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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0205

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tu den nächsten Nachfolgern Raphaels und identificirt dieses Vir-
tuosenthum in offenster Weise mit dem Mangel an Pietät
gegen die Idee und die Natur (denn dies faßt er beides
zusammen unter dem allerdings sehr vagen Ausdruck „Erschei-
nung.") In diesem Sinne vergleicht erSebastian bet Piombo
mit Raphael (S. 135 f-), indem er geradezu bemerkt: „Die
Kunst Sebastians verhält sich zu der Raphaels wie die Vir-
tuosität, so sehr sie auch im Interesse der geistigen Wahrheit
zurückgehalten ist, zur wahren Schöpfungskraft" und zieht
daun folgende lehrreiche und interessante Parallele: „Sebastian
zeigt in seinen Werken einen ebenso liefen Geist, wie künstle-
risches Geschick; — Raphael ein hohes Vermögen, das Wesen
möglichst kunstlos mit der Kraft seines geläuterten Gefühles zur
Erscheinung zu bringen. Sebastian wendet seine Principien der
Natur gegenüber mit Pietät und Gewissenhaftigkeit an, ihren
geistigen Inhalt zu erzielen; — Raphael folgt nur dem Gefühls-
drauge, das naiv anszudrücken, was er als Hellseher der Er-
scheinung gegenüber wahrnimmt. Sebastian zeigt sich als ein
ernster Kunsterfahrener seines Erfolgs gewiß, tveil er mit Weis-
heit aus sich herauszugehen vermag, um sein Beginnen mit
treffender Schärfe zu prüfen; — Raph ael hat den unbefangenen
Blick eines Kindes, womit er das vollführt, was der Weisheit
gleich zu achten ist. Sebastian ist so bedeutend im Kolorit,
daß er in diesem Ztveige durch seine Kunst die inhaltsvollste
Einfachheit erreicht; — Raphael erlangt in Unschuld, was in dieser
Hinsicht nöthig ist. Sebastian sucht sich kunstvoll seines per-
sönlichen Antheiles zu enthalten ; — Raphael zeigt selbst im Häß-
lichen sein schönes Ebenbild in dem beseelenden Geist, durch
welchen er es belebt. Bei ihm ist nichts Kunst, sondern Schöp-
fuugsdrang, und wenn dieser Ausspruch auf das Bildnißfach
weniger anwendbar scheint, tveil es sich hier um die Darstellung
eines Vorhandenen handelt, so bewährt Raphael diese seine hohe
Gabe dadurch, daß er das Vorhandene, das als ein Besonderes
im Laufe der Zeit (?) sein eigentliches Wesen eingebüßt, im Sinne
seiner Urbedeutung mit durchdringender Macht wiederherstellt.
Diese seine Macht ist nie das Wie, sondern das Was.
Das Was aber ist das denkende Sein,*) der Geist, der
sich unendlich manifestirt und immer derselbe ist.
Raphaels Kunst ist in allen Zügen diesem Geist identisch. Er
geht in sie (ihr) auf, wie sie in ihn (ihm)."

Ehe wir auf diesen Gegensatz des Wie und Was näher cin-
gehcu, nur noch eine Stelle als Belag für die ivahrhaft kuust-
philosophifchc Empfindung Ungers über die primäre Bedeutung
des Ideellen für die Kunsteutwicklung. Er spricht (S. 182) von
Guido Reni, dessen Virtuosität er schlechthin als „Geläufigkeit"
kennzeichnet und kommt dann (S. 184) auf die Carracci's zu
sprechen, deren Werke „bei all' der großen Virtuosität, mit der
sic ansgeführt sind, nicht zu der geistigen Tiefe gelangen, die
zu der Offenbarung einer umfassenden Schönheit erforderlich ist.

*) Besser umgekehrt: „Der seiende (d. h. real gewordene) Ge-
danke". ' D. R.

Diese Virtuosität" — fährt er fort — „thut mit der Natur viel
zu bekannt, als daß sich ihre Tiefe erschließen könnte, während
sie doch dem schlichten, frommen Sinn der altern Meister, deren
reine Empfindung nur dem Höchsten zugekehrt war, trotz der
Unbehülfltchkeit ihres Ausdrucks so offen lag. Denn die reine,
unbehinderte Empfindung ist geistigerer Natur als ein sich selbst
beschränkender Verstand, der in der Zeit seiner weiteren Ent-
wickelung nur selten die Mündigkeit erlangt, sein richtiges Vcr-
hältniß zur künstlerischen Schöpfuugskraft zu erkennen." — So-
dann macht er darauf aufmerksam, daß trotzdem im 17. Jahr-
hundert in Italien einzelne Werke entstanden, die als Ausnahmen
zu betrachten seien und die mau „wegen ihrer Schönheit dem
Besten an die Seite stellen kann, was die christliche Knust über-
haupt hervorgebracht hat." Aber — setzt er hinzu — „es sind
dies solche, wo der betreffende Künstler, wie in einer An-
wandelnng von Frömmigkeit, das schöpferische Ele-
ment der Empfindung bedeutend vorwalten läßt, wo der Verstand
und die Virtuosität als solche uegirt sind und sich dem
reinen Ausdruck der Empfindung unterordnen, die, nur der geisti-
gen Offenbarung zugewendet, jedes nüchterne Kunst-
wollen verschwinden macht und dabei bewußtlos nur das
Wahre in sich aufnimmt, was auch eine gewitzigte Knust
enthalten kann." Was man dem Verf. auch sonst zum Vorwurf
machen kann: durch solche aus dem tiefsten Verständnisse der
künstlerischen Genesis geschöpften Aeußerungen dokumentirt er
sich als ein echter Forscher, wie wir sic heute eben nur wenig
oder gar nicht besitzen. (Fortsetzung folgt.)

