Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Metadaten

Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 46.1920

DOI Artikel:
Ritter, Heinrich: Die Kunst und ihr Publikum, [2]
DOI Seite / Zitierlink: 
https://doi.org/10.11588/diglit.7200#0197

DWork-Logo
Überblick
loading ...
Faksimile
0.5
1 cm
facsimile
Vollansicht
OCR-Volltext
Die Kunst und ihr Publikum.

von Giotto zu Raffael, von Grünewald zu Rem-
brandt? Weshalb verläßt Rembrandt selbst
den meisterlichen Stand seiner ersten „Anato-
mie", um zum „Saul", zur „Judenbraut" über-
zugehen? Wenn Mozart und Bach Gipfel aller
Musik sind, weshalb dann Wagner und Schön-
berg? Wenn der Louis XV-Sessel ein Urbild
an Schönheit und Zweckmäßigkeit ist, weshalb
dann Stühle von Bruno Paul und Van de Velde?
Man kann diese Frage fein fassen und sehr
grob, aber sie bleibt immer der Kernpunkt aller
Abwehr gegen neue Wendungen in der Kunst.
Irgendwie fühlt der Laie, wenn er die Kunst
neue, ungebahnte Wege einschlagen sieht, Be-
fremden darüber, daß sie nicht auf dem Stand-
punkte der Kunst von gestern stehen geblieben
ist. Er weiß zwar und erkennt als notwendig
an, daß in der exakten Wissenschaft, in der
Technik kein Stillstehen stattfindet. Er nimmt
es als unausweichlich hin, wenn Chemiker und
Physiker Entdeckungen machen, die das ganze
bisherige Weltbild der Wissenschaft umstoßen.
Wenn aber Van Gogh wichtiges zum rhythmi-
schen Ausdruck der modernen Seele entdeckt;
wenn der Expressionismus, um wieder mensch-
liche und religiöse Fragestellungen in die Kunst
zu bringen, die genießerische wörtliche Wieder-
gabe der Naturvorlage peinlich flieht — dann
empfindet der Laie Befremdung, als fehle die-
sem Vorgang Zwang und Müssen. Er sieht die
ungeheuere Zumutung, die ihm der Künstler
stellt, und meint, ausgesprochen oder unausge-

sprochen : wenn Jahrzehnte und Jahrhunderte
mit einer mir geläufigen Kunstanschauung aus-
gekommen sind, so hätten sich doch auch diese
Neuerer dabei genügen lassen können. Er
sträubt sich, die Notwendigkeit der Neuerung
anzuerkennen. Sie scheint ihm irgendwie will-
kürlich. Er hat immer gehört, daß es sich in
der Kunst um Aufsuchung des Schönen handle.
Er sieht das Schöne in der ihm geläufigen Kunst.
Er sieht das Gegenteil von Schönem in der
Neuerung. Daher sein Wehren, daher seine
Empfindung; Dies ist nicht notwendig.

Hier setzt ein, was dem Laien von Künstlers
Seite gesagt werden muß.

Es handelt sich in der Kunst nicht um Schön-
heit schlechthin, sondern um diejenige Schön-
heit, die sich ergibt aus der jungen, unmittel-
baren Auseinandersetzung eines bestimmten
Zeitalters und Menschen mit der einen und
ewigen Welt. Kunst ist vor allem Ausdruck.
Das heißt, sie ist Gestaltung aus ganz bestimm-
ten, einmal gegebenen, unabänderlichen Vor-
aussetzungen heraus, die von Epoche zu Epoche
wechseln. Sie ist Beziehung eines Verän-
derlichen zu einem Ewigen; Darlebung
eines bestimmten Weltgefühls, einer bestimm-
ten Weltanschauung, einer umschriebenen Zeit-
stimmung, einer gegebenen Kunstanschauung.
Mozart konnte aus seiner Zeit heraus in seiner
Weise musizieren: göttlich frei, himmlisch hei-
ter, wohnend in einem unzerstörbaren Glück.
Heute kennen wir das nicht, denn unsere Zeit
 
Annotationen