der
wir immer wieder auszugehen haben - ist zur
globalen Existenzfrage geworden. Sie ist des-
halb so schwierig zu diskutieren, weil der gei-
stige Vorvollzug, den wir für konkrete Ge-
brauchsweisen einigermaßen hinbekommen,
für die viel komplexeren Zusammenhänge von
Lebensbereichen erst gemeinsam, im Maß-
stab breitester gesellschaftlicher, interdiszi-
plinärer Diskussion erarbeitet werden muß.
Ansätze einzelner haben immer etwas vom
Ruf in der Wüste, Beispiel Weizsäcker „Erd-
politik“ Kapital 18.

Was hier die notwendigen Veränderungen be-
wirken wird, ist nicht der Appell, sondern das
Vorbild. So wie innerhalb einer Gesellschaft
freiwillige Veränderungen - und nur an solche
dürfen wir als Humanisten denken - von Vor-
reitern und peergroups ausgehen, werden im
globalen Maßstab die entwickeltsten Märkte
globale Neuorientierungen der Konsum- und
Lebensgewohnheiten initiieren. Die Verant-
wortung, die wir - damit meine ich die Ge-
samtheit aller, die mit materieller und ideeller
Gestaltung unseres Seins zu tun haben - tra-
gen, ist, um es mit einem Zeitgeistwort zu sa-
gen, dramatisch.

Für Fehlentwicklungen wie unsere Autoin-
dustrie, die fast ausschließlich Produkte für
Raser und Reinhold-Messner-Geländefahrer
gleichsam wie Schrotladungen in unsere Bios-
phäre schießt, wird es keine Zukunft geben,
wenn die Vorstellung von den Folgen und die
Praxis von Alternativen den Wahn zeitlich und
örtlich beliebiger Mobilität ins „Out“ verdrän-
gen. Der bekannte Zukunftsdenker Frederic
Vester prophezeit, die Autoindustrie „werde an
die Wand knallen“.

Das Klima für solche Paradigmenwechsel ent-
steht auch durch die vielen kleinen Verände-
rungen, an denen wir mitarbeiten. Jede Ver-
packung, jede Lackierung, deren Wegfall auf-
fällt, jede Rücknahmegarantie, die ungewohnt
ist, jede Austauschmöglichkeit von Verschleiß-
teilen, die es bisher oder seit längerem nicht
mehr gab, bereitet den Boden für weiterge-
hende Veränderungen. Inzwischen gibt es
keine größere Gestaltungsaufgabe, die nicht
irgendwann auf die Fragen der Umweltver-
träglichkeit führt- ganz abgesehen von Sprüh-
klebern, Lackdosen, Hartschäumen usw., die

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