A bklärung.
Von der allgemeinen Lebensstimmung der Zeit
wird es abhängen, welche dieser Samen zuerst
in Blatt und Stengel schießen werden. Eine
Prophezeiung darüber? Die ist schwer zu wagen.
Es scheint zwar sonnenklar, daß Zeit und Men-
schen zerrissener sind als je und stürmisch be-
wegt und daß daher, trotz Picasso, keine Aus-
sicht auf innere Beruhigung und klassizistischen
Weltfriedensschluß vorliegt. Aber die Kunst
ahnt, was in den Tiefen ist. Sie liefert die
frühesten Ausschläge auf unterirdische elek-
trische Ströme, die sich später sichtbar an der
Oberfläche auswirken wollen. Sie begann sich
vor zehn Jahren, mitten in Frieden und Ge-
deihen, urplötzlich zu erregen, wurde fanatisch
und rebellisch, ging mit revolutionärem Zorn
ins Ethische und hatte rein in ihrer Form den
ganzen Umsturz, der in Krieg und Revolution
grauenhaft über die Welt kam. Es ist ebenso-
wohl möglich, daß sie jetzt schon eine Beruhigung
ahnt, die kommen will. Eine Beruhigung, die
freilich alles andere eher ist als bürgerliches
Behagen und stumpfsinnige Gottfremdheit. Aber
eine Beruhigung, die die waltenden Mächte der
Welt klar und positiv erkennt und endlich zu
ihnen in eine fromme, direkte und offene Be-
jahung tritt. Wir haben — ich sage dies gerade
aus inniger Fühlung mit dem Zeitgeist heraus —
lange genug mit diesen Mächten Verstecken ge-
spielt, sie illusionistisch verspottet, geleugnet,
gelästert, weil Irdisches durchgelebt werden
mußte, weil wir des Irrtums bedurften, um
wieder ganz in unserer Welt heimisch zu wer-
den. Wir müssen manchmal durch solche Pe-
rioden der Verjüngung und Ver-Erdung gehen,
um dann das Gestirnhafte und Wahre um so
mächtiger zu fühlen. Es ist ganz sicher eine
Ermüdung an diesem Versteckspiel mit den
„Mächten" eingetreten. Und so scheint es nicht
ausgeschlossen, daß in der Tiefe der Zeit etwas
Friedevolles keimt trotz des Aufruhrs an der
Peripherie. Jedenfalls sollen wir mit großer
Lust und frömmster Neugier den Prozeß ver-
folgen und uns der Woge Leben hingeben, die
sich schon in der Höhe des Meeres erhebt und
kraftvoll dunkel auf uns zurollt, willy frank.
£
Alles was gelernt und gelehrt und an Kräften
i \ erworben wird, muß durch das Gefühl in
den Dienst der höheren Entwicklung unseres
Volkes gestellt werden. Jeder einzelne muß
sich mitverpflichtet fühlen, an der Vertiefung
und Veredelung unseres Volkscharakters mit-
zuarbeiten und zwar, indem er nicht bei den
andern, sondern bei sich selber anfängt. In
solchem Boden gepflegt, werden Vaterlands-
gefühl, Volksbewußtsein, Nationalstolz und wie
wir die Äußerungen des einen tiefen Gefühls
der Zugehörigkeit nennen mögen, sich als auf-
bauende und gestaltende Lebensmächte wirk-
sam erweisen, die nicht nur an seltenen Schick-
salstagen fieberhaft aufwallen, sondern auch
an allen Werktagen still und stark an der Ar-
beit sind..............alfred lichtwark.
wilhelm lehm bruck t. »sitzendes mädchen«
Von der allgemeinen Lebensstimmung der Zeit
wird es abhängen, welche dieser Samen zuerst
in Blatt und Stengel schießen werden. Eine
Prophezeiung darüber? Die ist schwer zu wagen.
Es scheint zwar sonnenklar, daß Zeit und Men-
schen zerrissener sind als je und stürmisch be-
wegt und daß daher, trotz Picasso, keine Aus-
sicht auf innere Beruhigung und klassizistischen
Weltfriedensschluß vorliegt. Aber die Kunst
ahnt, was in den Tiefen ist. Sie liefert die
frühesten Ausschläge auf unterirdische elek-
trische Ströme, die sich später sichtbar an der
Oberfläche auswirken wollen. Sie begann sich
vor zehn Jahren, mitten in Frieden und Ge-
deihen, urplötzlich zu erregen, wurde fanatisch
und rebellisch, ging mit revolutionärem Zorn
ins Ethische und hatte rein in ihrer Form den
ganzen Umsturz, der in Krieg und Revolution
grauenhaft über die Welt kam. Es ist ebenso-
wohl möglich, daß sie jetzt schon eine Beruhigung
ahnt, die kommen will. Eine Beruhigung, die
freilich alles andere eher ist als bürgerliches
Behagen und stumpfsinnige Gottfremdheit. Aber
eine Beruhigung, die die waltenden Mächte der
Welt klar und positiv erkennt und endlich zu
ihnen in eine fromme, direkte und offene Be-
jahung tritt. Wir haben — ich sage dies gerade
aus inniger Fühlung mit dem Zeitgeist heraus —
lange genug mit diesen Mächten Verstecken ge-
spielt, sie illusionistisch verspottet, geleugnet,
gelästert, weil Irdisches durchgelebt werden
mußte, weil wir des Irrtums bedurften, um
wieder ganz in unserer Welt heimisch zu wer-
den. Wir müssen manchmal durch solche Pe-
rioden der Verjüngung und Ver-Erdung gehen,
um dann das Gestirnhafte und Wahre um so
mächtiger zu fühlen. Es ist ganz sicher eine
Ermüdung an diesem Versteckspiel mit den
„Mächten" eingetreten. Und so scheint es nicht
ausgeschlossen, daß in der Tiefe der Zeit etwas
Friedevolles keimt trotz des Aufruhrs an der
Peripherie. Jedenfalls sollen wir mit großer
Lust und frömmster Neugier den Prozeß ver-
folgen und uns der Woge Leben hingeben, die
sich schon in der Höhe des Meeres erhebt und
kraftvoll dunkel auf uns zurollt, willy frank.
£
Alles was gelernt und gelehrt und an Kräften
i \ erworben wird, muß durch das Gefühl in
den Dienst der höheren Entwicklung unseres
Volkes gestellt werden. Jeder einzelne muß
sich mitverpflichtet fühlen, an der Vertiefung
und Veredelung unseres Volkscharakters mit-
zuarbeiten und zwar, indem er nicht bei den
andern, sondern bei sich selber anfängt. In
solchem Boden gepflegt, werden Vaterlands-
gefühl, Volksbewußtsein, Nationalstolz und wie
wir die Äußerungen des einen tiefen Gefühls
der Zugehörigkeit nennen mögen, sich als auf-
bauende und gestaltende Lebensmächte wirk-
sam erweisen, die nicht nur an seltenen Schick-
salstagen fieberhaft aufwallen, sondern auch
an allen Werktagen still und stark an der Ar-
beit sind..............alfred lichtwark.
wilhelm lehm bruck t. »sitzendes mädchen«