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Die Dioskuren: deutsche Kunstzeitung ; Hauptorgan d. dt. Kunstvereine — 10.1865

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https://doi.org/10.11588/diglit.13555#0285

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275

Studien ?ur Charakteristik bedeutender Künstler der Gegenwart.

XLVIH. Bonav. Genelli.
(Schluß.)

er hochgebildete und für
^ die höhere Kunst begei-
sterte Uebersetzer des „Fir-
dusi", Baron v. Schack,
welcher unter anderen bedeutenden Werken
i auch Rahl's großartige „Eimbernschlacht"
hervorgerufen zu haben sich rühmen darf,
hat, aus einer in seiner persönlichen Kunst-
anschanung und Geschmacksrichtung be-
gründeten Verkennung der natürlichen
Grenzen der Staffeleiinalerei, viel dazu
beigetragen, Genelli in eine seinem
innersten Wesen durchaus widerstrebende Kunstthätigkeit
hineinzudrängen. Wenn dies ein begabter Kunstfreund
gethan, so ist nicht er, sondern der Künstler zu tadeln,
welcher solche Bestellungen, wie ruhmvoll sie auch sein
mochten, annahm und ausführte; am meisten aber jene
seichten Phrasenmachcr, die, halb Künstler halb Kritiker,
die Unklarheit ihrer ästhetischen Halbbildung für Tiefe
poetischer Empfindung halten und mit einer ihrer ästheti-
schen Ignoranz entsprechenden Arroganz in kavaliermäßiger
Weise von „Klassicität" und „idealer Richtung" faseln,
ohne daß sie weder von dem Einen noch von dem Andern
etwas Genaues zu sagen wissen. Diese Leutchen, welche
lieber bester malen sollten als ästhetischen Unsinn schwatzen,
haben leider Genelli, statt ihn bei dem ersten Versuch,
antik-mythologische Motive zu malen, davon abzumahnen,
durch ihre unverständigen, überschwenglichen Lobhudeleien
darin bestärkt, auf dieser falschen Bahn fortzuschreiten.

Genelli ist einer der wenigen, unserm Jahrhundert
angehörenden deutschen Künstler, deren Namen neben denen
eines Cornelius, Carstens, Koch, Overbeck, Schir-
mer, Preller, Rottmann mit unvergänglichen Lettern
in die Annalen der Kunstgeschichte verzeichnet werden
müssen, aber nicht seine Staffelegemälde, sondern — wie
bei Cornelius und Kaulbach — seine Zeichnungen und
Cartons sind es, welche seine kunstgeschichtliche Bedeu-
lung ausmachen. Ja, selbst seine enthusiastischen Verehrer
müsten, wenn sie sich ehrlich Rechenschaft geben wollen
von dem Eindruck seiner Bilder, gestehen, daß man der

Komposition wegen dabei die Farbe mit in den Kauf nimmt,
und daß diese — Ebenso wie bei den Wandgemälden
Kaulbach's — eher ein störendes, die Idee der Komposition
trübendes als förderndes Elenient darin ist.

Eins seiner ersten Oelgemäldc dieser Art war der
„Raub der Europa", ein gegen 8 Fuß langes Bild, welches
ben in einen Stier verwandelten Jupiter mit dem Mädchen
auf dem Rücken darstellt, wie er in Gegenwart zahlreicher
Zuschauer, Neptun und Amphitrite, die Okeaniden, Tritonen
und Nereiden, das bekannte Heldenstück ausführt. Ist dies
nun ein passender Vorwurf für die heutige Malerei, ein
Motiv, das, weil es für die sinnlich heitern Hellenen in

ihrer naiven Anschauung als einheimisch e Sage eine poe-
tische Wahrheit besaß, für uns eine „klassische" Bedeutung
haben muß? Wir lassen dergleichen als plastisches Orna-
ment an irgend einem der Kunst gewidmeten Musentempel
passiren, aber cs als ein für sich bestehendes Objekt male-
rischer Darstellung behandeln wollen, ist eine Verkehrung
alles wahrhaft künstlerischen Schaffens. Die alten großen
Meister des sechzehnten Jahrhunderts haben auch der-
gleichen gemalt: dies wird oft als Grund gegen Einwen-
dungen angegeben. Abgesehen davon, daß die alten Meister
Unsinn genug gemalt haben, darf man auch nicht ver-
gessen, daß den alten Meistern es zuweilen ziemlich gleich-
gültig war, was sie malten, wenn es nur irgend ein
Motiv war, woran sie ihre Kunst zeigen konnten. Wenn
aber die heutige Kunst- und Kulturentwicklnng überhaupt
irgend einen Fortschritt besitzt gegen die ältere, so ist cs der,
daß wir auf die Idee und ihre Wahrheit zurückgehen,
daß wir in der äußerlichen Form einen gedanklichen, natür-
lich-einfachen Inhalt suchen und verlangen. Diese Einheit
von Form und Inhalt besaßen die Griechen auf der
Basis ihrer künstlerischen und religiösen Anschauung —
und darum sind sie in ihren Gestaltungen „klassisch"; wir
aber, wenn wir die den Hellenen naturgemäße Klassi-
cität heute, bei total verändertem, mit gänzlich anderm
Inhalt erfülltem Bewußtsein wiederaufwärmcn, als ob sie
uns „natürlich" sei, wir hören eben darum auf „klassisch" zu
sein und werden — zopfige Böotier.

Was würde man sagen, wenn man von der heutigen
Dichtkunst verlangte, sie müßte, um „klassisch" zu sein,
nicht nur in der Form, sondern im Inhalt die home-
rischen Kämpfe und die Dramen des Sophokles wiederauf-
wärmen, wie es die französische Trägodie vor hundert
Jahren versuchte. Alle solche bornirte Klassicität ist Zopf.
Wollt ihr „klassisch" sein, so seid vor Allem national d. h.
original, in Idee wie in Form! „Das Leben des Wüst-
lings" und die Scenen „Aus dem Leben einer Hexe" haben,
trotz ihrer Excentritäten, Inkorrektheiten und Unschönheiten
mehr wahre Klassicität als alle antikisirenden Oelgemäldc
Genelli's zusammengenommen. Um auf die „Europa" zu-
rückzukommen, so zeigt schon die Farbe die tiefe Differenz
zwischer Form und Inhalt. Schwankend zwischen der
Nothwcndigkeit, sich von jedem naturalistischen Kolorit fern
zu halten, um nicht mit dem „historischen Stil" in Wider-
spruch zu gerathen, und dem Wunsche, den Forderungen
eines „schönen Kolorits" zu genügen — dieses Hin- und
Herschwanken beweist allein schon den Mangel an Naivetät
der Anschauung — hat cs der Künstler darin nur bis zu einer
gewissen Unklarheit der Färbung gebracht, die sich abmüht,
den am wenigste» störenden Mittelweg zwischen den beiden
Extremen inue zu halten. Später, bei andern Bildern,
namentlich bei dem „Herkules Musagctes", ist er daun nicht
mehr so zaghaft gewesen und hat frisch weg die Sache
so behandelt, als handele es sich um irgend einen ganz
gewöhnlichen Vorgang.

Wir verzichten auf ein näheres Eingehen auf die
späteren Oelgemäldc Genelli's. Er malte noch den „Kampf

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