Eine Woche ans dem Tagcbuchc eines thüringischen Schullehrers.
(Schluß.) ,
Donner stja g, den 5. Mai 186 . .
Eine abscheuliche Stunde, die Geographiestunde, Mon-
tags und Donnerstags! Besonders jetzt, wo ich den Kindern
die deutschen Kleinstaaten in den Kopf zu trichtern habe. Das
Reuß-Greiz-Schleiz, das Lobenstein und Ebersdorf, das Lippc-
Schaumburg und Lippe-Detmold und alle solche andere nied-
liche Sächelchen haben mir schon mehr Aergcr gemacht, als
die größten asiatischen Monarchien. Doch was hilft's ? Lernen
müssen sie's doch, und sollte ich zwei neue Bakel daran ver-
demonstriren; denn in Kurzem kommt wieder die Schnlvisi-
tation, und ich will nicht wieder eine Nase bekommen, von
wegen der Geographie, wie am letztenmal. — Heut' Mittag
| Kartoffelsuppe mit der frischen Wurst, die mir Nachbar Veit
geschickt hat. Sie ist gut, die Wurst; nur steht ihre Länge
und Dicke nicht in der gehörigen Proportion mit der Größe
und dem wahrhaft schreckenerregenden Appetite meiner lieben
Familie. — In der Geschichtsstundc der Nachmittagsschnle
erzähle ich die Geschichte Napoleons und setze denselben tüchtig
herunter, dagegen preise und empfehle ich die treue Anhäng-
lichkeit der Unterthanen an ihre angestammten Fürsten; das j
ist vorschriftsmäßig. — Nach 'der Schule verfasse ich wieder
eine wohlstylisirte Petition um eine bessere Stelle; es ist
bereits die zweinudzwanzigste; wird aber wahrscheinlich so
wenig helfen, als die übrigen; es wird heißen: „Das Gesuch
des re. re. bedauern wir zur Zeit noch nicht berücksichtigen
zu können und nehmen die Gelegenheit wahr, dem rc. rc.
zu eröffnen, daß seine seit längerer Zeit geäußerte, ziemlich
demokratische Denkweise hohen Orts sehr mißfällig bemerkt
worden ist und keineswegs geeignet ist, den rc. rc. zu em-
pfehlen" ek cetera et cetera.
Frei ta g, den 6. Mai 186 . .
Wie.heute das Wetter ist, ist's gewöhnlich die ganze
Woche; auch das häusliche Wetter, und da habe ich eine
ziemlich trübe Woche zu erwarten mit einigen Donnertvcttcrn.
Schon in aller Frühe kommt der Postbote und bringt mir
einen Brief aus der Stadt. Ich denke und hoffe, es werde
irgend eine Einladung sein von einem Bekannten zu einem
Schmaus oder sonst einem kleinen Fest, eine von jenen
Oasen, die auch in den Wüsten des einförmigen Landschnl-
lehrerlebens zuweilen getroffen werden. Aber ich ivcrdc bitter
enttäuscht: cs ist eine Schneider-Rechnung. Der Schneider
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(Schluß.) ,
Donner stja g, den 5. Mai 186 . .
Eine abscheuliche Stunde, die Geographiestunde, Mon-
tags und Donnerstags! Besonders jetzt, wo ich den Kindern
die deutschen Kleinstaaten in den Kopf zu trichtern habe. Das
Reuß-Greiz-Schleiz, das Lobenstein und Ebersdorf, das Lippc-
Schaumburg und Lippe-Detmold und alle solche andere nied-
liche Sächelchen haben mir schon mehr Aergcr gemacht, als
die größten asiatischen Monarchien. Doch was hilft's ? Lernen
müssen sie's doch, und sollte ich zwei neue Bakel daran ver-
demonstriren; denn in Kurzem kommt wieder die Schnlvisi-
tation, und ich will nicht wieder eine Nase bekommen, von
wegen der Geographie, wie am letztenmal. — Heut' Mittag
| Kartoffelsuppe mit der frischen Wurst, die mir Nachbar Veit
geschickt hat. Sie ist gut, die Wurst; nur steht ihre Länge
und Dicke nicht in der gehörigen Proportion mit der Größe
und dem wahrhaft schreckenerregenden Appetite meiner lieben
Familie. — In der Geschichtsstundc der Nachmittagsschnle
erzähle ich die Geschichte Napoleons und setze denselben tüchtig
herunter, dagegen preise und empfehle ich die treue Anhäng-
lichkeit der Unterthanen an ihre angestammten Fürsten; das j
ist vorschriftsmäßig. — Nach 'der Schule verfasse ich wieder
eine wohlstylisirte Petition um eine bessere Stelle; es ist
bereits die zweinudzwanzigste; wird aber wahrscheinlich so
wenig helfen, als die übrigen; es wird heißen: „Das Gesuch
des re. re. bedauern wir zur Zeit noch nicht berücksichtigen
zu können und nehmen die Gelegenheit wahr, dem rc. rc.
zu eröffnen, daß seine seit längerer Zeit geäußerte, ziemlich
demokratische Denkweise hohen Orts sehr mißfällig bemerkt
worden ist und keineswegs geeignet ist, den rc. rc. zu em-
pfehlen" ek cetera et cetera.
Frei ta g, den 6. Mai 186 . .
Wie.heute das Wetter ist, ist's gewöhnlich die ganze
Woche; auch das häusliche Wetter, und da habe ich eine
ziemlich trübe Woche zu erwarten mit einigen Donnertvcttcrn.
Schon in aller Frühe kommt der Postbote und bringt mir
einen Brief aus der Stadt. Ich denke und hoffe, es werde
irgend eine Einladung sein von einem Bekannten zu einem
Schmaus oder sonst einem kleinen Fest, eine von jenen
Oasen, die auch in den Wüsten des einförmigen Landschnl-
lehrerlebens zuweilen getroffen werden. Aber ich ivcrdc bitter
enttäuscht: cs ist eine Schneider-Rechnung. Der Schneider
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Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Eine Woche aus dem Tagebuche eines thüringischen Schullehrers"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)