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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0023

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entbehrter Vorzug unserer Zeit ist das in der Schule der Grie-
chen durchgebildete stilistische Kuustgefühl, welches die echte grie-
chische Kunst in ihren Epochen erkennen und von ihren Nachbildern
unterscheiden lehrt, und wie dieses Kuustgefühl der gcgenwärti-
gcn Geschmacksbildung zu Grunde liegt, ist auch das eingehende
Verständuiß alter Kunstwerke durch die Fortschritte der Alter-
thumsforschung bei uns auf eine Höhe gesteigert, von welcher
die jüngste Generation dann und wann vielleicht lächelnd auf
Winckelmann herabsieht. Jeder Kundige weiß, wie in der Fülle
der Anschauung, in methodischer Kunsterklärung, in den Wechsel-
bezügen neuer Kenntniß und Mittheilung Winckelmann's Voll-
gefühl der von ihm beherrschten Denkmälerwelt, seine tüchtige
Einsicht in's klassische Alterthum und die energische Zuversicht
seiner vereinsamten Forschung durch neue Faktoren weit überbo-
ten wird, — durch den seit ihm entdeckten, fast unermeßlichen
Kunstbesitz unserer Museen, durch die in Poesie, Religion und
Kunst der Hellenen tief eingreifenden Leistungen der klassischen
Philologie und durch die Leichtigkeit des wissenschaftlichen Ver-
kehrs, wie er jetzt durch das archäologische Institut von Rom
aus uns zu Gebote steht. Alle diese Fortschritte aber sind aus-
gegangen von Winckelmann, durchdrungen vom Genius seiner
Anschauung und Lehre, geschützt und genährt überdies durch
Personen und Kräfte, in denen die vaterländische Erde Winckel-
mann's ihr bedenklich gewordenes Anrecht auf den Gründer der
Kunstgeschichte von Neuem bewährt hat.

Der Vortragende konnte es sich nicht versagen, bei diesem
dankbaren Hinblick aus unsres nächsten Vaterlandes fortwirkenden
Antheil am geistigen Vermächtnisse Winckelmann's etwas einge-
hender zu verweilen. Winckelmann's Aussaat ist langsam und
spät gereist, in Deutschland um so später, je längere Zeit die
Mittel der Anschauung unsern Hauptstädten und Bildungsan-
stalten, eine erschwingliche archäologische Literatur unfern Hoch-
schulen fehlten; was hierin endlich gelungen ist, ging in den
Zeiten unseres Gedenkens hauptsächlich aus unserer nächsten Um-
gebung hervor. Den Zeiten, in denen der deutsche Studirende
nur etwa in Göttiugen Gvpsabgüsse antiker Kunstwerke zu fin-
den wußte, der deutsche Reisende einzig in Dresden reiche Kunst-
sammlungen vorfand, sind andere gefolgt, in denen man glänzende
Kunstmuseen, wie mau in Europa's Hanptstädten als Schatzkam-
mern der Denkmälerwelt und ihres Kunftvermögeus, der Wissen-
schaft unverwehrt, sie jetzt nirgend entbehren mag, auch bei uns
gegründet und mit selbständigen eigenen Vorzügen, der deutschen
Wissenschaft würdig, vermehrt sieht. Ein vergleichender Apparat,
das erste Bedürfniß kunstgeschichtlicher Forschung, ist den Mar-
morwerken des Alterthums in überraschender Auswahl und Fülle
zum ersten Mal in dem hiesigen neuen Museum der Gypsab-
güsse zur Seite gestellt. Warme Alterthumsfreunde wie Hirt
und Lewezow, Heroen der Kunst und der Kunstübung, wie Schin-
kel, Ranch und Beuth eä waren, Kunstkenner von Wilhelm
v. Humboldts Gewicht, haben durch ihre allmälig durchgedrun-
gene Mahnung, unter dem Schutz erleuchteter Fürsten und
Staatsbehörden, solchergestalt aus der von uns noch erlebten
Vorzeit knustverlassener Entbehrung aus in den glänzendsten
Reichthum belehrenden Kunstbesitzcs hinübergeführt. Sollte Win-
ckelmann jetzt das Land Wiedersehen können, in welches selbst die
von Friedrich dem Großen ihm dargebotene Oberaufsicht alles
königlichen Bücher- und Kunftbesitzes ihn nicht zurücklocken konnte,
er würde nicht Massen, die Wunder der Gegenwart anzustau-
nen und durch unfern hauptstädtischen Kunstbesitz neu angeregt
sich zu finden. Neben so ungeahnten Mitteln der Anschauung
würde er die zu gleicher Höhe bei uns gesteigerten Antriebe der
Forschung zu rühmen haben: er würde die Fürsorge unserer
Staatsbehörden in den archäologischen Sammlungen erkennen,
die nach dem Vorgang von Bonn und Breslau allmälig für alle
Hochschulen Deutschlands und seiner Nachbarländer erheischt und
erlangt worden sind; er würde vollends dankbar erfreut sein,
wenn er die archäologische Stiftung der Deutschen in Rom, von
Friedrich Wilhelm IV. gegründet und von des jetzt regierenden
Königs Majestät fester und reichlicher ausgestattet, in dem Um-
fang verwirklicht sehen könnte, den es im 36sten Jahr seiner
literarischen Thätigkeit nun auch durch Ausbildung der mit
Staatsunterftützung dorthin entsandten jungen Philologen reich-
lich bewährt. So vieler, in keinem andern Land so erfolgreich
als in unsres Winckelmann's Heimath erstrebten Wohlthatcn der
Kunst- und Alterthumsforschuug uns dankbar bewußt zu sein,
wird bei jeder hiesigen Feier seines Gedächtnißtags unabweislich
uns nahgelegt; hoch lebe der König! —

