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Deutsche Kunst und Dekoration: illustr. Monatshefte für moderne Malerei, Plastik, Architektur, Wohnungskunst u. künstlerisches Frauen-Arbeiten — 46.1920

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Corwegh, Robert: Erich M. Simon: Maler und Radierer Berlin
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https://doi.org/10.11588/diglit.7200#0269

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E R I C H M. $ I M O N

V_ MALER UND RADIERER J

Es gibt Nachgeborene vergangener 'LvM^w,
Menschen, die in verklungenen Tagen mit
ihrer Gedankenwelt wurzeln. Und doch stehen
sie in der Vergangenheit nicht wie Eingeborene,
wir spüren die Distanz, graue Schleier zwischen
dem Heut und Einst.

Eine stille Melancholie liegt über den Men-
schen und Dingen gleich dem verblaßten Schatten
auf Photographien Toter.

Ein solcher Nachgeborener des Biedermeier
scheint mir Erich M. Simon. Dabei ist er kein
Unmoderner. Die Kindschaft unserer Zeit ver-
leugnet er nicht, er hat die Nerven des Moder-
nen, und gerade sie befähigten ihn über und
durch die Literatur das Biedermeier-Land mit
der Seele nicht nur zu suchen, sondern in ihm
zu landen.

Wenn man seine Arbeiten durchgeht, sieht
man die Kleinstädte von damals, hört auf dem
holprigen Pflaster das Rasseln großer, schwan-
kender Reisewagen, den Schritt eines einsamen
Wanderers in der Stille der Straßen. Hinter den
Vitragen ahnen wir Mädchenköpfe mit hohen
Frisuren, die dann neugierig, aber verstohlen
dem Einsamen nachblicken. Kleinstadtmilieu ist
Biedermeiermilieu, denn auch die großen Städte
hatten damals Kleinstadtcharakter. Eng war
die Welt, überall Grenzen und Schranken, so
zwischen den Klassen, steife Konvention zwi-
schen Gleichberechtigten und zwischen den Ge-
schlechtern. Und doch träumen wir beim Eilzug-
Tempo unserer Tage so gern von den Zeiten,
da man Zeit hatte, geruhsam genießen, ja selbst
sein Leid bis zur Neige auskosten konnte.

Bei dieser Generation war der unglücklich
Liebende an der Mode. Die Frau spielte,
weil sie in die Welt des Mannes sich nicht sicht-
bar mischte, Herrscherin in Leben und Politik.
Die Fadenarbeiten der immer geschäftigen
Frauenhände waren damals Symbol, daß sie
die Fäden zu allem hielten. Wer solches schil-
dern will, muß Kleinstadt in sich tragen, wenig-
stens als Erinnerung der Kindheit.

Erich M. Simon wurde 1892 in einer Klein-
stadt Pommerns geboren und hat bis zu seinem
9. Lebensjahre, da man nach Berlin übersiedelte,
die ersten, entscheidenden Eindrücke dort emp-
fangen. Früh schon hatte er von seiner Mutter
Unterweisung im Zeichnen erhalten; und die
Malerei, als Beruf zu erwählen, war bald sein
brennendster Wunsch, über dem Schule und
Unterricht im Latein, Mathematik vergessen
wurden. Bruno Paul regte die Aufnahme an
die Berliner Kunstgewerbeschule an, und Emil
Orlik wurde der Lehrer des Achtzehnjährigen.
Neben Beardsley, den er damals auf Grund
von Blättern einer Kunsthandlung der Pots-
damerstraße verehrte, ohne seinen Namen zu
kennen, lockte ihn Buch und Literatur. Über
die Bücher der Museumsbibliothek gelangte er
zur Schätzung von Menzel, Daumier, Guys und
Gavarni. So landete er in der Zeit, wo er
Wurzel fassen sollte. Orlik ließ ihn zwar genau
und gut die Natur studieren; doch verletzte er
in seiner Kritik nie den Aufstrebenden, wenn er
selbständige Entwürfe vorlegte. Denn Aufträge
erforderten frühzeitiges Entwerfen, da der junge
Künstler in schneller Einfühlung Zigarrenpack-

XXIII. August 1920. 6*
 
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