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Hochschule für Industrielle Formgestaltung [Editor]
Designtheoretisches Kolloquium — 14.1990

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Weber, Olaf: Design und politische Vernunft
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https://doi.org/10.11588/diglit.31838#0109
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von globalem und futuristischem Denken sind,
möglicherweise in Widersprüche zu wirtschaft-
lichen oder anderen persönlichen Vorteilen,
Fragen nach der Sittlichkeit des gestalteri-
schen Handelns werden wichtig. Es ist be-
kannt, daß den kommerziellen Berechnungen
die ethischen Erwägungen außer in den Fällen
fremd sind, in denen sie selbst zu Buche schla-
gen. Im Bereich der Medien ist diese Orientie-
rung evident, in den Kinos können wir sie nun
täglich erleben.

Ich halte es für zeitgemäß, für die Zukunft un-
seres Designs etwas vom Geist der Weimarer
Klassiker heraufzubeschwören, die durch
Kunst den Menschen in seinem Denken und
Handeln zu veredeln suchten. Die Beschränkt-
heit dieser Möglichkeiten für Kunst und noch
mehr für Design und seine kommerziellen Hin-
tergründe bedenkend, sollten wir trotzdem auf
dem sittlichen Anspruch des Design beharren,
nein, ihn mit gedanklicher Klarheit erst ent-
wickeln. Auch Design soll eine moralische An-
stalt sein. Diese Denkart ist angesichts der
akuten Gefahren, die ein unsoziales und na-
turfernes Produzieren nach sich zieht, höchst
zeitgemäß.

Nun noch ein paar Anmerkungen zu den In-
halten der politischen Vernunft im Design. Sie
sollte sich orientieren an den Wirkungsweisen
von Gesamtkreisläufen und natürlichen Pro-
zessen, sollte sich auf Kontext und Geschichte
beziehen, den Bedarf an Subjektivem zufrie-
denstellen, sie sollte Planungstransparenz er-
möglichen und das Vertrauensverhältnis der
Menschen zu ihrer gegenständlichen Umwelt
begründen bzw. festigen.

Die ökologischen Momente des Design’s be-
treffend soll hier nur festgestellt werden, daß
dieses Thema aus den isolierten Erkennt-
nissen - etwa zur toxischen Belastung von
Räumen, zum Energieverbrauch oder zur Ab-
fallbelastung in alle Verzweigungen und ent-
fernten Auswirkungen des Humanpraktischen
(darunter in alle kulturellen und ästhetischen
Folgen) hinüberzuleiten ist. Erst in ihren Ver-
netzungen und Kreisläufen, vor allem globaler
Art, erschließt sich die politische Dimension
der Ökologie. Immer mehr stellt sich die Frage
nach dem Sinn des wirtschaftlichen Wachs-
tums und nach dem Sinn des Verlangens, die
Produkte attraktiv zu machen. In Frage stehen
vor allem jene Formeigenschaften der Pro-

dukte und ihrer Verpackung, die in der Distri-
butionssphäre wirken sollen, besonders sol-
che, die Kauflust und Konsum steigern und
dabei suggestiv wirken, also die individuelle
Urteilsfähigkeit herabsetzen wollen.

In Frage steht die ganze Maschinerie der Ak-
kumulationsraten mit ihren Tricks von modi-
schem Verschleiß, von Reparaturfeindlichkeit,
Kurzlebigkeit und dem raffinierten Zwang zu
Folgeanschaffungen.

Die Energie-, Rohstoff- und Abfallkrisen, die
zur Zeit noch aufwendig kaschiert werden kön-
nen, werden uns zur Umkehr zwingen. Wir
werden hoffentlich noch die Gelegenheit ha-
ben, eine neue Produktionskultur und Lebens-
weise zu installieren, die zum alten unef-
fektiven Wachstumswahn im Osten und dem
effektiveren Wachstumswahn im Westen die
eigentliche Alternative bildet. Design muß da-
bei eine völlig neue politische Orientierung er-
halten.

Die Trennung von Design und Architektur ist
ein Ergebnis der Vermassungsprozesse seit
Beginn der industriellen Revolution im vorigen
Jahrhundert. Alles deutet darauf hin, daß sich
auch dieser Prozeß im Verlaufe des zivilisato-
rischen Fortschreitens umkehren wird. Die kul-
turelle Identität des Ortes ist ein so gewichti-
ges Gut, daß sie nicht durch den maschinellen
Takt gefährdet werden darf. Auf die Besonder-
heiten des Lokalen wird Design in Zukunft stär-
ker reagieren müssen. Der materielle Anlaß für
die Besinnung auf den Ort wird spätestens
durch die Reduzierung des Transportvolu-
mens im Gefolge der Energie- und Umwelt-
krise gegeben sein.

Neben dem Geist des Ortes ist es der Zustand
des Individuums, der sich dem heute vielbe-
schworenen Zeitgeist zugesellen wird. Design
wird die subjektiven Bedürfnisse auf eine qua-
litativ neue Weise bedienen müssen. Es wird
eine der vornehmsten Aufgaben der Pro-
duktgestaltung sein, den Menschen die ge-
genständlichen Mittel ihres Selbstausdrucks in
die Hand zu legen, die damit die Möglichkeit
erhaiten, die Ästhetik der Produkte als Nutzer
zu vollenden.

Diese Zielsetzungen widersprechen eklatant
dem traditionellen Verständnis von Design und

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