Der Vortragende nahm hieraus Anlaß, sowohl den neuerdings
abgeschlossenen sechsten und siebenten Band der Llonumenti ine-
diti des archäologischen Instituts, welche in Folge reicherer Mit-
tel den Werth manches früheren Jahrgangs verdunkeln, als auch

einen beträchtlichen Thcil der diesjährigen Jahrcsschristen, na-
mentlich als Zubehör derselben ein von Rom eingcgangcnes an-
ziehendes Kupferblatt vorzulegen. Die darauf abgcbildete Vase
des Asteas, gefunden bei den Arbeiten der Eisenbahn ohuweit
Pästum und vor ihrer raschen Versetzung nach Bucharest von dem
Stipendiaten des archäologischen Instituts, Di-. Helbig, für die
Zwecke der Wissenschaft gerettet, stellt die Raserei de» Herakles
dar, der seine Mordlust an einem seiner Kinder ausläßt, während
seine von ihm bedrohte Gemahlin, Megara, ferner Jolocos, Alk-
mene und die personificirte Raserei (inschriftlich als Mania be-
zeichnet) das Personal der Umgebung bilden. Borgelegt ward
ferner zugleich mit dem unter Ritschl's Präsidium zu Bonn voll-
führten reichhaltigen 37sten Heft der Jahrbücher des rheinischen
Alterthums-Vereins das von demselben Verein dem diesjährigen
Winckelmaunsfcste gewidmete Programm, enthaltend in würdiger
Ausstattung Bild und Erläuterung des großen Mosaiks zu Sten-
nig bei Trier;*) Zeichnung und Text werden dem dortigen Dom-
kapitular, Hrn. v. Wilwowsky, verdankt, dessen der Gesell-
schaft bereits vortheilhaft bekannte farbige Zeichnungen der ein-
zelnen Gruppen 'künftig Nachfolgen sollen. Das ebenfalls recht-
zeitig eingetroffene Festprogramm der Universität Greifswald, von
Professor Michaelis verfaßt, enthält, von gründlicher Erlänte-
rung begleitet, drei bis jetzt nur wenig bekannte Bäsenbilder der
Verurtheiluug des Marfyas.** ***)) Sonstige Druckschriften waren
von den Herren Bursian, Cavedoui, Gori, Helbig,
Minervini, L. Müller, Schillbach, de Spuchcs und
Wieseler eingegangen. Hieruächst ward das auf Kosten der
Gesellschaft gedruckte vierundzwanzigste Festprogramm, „Dirke
als Quelle und Heroine" betitelt,'^*) zugleich als erste von
mehreren Vorlagen beigebracht und vertheilt, welche dessen Ver-
fasser, Herr Bötticher, vorbereitet hatte. Die gedachte Fest-
schriftwill zu tieferem Verständuiß der berühmten farnesischen
Gruppe auregcn, deren Abguß im hiesigen neuen Museum
aufgestellt und von demselben aus jetzt auch noch anderen Samm-
lungen mitgetheilt ist. Sic faßt auch dies Kunstwerk seinem
wesentlichen Gehalt nach erklärend in's Auge; jedoch ist dasselbe
ihr nicht Hauptsache, sondern wird nur als einzelner Moment in