Wiiil'iograplj. UeLersicht über die Novitäten des Kmistljaudets-

Lehrbnck der Perspektive für bildende Künstler von Otto
Gennerich. Mit 101 in den Text eingedruckten Holz-
schnitten und einem Atlas, 28 lithographirte Tafeln enthal-
tend. — (Leipzig: F. A. Brockhaus. 1865. 8. XV, 436. S.)

Dramaturgische Blatter. Ein Organ zur Förderung und
Hebung der dramatischen Poesie und ihrer Darstellung durch
die Schauspielkunst. Herausgegeben unter verantwortlicher
Redactiou von Professor Or. H. Th. Rätsch er. Erster
Jahrgang. — Zweites Heft. Dresden. (Druck und Verlag
der Königl. Hofbuchdruckerei von C. C. Me inhold und
Söhne 1865.)

Westermaiiu'S illustrirte deutsche Monatshefte für

das gesammte geistige Leben der Gegenwart. Nr. 7. der
zweiten Folge. (Erschienen bei Gcorg e Wcsterm ann in
Braunschweig.)

Außer dem sonstigen interessanten, sich für unser Journal nicht
zur eingehenden Besprechung eignenden Stoff enthält das oben
angeführte Heft auch die Biographie Moritz von Schwindt's
mit dem wohlgetroffenen Portrait desselben, und machen wir be-
sonders hierauf aufmerksam.

Kunst - Institute und Kunst - Vereine.

herein für die Geschichte Aertms.

Vortrag des Prof. Adler „lieber die Entwicklungsgeschichte Berlins in ältester Zeit"
(Schluß aus voriger Nummer; siehe Kunstgeschichte).

In Betreff des städtischen Lebens bemerkte der Vortragende,
daß der Handel zu Schiff wie zu Wagen für die Knktnrverhält-
nisse der damaligen Zeit ziemlich ausgedehnt war; namentlich
war es der Holzhandel, der in ziemlich umfangreichen Maaß-
stabe betrieben wurde; wie denn die schönen Eichenwaldungen,
welche die Höhenzüge im Südosten der Stadt bedeckten, und
aus denen damals die jetzige Jungfernhaide bestand, von den
Engländern und Holländer» für den Bau ihrer Flotten angckauft
wurden. Außerdem betrieb man Bienenzucht, Ackerbau u. s. f.
Die damalige Existenz des Berliner« war eine bescheidene zwar,
aber voll frischer Heiterkeit und verhältuißmäßiger Wohlhaben-
heit. —

Zur Charakterisiruug der ältesten Bewohner Berlins, Sachsen
und Wenden, benutzte der Vortragende eine Erklärung der aus-
gestellten farbigen Cartons, welche Nachbildungen einiger inte-
ressanter Kunst-Denkmäler der ältesten Zeit, zum Theil in bedeutend
vergrößertem Maaßstabe, darstcllten.

1- Zunächst war es eine Darstellung des drei Jahrhunderte
durchgekämpften Streites der beiden Rationalitäten, der Sachsen
und der Wenden. Es ist dies ein aus dem zwölften Jahrhun-

dert stammendes Elfenberureltef auf dem Deckel einer Ham-
burger Evangelienhandschrift, auf welchem das Christenthum als
Victoria den niedergesunkenen Wenden mit einer Lanze durch-
bohrt. Letzterer trägt die noch heut in Polen übliche Netional-
tracht mit offenem Aermelrock und weiten Hosen. Sein Gesicht
ist bartlos, das Stirnhaar kurz verschnitten. Der Kampf selbst
findet vor dem alten Wcndeutcmpel statt: das Götzenbild blickt
heraus, es ist ein armloses Bild mit Rock und Gesichtsmaske.
2. Ein Kapitell aus der Krypta des Brandenburger Doms,
dessen eine Seite verdeckt ist, während die andern drei Flächen
noch wohlerhalten sind. Diese aus 1235 stammende magdebur
gische Arbeit zeigt ebenfalls einen Wenden mit Zipfelmütze und
Streitaxt, sodann den Markgrafen mit dem Zirkelreif und Topf-
helm, Ringpanzer und Rundschild. Er trägt wie der dritte
sächsische Fußkämpfer ein langes Hicbschwert. 3. Zur Vergleichung
der Tracht diente die vergrößerte Abbildung eines Bracteateii
Albrechts des Bären und eines Siegels desselben. 4. Eine
Darstellung ans der Heidelberger Bilderhandschrift des Sach-
senspiegels, welche die Aufforderung zur Heerfahrt nach sechs
Wochen bedeutet, welche von dem römischen Könige an den Mark-
 
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