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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0204

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194

Kunst-Literatur und Album.

Kritische Forschungen im Gebiete der Malerei alter und
neuer Kunst. Ein Beilrag zur gründlichen Kenntniß
der Meister von M. Unger. (Supplement zu seinem
Werke: „Das Wesen der Malerei")- — Leipzig.
Verlag von Herm. Schnitze. 1865. (Fortsetzung).

5.

Der Gedanke eines auf verschiedenen Gradverhältnissen der
Tonskalen beruhenden Parallelismus zwischen der Natur-
farbe und der Kunstfarbc enthält nach der koloristischen Seite
hin das eigentliche kritische Princip der Unger'schen Theorie;
und in diesem Gedanken liegt eine bedeutungsvolle Wahrheit, wenn
er richtig gefaßt wird. Hierin nun, in der Fassung, ist Referent
nicht ganz der Ansicht des Verf.'s. Dieser nemlich meint damit:
„Es herrscht nur Parallelismns zwischen Natur- und Kunstfarbe,
keine Gleichheit"; unsre Ansicht dagegen ist: „Es herrscht Par-
atlelismus zwischen Natur-und Kunstfarbe, keine Ungleich-
heit", also auch keine unbeschränkte Wahlfreiheit rücksichtlich der
Farbenbasen. Zweitens aber, was die Bestimmung der verschie-
denen Gradverhültnisse betrifft, so ist zu berücksichtigen, daß die
Tondifferenzen in der Naturfarbe größer sind als in der Kunst-
sarbe, weil dieser das die Farbe unendlich moinficirende Element
des Lichts fehlt. Es findet also in der Kunstfarbenskala eine Zu-
sammenziehung der Gegensätze statt, eine Verkleinerung gewisser-
maaßeu, eine Reduction des Gradverhältnisses der Naturfarbe
auf einen kleineren Maaßstab. Solche Reduction findet auch in
dimensionaler Beziehung durch die Verschiedenheit der Größe der
Bildfläche von der Natnrwirklichkeit statt. Durch die Verschieden-
heit des Maaßverhältnisses bei dieser Reduction wird nun zwar der
Parallelismus nicht aufgehoben, allein mau hat ihn sich als den
zweier koncentrischer Kreise vorzustellen, auf denen die entsprechende.:
Grade durch die Radien angegeben sind, und von denen der Kreis
der Kunstfarbe sehr klein, der der Naturfarbe sehr groß ist. Bei
einer früheren Gelegenheit haben wir diesen Unterschied dadurch
anschaulich zu machen gesucht, daß wir das Gradverhältniß der
Naturfarbe als geometrische Progression (2 : 4 : 8 : 16 n. s. f.),
das der Kunstfarbe als arithmetische Progression (2 : 4 : 6 : 8 u. s. f.)
bezeichnet. Dies würde jedoch den Parallelismus anfheben,
und deshalb geben wir der Vorstellung von zwei koncentrischen
Kreisen (natürlich nur im bildlichen Sinne), welche dem ent-
schieden richtigen Gedanken Unger's entspricht, den Vorzug.
Daß nun aber in diesem Parallelismns, sowohl sofern er die
Gleichheit als sofern er die Ungleichheit aufhebt, das wirkliche
Wesen der Kunstfarbe beruht, geht unter Anderm daraus hervor,
daß selbst bei dimensionaler Gleichheit des Kunst- und Natur-
objekts, oder, wie man sagt, bei naturgroßer Darstellung, keines-
wegs das Streben des Künstlers dahin geht, das Naturobjekt
in seinen Details sozusagen mikroskopisch wiederzugeben, daß also
auch hier kein gradliniger Parallelismus stattfindet, sondern stets
ein koncentrischer. Unger deutet dies öfters mit feinem Gefühl
an, z. B. in seiner Betrachtung Tiziau's (S. 20 f.): „Indem
man sich in der neusten Kunst meist eng an die Realität an-
schließt, um ihrennatürlichen Reiz aufznfinden und sie möglichst
natürlich wiederzugebcn, so kann auch nur die Naturschein-
barkeit gewonnen werden, wozu allerdings schon ein gewisser
Grad von Kunstvermögen erforderlich ist. Allein das echte Knnst-
verdienst kann Bei solchem Streben nur ein geringes sein, weil die
Kunst selbst dabei nicht frei und schöpferisch zu Werke geht und
von der Schönheit, deren Hauptaufgabe alle Kunst ist, im besten
Falle daher nur so viel zu Tage kommt, als die Natur selbst
blicken läßt", und in diesem sinne drückt er sich rücksichtlich
Tizians mit bemerkenswerther Feinheit dahin ans zS. 22),: „Die
Farben Tizians erscheinen in einer feingewählten einheitlichen
Tonart stilistisch transponirt u. s. f."

Man lvird zngeben müssen, daß von dieser feinen Empfindung
für das Wesen des Malerischen bei unfern sonstigen kritischen
Kunsthistorikern keine Spur vorhanden ist. Nichts als hundert-
mal umgeprägte Phrasen, bald in mehr nüchterner bald in mehr
blumenreicher Form ausgemünzt. Diesen Phrasenhelden gegen-
über, deren Erbschaft eine ganze Zahl kaum flllggegeworder Elstern
schon bei Lebzeiten ihrer Lehrmeister antreten zu wollen scheint,
steht Unger trotz seiner beklagenswerthcn Dunkelheit und Um-
ständlichkeit des Ausdrucks wie ein Prediger in der Wüste da.
Er hat sich erfüllt mit dem tiefen und warmen Lebensathem,
der dem wahrhaft kritisch empfindenden Geist ans den Werken
echter Kunst entgegenquillt, nur verliert er zuweilen, bewältigt
durch „dte Fülle der Gesichte", jene bei allem inneren Enthusias-