der Legende jener thebanischen Heroine Dirke herausgchoben.
Indem sie somit nicht blos diese reiche Legende, sondern auch die
Geschichte der gleichnamigen Quelle, beides im innigsten Zusam-
menhänge mit der Gründungs-Geschichte und dem Schicksale der
Stadt Theben, vorführt, zeigt sie, welches ganz andere erhöhtcre
Interesse, als es bisher erregte, für jeden Beschauer jetzt das
Bildwerk durch eine solche Verknüpfung mit Geschichte und Kul-
tusriten gewinnen werde. Sie schließt mit Hinweisung auf jenes
reizende künstlerische Quellenbecken oberhalb Sanssouci, das König
Friedrich Wilhelm IV., zu siuuvollcr Erinnerung au die Sage
von der thebanischen Dirke-Quellc, mit einer Replik der farne-
sischcu Dirke bezeichnen ließ. Eine Bildtafel mit Darstellung
des Berges Kithairou, wie ihn das Bildwerk als Grund und
Boden des ganzen Vorganges audeutet, ist dem Programm bei-
gegebeu. Als zweite Vorlage überreichte Hr. Bötticher eine
seiner Abhandlungen über die Heiligthümer der Akropolis von
Athen, welche als Ergänzung und Fortsetzung des osficiellcu Be-
richtes über seine Untersuchungen an Ort und Stelle im Philo-
logus publicirt werden. Die Abhandlung bespricht die Grotte
des Apollon-Patroos, am Burgfelsen außerhalb der alten
Burgmauern, wie die nahe Quelle Klepsydra, welche seit christ-
licher Zeit in die unterirdische Kirche der Apostel, die ehemalige
Taufkapellc, eingeschlossen ist. Drittens legte Hr. B. die Pho-
tographie eines 18 Fuß laugen, von ihm für die Sammlung des
neuen Museums im Abgüsse erworbenen Bildwerkes vor, dessen
Inhalt er in ausführlichem Vortrag erklärte und dabei als be-
deutsam hcrvorhob, wie dasselbe mit an der Spitze aller ans

*) Die römische Villa bei Stennig und ihr Mosaik erläutert
vom Domkapitular von Wilwowsky. Mit der Ueherstchtstafel
des Mosaikfußbodens in Stahlstich. Heransgcgcben vom Verein
der Alterthnmsfreunde im Rheinlande. Bonn, 1864. 16 S. in
groß Folio.

**) Die Verurthcilung des Marsyas auf einer Vase aus Rnvo
von Adolf Michaelis. Einladnngsschrift des archäologischen Kunst-
museums zu einem von Professor A. Michaelis am Geburtstage
Winckelmann's 9. Dezember d. I. Mittags 12 Uhr in der aka-
dcmischeu Aula zu haltenden Vortrage. Greifswald, 1864. 18 S.
2 Tafeln. 4to.

***) Dirke als Quelle und Heroine. ^ Vierundzwanzigstes Pro-
gramm zum Winckclmannsfest der archäologischen Gesellschaft zu
Berlin von Karl Bötticher. Nebst einer Bildertafel. Berlin,
1864. In Kommission bei W. Hertz (Besser'sche Buchhandlung).
21 S. 4to.
 
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