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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0284

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geworden, sondern Städte wie Venedig, Danzig,
Lübeck und vor Allem Nürnberg. Das einheitliche
physiognomische Gepräge, welches die Städte letzterer
Art, namentlich auch in künstlerischer Beziehung, charakte-
risirt, ist seinem Ursprung wie seiner Form nach von dem
jener Weltstädte gänzlich verschieden. Hier ist es, wie
gesagt, die staatliche Centralisation, d. h. der durch den
Machtspruch prachtliebeuder Herrscher überallher zusam-
mengeschleppte Reichthum an Kunstschätzen und die durch
gleichen Machtspruch errichteten Prachtbauten, dort ist es
der Glanz eines durch eigne Kraft und Größe zu Wohl-
fahrt, Reichthum und Macht gelangten Bürgerthums: auf
der einen Seite die Frucht des Despotismus, aus der
andern die Blüthe der Freiheit. Denn, um beim Alter-
thum zu bleiben, wem verdankt Rom sein vorwaltend künst-
lerisches Gepräge? Etwa einer volksthümlichen, originalen
Kunstblüthe? Die römische Kunst entstammt größtentheils
einer Verpflanzung der hellenischen Kunst auf italischen
Boden; einer Verpflanzung, welche auf gewaltsame Weise
durch das Machtwort der Kaiser und auf Kosten der ge-
plünderten und gebrandschatzten Völker der ganzen damals
bekannten Welt durchgeführt wurde. Wie anders ent-
wickelte sich die Pracht, der Reichthum und das Kunstge-
präge der durch ihre bürgerliche Freiheit und Regsamkeit
groß und mächtig gewordenen Städte, des meerbeherr-
schenden Venedig, der ehemals mächtigen Hansastädte
Lübeck und Danzig, der freien Reichsstadt Nürn-
berg. Die Pracht und der künstlerische Glanz dieser
Städte erinnert an Frieden, Thäiigkeit, Lebensglück, In-
telligenz, Gesittung und Freiheit, die Pracht Roms au
Krieg,.Schlemmerei, Selbstsucht, Frivolität und Sklave-
rei: dort ist die Kunst die natürliche Blüthe volksthüm-
licher Kultur, der uothwendige Ausdruck bürgerlicher
Wohlfahrt, hier das Symbol despotischer Machtfülle. —
Man wende nicht ein, daß es schließlich gleichgültig sei,
wie sich die Städte künstlerisch gestaltet haben; das Re-
sultat sei am Ende doch dasselbe. Dem ist nicht so. Was
Städte wie Venedig und Nürnberg noch heute so
anziehend macht, ist der Eindruck der Ursprünglichkeit und
Naturwüchsigkeit. Man staunt nicht blos über ihre Größe
und Schönheit, man fühlt sich angeheimelt, wie von einer
Volksmelodie; es herrscht darin eine natürliche Harmonie
nach allen Seiten, mau empfindet den natürlichen Puls-
schlag eines organisch frischen Lebens, aus welchem all'
dies Schöne entstand, das jedem Dinge, auch dem klein-
sten, und diente es auch nur dem täglichen Lebeusbedürf-
niß, das Gepräge einfacher Wahrheit und künstlerischer
Gesundheit aufdrückte.

Die Entstehungsgeschichte solcher Städte ist darum
von höchstem Interesse. Bei manchen, wie z. B. Vene-
dig und den andern am Meere liegenden mittelalterlichen
Handelscentren, die durch ihre Verbindung mit fremden
Ländern zum Sammelplatz von Kunst und Wissenschaft

wurden, ist der Grund ihrer hohen Kunstblüthe leicht ein-
zusehen. Nicht so bei Nürnberg. Denn diese merk-
würdige Stadt, in welcher sich der architektonische Charak-
ter der mittelalterlichen Kunst am allerschärfsten und kon-
sequentesten ausgeprägt und die sich gegen die triviale
Modernisirung und prosaische Nivellirungssucht der heuti-
gen Bauweise bis jetzt am entschiedensten gesträubt hat,
liegt fern vom Meere, mitten im Binnenlande, und
nicht einmal in einer fruchtbaren Gegend. Um so wunder-
barer ist die Thatsache, daß mit ihr, in Rücksicht auf Viel-
seitigkeit der künstlerischen und kunstindustrielleu Entwicke-
lung, keine, auch Venedig nicht, rivalisiren kann. Bis zum
siebzehnten Jahrhundert hat sich Nürnberg nicht nur als
einer der größten und einflußreichsten Haupthandelsplätze
behauptet, sondern es gab auch weder im Bereich der
Kunst noch in dem der Wissenschaft oder des Gewerbes
ein Gebiet, das in ihm nicht auf hervorragende Weise
vertreten und kultivirt wurde. Es besaß, so lange es
freie Reichsstadt war, eine Universität, war seit der älte-
sten Zeit Residenz der deutschen Kaiser und noch zur Zeit
des 30jährigen Krieges eine der stärksten Festungen, wo-
von seine Bastionen, Wälle, Thürme noch heute sprechen-
des Zeugnis; geben. Von seiner damaligen Macht, Größe
und Bedeutung in kulturgeschichtlicher Beziehung als Ccn-
trum des künstlerischen, wissenschaftlichen und industriellen
Lebens kann man sich heutzutage kaum einen richtigen Be-
griff machen. Auch jetzt noch ist es gewissermaaßen die
zweite Hauptstadt Baierns; aber welchen eigenthümlichen
Gegensatz bildet es zu München, als der modernen ersten
Hauptstadt. Hier, wie in Rom, ist alles künstlerische
Leben nicht auf natürlichem Wege durch die fortschreitende
volksthllmliche Kultur, sondern künstlich, durch den Macht-
spruch und mächtigen Willen des knnstliebenden Königs Lud-
wig, hervorgerufeu. Aber darum wird auch München nie
die klaffende Differenz zwischen dem etwas kleinstädtischen
Typus seiner Bewohner und dem „klassischen" Charakter
seiner treibhausartig geschaffenen und erhaltenen Kunst-
physiognomie überwinden. Ei» Jahrhundert später, und
alle diese in den verschiedensten Stilen ausgeführten Pracht-
bauten werden daun den Reiz der Neuheit verloren haben
und als ein Konglomerat von Kuriositäten eine kolossale
Raritätensammlung bilden. Alles, was München an öf-
fentlichen Kunstdenkmälern hat,, ist nicht geworden, son-
derngemacht, und während Nürnberg immerhin seine
prägnante Naturwüchsigkeit, seine ehrwürdige Originalität
und seinen reinen Kunstcharakter bewahren wird, könnte es
kommen, daß München einst, trotz Cornelius, Kaulbach
und Klenze, einen zopfigen Eindruck macht. Für jeden
wahren Kunstkenner bleibt Nürnberg daher doch die erste
Stadt Baierns, wenn nicht Deutschlands.

Werfen wir nun einen Blick auf die Ursachen, welche
es zu dieser hohen Bedeutung erhoben haben.

(Forts, folgt.)
 
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