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Kämmerer, Christian [Editor]
Denkmaltopographie Bundesrepublik Deutschland: Baudenkmale in Niedersachsen (Band 32): Stadt Osnabrück — Braunschweig, 1988

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https://doi.org/10.11588/diglit.44440#0032
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scher, Süntel- und Lindenstraße, Bebauung der alten Fernstraßen, besonders Meller
Straße), wird das traufenständige, auf ein bis zwei Familien zugeschnittene Haus, das
ein Walmdach besitzt und einen mehr oder weniger aufwendigen klassizistischen Fas-
sadendekor erhält, zum Wohnhaus des wohlhabenden Bürgertums in den Vorstädten
(Viertel um die Katharinenstraße, Arndtstraße, Lotter, Natruper, Bramscher Straße). Aus
den Baugewohnheiten des älteren städtischen Bürgerhauses behält das Vorstadthaus
in der Regel den schmalen Bauwich bei, der es vom Nachbarhaus trennt und den die
1855 erlassene Bauordnung für die Feldmark ausdrücklich verlangte. Er verschwindet
endgültig erst mit der Osnabrücker Bauordnung von 1906. Im Interesse einer möglichst
günstigen Raumausnutzung wird der Hauseingang häufig auf die Hausseite in den Bau-
wich verlegt. Es entstand auf diese Weise der typische Grundriß des seitlich erschlosse-
nen Vorstadthauses, das die Straßen der Stadterweiterungsgebiete der Zeit prägt.
Eine Begrenzung der Stockwerkszahl für Neubauten schrieben die Osnabrücker
Bauordnungen der Zeit nicht vor, die Gebäudehöhe war lediglich seit der Bauordnung
von 1868 an die Straßenbreite gebunden. Die Bestimmungen waren jedoch so gehalten,
daß im Regelfälle eine vielgeschossige Bauweise durchaus möglich gewesen wäre.
Dennoch verhinderte noch bis 1890 die herrschende, aus dem altstädtischen Wohnhaus
überkommene Bausitte, daß Neubauten mit mehr als drei Vollgeschossen errichtet wur-
den. Das Wohnhaus der Vorstädte geht bis zu diesem Zeitpunkt fast ausnahmslos nicht
über zwei Vollgeschosse hinaus und bleibt damit im Rahmen des seit Jahrhunderten in
Osnabrück Üblichen. Einschneidende Veränderungen der traditionellen Baugewohn-
heiten brachte erst das Vordringen des mehrgeschossigen Mietshauses, das bis dahin
in Osnabrück nicht hatte Fuß fassen können. Erste Mietshäuser entstanden in der zwei-
ten Hälfte der achtziger Jahre, in der Folgezeit stieg der Anteil des Mietshauses am Bau-
geschehen mehr und mehr, um schließlich gegen die Jahrhundertwende den Hauptan-
teil an den Neubauten zu gewinnen, unter denen das auf eine bis zwei Familien berech-
nete Haus keine nennenswerte Rolle mehr spielte. Ortstypische Vorformen des Miets-
hauses finden sich bereits in den Kleinwohnungshäusern der achtziger Jahre, die vier
bis sechs Wohnungen enthalten und sich in ihrer äußeren Gestalt und Anlage noch ganz
im Rahmen des älteren giebel- und traufenständigen Vorstadthauses halten (u.a. Meller
Straße, Augustenburger Straße, Linden- und Süntelstraße). Ausgeprägte mehrgeschos-
sige Mietshäuser und Vielfamilienhäuser in zusammengedrängter Bauweise setzten
sich seit den neunziger Jahren in Osnabrück allgemein durch und wurden bestimmend
für den Charakter der Stadterweiterungen der Jahrhundertwende bis zum Ersten Welt-
krieg. Bei aller Verdichtung der Bebauung wurde jedoch der Berliner Mietshausgrundriß
in Osnabrück nicht heimisch und blieb Einzelerscheinung. In seiner räumlichen Anord-
nung folgte auch das Mietshaus zunächst noch den örtlichen Baugewohnheiten. So wur-
de der schmale Bauwich, in den Hauseingang, Treppenhaus und Nebenräume gelegt
werden, in der Regel beibehalten. Erst nach der Jahrhundertwende setzten sich moder-
nere Grundrisse unter Fortfall des Bauwichs allgemein durch.
Die Gestaltung der Fassaden des Osnabrücker Wohnhauses ist vielfach noch bis zum
Ende des 19. Jh. dem Spätklassizismus verpflichtet, folgt im übrigen aber der allgemei-
nen stilistischen Entwicklung derzeit. In den neunziger Jahren beherrscht die reichere
Formenwelt des Eklektizismus mit ihren Rückbezügen auf Renaissance, Barock und,
gegen die Wende des Jahrhunderts, mit Motiven der Spätgotik die Fassaden. Einflüsse
des Jugendstils finden sich um 1905, bleiben jedoch meist beschränkt auf wenige orna-
mentale Details. Eine besondere Erscheinung stellt die Wiederbelebung des traditionel-
len Osnabrücker Fachwerkgiebels in den reichen Formen des 16. Jh. dar, die um 1910
mehrfach anzutreffen ist (Dielingerstraße 43; Krahnstraße 53; Rolandstraße 9). Als Re-
aktion auf den Jugendstil stellt sich seit etwa 1910 die Rückbesinnung auf die Baukunst
des Spätbarock und Frühklassizismus ein, die namentlich im herrschaftlichen Villenbau
der Zeit äußerst elegante Lösungen hervorbrachte. Der Traditionalismus beherrscht
noch bis zum Ende der zwanziger Jahre das Baugeschehen mit zurückhaltenden neu-
barocken und klassizistischen Formen, bis sich schließlich um die Wende des Jahr-
zehnts die endgültige Abkehr von den historischen Stilen durchsetzt.
In seiner handwerklichen Ausführung war das Wohnhaus noch bis ca. 1870 von großer
Einheitlichkeit und den jahrhundertealten Baugewohnheiten Osnabrücks verpflichtet.
Das Haus wurde in Bruchstein erbaut, Gliederungen und Architekturteile in Sandstein
hergestellt. Bis nach der Jahrhundertmitte wurde das Haus verputzt, in den sechziger
Jahren dagegen wurde der ortstypische Bruchstein häufiger in Sichtmauerwerk einge-
setzt, um im Spätklassizismus nach 1870 allgemein wieder durch die Putzfassade abge-
löst zu werden. Ganz in Sandstein vorgeblendete Fassaden in der handwerklichen Tra-
dition des Frühklassizismus waren noch bis 1870 häufig, kamen danach jedoch kaum
noch vor. Werkstein wurde als Material für ornamentale Fassadendetails nach 1860
gern durch das Terrakottaornament ersetzt, das seinerseits seit etwa 1880 vom Stuck
abgelöst wurde. Der nach der Jahrhundertmitte vordringende Ziegel fand am Außenbau

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