mus für die Idee dem Denker wie dem Künstler gleich nöthige
Kaltblütigkeit, welche die Vorbedingung alles klaren Gestaltens
ist. Aber wie dunkel auch zuweilen seine Ansdrucksweise sein
mag, dem Gedanken, den er vor seinem inneren Auge hat, fehlt
es fast nie an substanziellem Gehalt. Nachdem wir uns bis
jetzt fast nur mit den formalen Schwächen seines Buches be-
schäftigt, sind wir nunmehr in der glücklichen Lage, die Feinheit
seiner Empfindung, für das wirklich Große in den Werken der
alten Meister und — was wir fast noch höher schätzen — die
Unparteilichkeit in der Beurtheilnng ihrer Schwächen mit zahl-
reichen Aussprüchen zu belegen.

Er geht mit Recht von der ästhetischen Wahrheit aus, daß nur
in der Idee die schöpferisch treibende Kraft der tech-
nischen Meisterschaft liegt. In den einleitenden Worten
zu der Betrachtung der Niederländischen Meister bemerkt er
(S. 194): „Zu derjenigen Zeit, als die christliche Kunst haupt-
sächlich im Dienste der Religion stand, blieb sie in ihrem Wesen
gesammelt, weil ihr Zweck zunächst die Erbauung war, deren
Bedingungen zugleich der Schönheit einen wesentlichen Vorschub
leisteten, und da auch das Volk keine andere Forderung an die
Knust stellte, als durch sie seiner Andacht zn entsprechen, so konnte
die naturwüchsige Entwickelung der höchsten Kunstblürhe dadurch
nur gefördert werden. Erst da, wo durch überwiegende Be-
theiligung des Verstandes der Glaube an die treue Reli-
gionsüberliesernng wankend wurde und die Religion durch ent-
standene Zweifel sich spaltete, da ivurde auch die Kunst in ihrem
Wesen erschüttert, und ihr Verfall konnte auch nicht von
einzelnen großen Meistern gehemmt werden, da diese
in jener Zeit mehr einem sichern Kunsttrieb, als einem
tieferen Bewußtsein ihre Größe zu danken hatten." Aus
diesem Grunde schlägt er mit Recht den ideellen Einfluß
der „ersten Epochen des instinktiven Kunsttriebs",
wie er sie nennt (S. 185), so hoch an, trotz der Kindheit, in
welcher sich Austassnng und Behandlung der Motive befand:
„Die ersten Epochen des instinktiven Knnsttriebs sind für den
Kenner daher so überaus wichtig, weil in ihnen, mit Rücksicht
auf den geringen Grad der Kunstentwickluug, durchschnittlich sehr
Bedeutsames hervorgebracht wurde, und zwar gerade deshalb,
weil dieses Stadium der Kindheit dem Zustande eines ge-
wissen Hellsehens so nahe kommt." An einer andern Stelle
sagt er von Raphael (S. 127): „Den Raphael'schen Bildern

fühlt man daher an, daß der Bildner, nach Art seiner Vorgän-
ger, der Natur mit Andacht gegenübertritt; und wie
dies: bei der Armuth ihrer Kunstmittel in solcher Stim-
mung dem inner« Wesen nur um so näher kamen, so
sucht Raphael, der den künstlerischen Werth dieser Ar-
muth zu schätzen weiß, sich alles Dessen zu enthalten, was seine
direkte Beziehung zur darzustellenden Natur trüben konnte." Von
Murillo bemerkt er (S. 194), daß „sein Stil die charakteri-
stischen Regungen des seelischen Lebens mit einer Schärfe des
Ausdrucks umfaßt, die um so mehr zu Herzen dringt, als sein
strenggläubiges Gemüth sich mit tiefster Innigkeit in die reli-
giösen Zustände seiner Vorstellungen zu versenken lvciß." Im
Gegensatz dazu sagt er von Paul Veronese geradezu (S. 57),
daß „seinen Bildern der religiöse Herzens an th eil man-
gele, mit Ausnahme derjenigen, welche in seine frühere Periode
fallen" und setzt hinzu, „daß die ihm endlich so geläufig
gewordene Methodik, bei (trotz) dem malerischen Interesse,
das sie gewährt, (doch) oft nicht zu dem Grade der Lebenswirkung
gelangt, wie solche in dem Werke andrer großer Meister ausge-
sprochen ist.Genau betrachtet ist die Empfindung Veroneses

nicht mehr von der darzustellenden Erscheinung (?) selbst angeregt,
sondern mehr der Behandlung zugewendet, deren Ergebniß
der ein für alle Mal ergründeten Wahrheit dienstbar
ist" (besser: „welche das Ergebniß d. e. f. a. M. ergründeten
Wahrheit ist"). Weiter sagt er dann: „Der religiöse Vorwurf
ist diesem Künstler mehr Mittel als Zweck, seine Kunst zu
bethärigen.... denn statt der Begeisterung besitzt er die Ge-
wandtheit und statt der Pietät für die Erscheinung (?) das Kunst-
interesse. Damit würde aber dieser Meister nicht so weit ge-
kommen sein, als es wirklich der Fall, wenn er nicht m früherer
Zeit mit Geist und reiner Empfindung durch eine direkte
Anregung der reichen Natur sich eine so umfangreiche Natur-
anschauung erworben hätte, daß seine letzte Mamer mit Erfolg
noch lange daran zehren konnte." Weiterhin bezeichnet er diese
Methodik geradezu als „Routine".

Diese Routine nun, welche das wahre Wesen des ideen-
losen Virtuosenthnms ausmacht, erkennt Unger mit scharfem Blick
 
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