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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 38.1916

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Leven, Willy: Eine Kömodie der Mode
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https://doi.org/10.11588/diglit.8538#0089

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Eine Komödie der Mode.

sehen uns am Bozener Walterplatz um 1350.
Herr Walter singt seinen Liebestraum und tiroler
Bürgertrachten spazieren vorüber; das Renais-
sance-Jahrhundert setzt ein mit der reicheren
italienischen Gewandung, mit der bilderschwe-
ren Sprache Boccaccios. Zwei lustige Deca-
meroneskizzen geben den Text. Wir hören So-
nette Petrarkas und bewundern gleichzeitig den
einfachen Reiz des faltigen Kleides seiner Laura;
Klänge aus Wagners Meistersingern läuten die
große deutsche Zeit ein, ein Bild aus Dürers
u. Sachsens Nürnberg zeigt Bürger und Bürgerin
im bunten Staat, der die sagenhafte Luxus-
fremdheit jener Tage als Legende hinstellt. Fast
herb wirken dazu Eulenbergs wuchtige Worte
zu Hans Sachsens Scherzspiel. Wenige Jahr-
zehnte später erscheint die französische Tracht
fast wie eine logische Folge davon, stellt jeden-
falls einen unmittelbaren Zusammenhang mit
jener malerischen deutschen Bürgertracht dieser
Zeit dar; wir sehen also damals schon einen
Vorläufer von dem, was wir heute wollen:
Deutsche Selbständigkeit. Grotesk wirkt nach
dieser gesunden Entwicklung der französischen
Mode die fast spielerische Tracht, die bewußte
Koketterie der Engländer dieser Zeit. Man
denke als Schönheitspflästerchen auf der Stirn
dieser Ladys eine vierspännige Kutsche.
Hier scheint die Mode einen anderen Zweck
zu erfüllen, denn nur schöner Schein zu sein;
jedenfalls hat man es da mit einer Abart des
Spleens, der unsere lieben Feinde auch heute
noch auszeichnet, zu tun. Fast wie eine Er-
lösung wirkt dann die Zeit Molieres und ihre
Tracht, bis wir in die glücklichere Epoche der
Genies geraten. Mozart spielt den Reigen,
Schattenrisse aus der Goethezeit wandeln vor-
über, wie ein ungestümer Sturmwind stürmt
einen Augenblick Zeit und Tracht der Revolu-
tion vorbei, als wollte sie den Beginn einer
leichter, jedenfalls weniger schwerfühlenden
Zeit anzeigen, und die bauschigen Gewänder
unserer deutschen Urgroßeltern, wie sie in den
Straßen Altberlins, des alten Magdeburgs oder
in Altfrankfurt spaziert haben mögen, tauchen
auf. Schubert-Melodien erklingen dazu und wir
verstehen nunmehr, entwicklungsgeschichtlich
und diese Dinge von ihrem großen Zusammen-

hange aus betrachtend, wie alles kommen mußte,
wie es kam. So wirkte dann zum Schluß das
Modebild 1912 in seiner steifen, herzlosen
Leere fast abstoßend. Nur die Verse Rainer
Maria Rilkes legten ein Zeugnis dafür ab, daß
diese Zeit nicht ganz der Seele, der malerischen
Kultur zu entbehren brauchte !

Und als die Kulturträume, die uns die Magde-
burger „Börde" in so wunderbarer anregungs-
voller Überfülle geschenkt halte, vorüberge-
zogen waren, zeigte der lebendige Tag, daß die
Gegenwart auch hier wieder recht hat. Zuerst
gab das alte, schon im vorigen Jahrhundert
kulturschöpferisch wirkende Haus Palis eine
treue Anpassung seiner Tracht an das Zeit-
gebot, schlichte, bescheidene, mit dem Stoffe
sparende, doch vornehme herzgewinnende
Frauenkleidung. Und dann kam die Mode-
klasse selbst. Es läßt sich kein schöneres
Beispiel des Drängens zum Zeitgefühl, zum
Nationalempfinden denken, als diese mannig-
faltige, aber immer durch Zurückhaltung und
künstlerischen Eigenwillen überzeugende Trach-
tenreihe der Magdeburger Mode: Einmal ein
leichtes, farbenfrohes Gewand aus lichtem, viel-
leicht ganz billigem Stoffe, das aber dennoch
den Eindruck eines Festkleides zu machen
wußte. Und wieder wippende Hüte, wieder
malerische Gewänder, aber auf alles Zuviel ver-
zichtend, nur durch Schnitt und Falte und In-
einanderfließen der Farben das Auge erobernd.

Es ist hier nicht der Platz, Einzelheiten zu
geben. Die künstlerische Leitung der Mode-
klasse liegt in den Händen Kurt Tuchs, die
technische Führung hat Fräulein Reidt inne.
Die wertvollsten Kleiderentwürfe, die sowohl
auf der Frankfurter Modewoche wie bei ihrer
Magdeburger Uraufführung bei dem geschmack-
vollen Publikum den stärksten Eindruck hinter-
ließen , waren die Arbeiten von den jungen
talentvollen Schülerinnen der übrigens erst vier
Monate arbeitenden Klasse! Was in der Kin-
derarbeitsklasse, auch eine Tat Rudolf Bosselts,
an Arbeit geleistet wird, darüber vielleicht ein
anderes Mal. Heute sei nur der Wunsch aus-
gesprochen, daß die Magdeburger Modewerk-
stätten die internationale Bedeutung, die sie
anstreben, auch erringen möchten, willy leven.

iSENFB ÄTZ.
 
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