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Die Anschlagsäulen.

„emporsteigenden Mitbürgern, solle man lieber die Wege
„ebenen, statt verbauen. Wozu es überhaupt der Säulen
„für Plakate bedürfe, da hierzu die Straßenecken gcschaf-
„fen seien? Wenn man durchaus kleben wolle, wähle
„man dazu vernünftigerweise keine Wölbung, sondern eine
„ebene Fläche."

Ein erleuchteter Kopf der Residenz machte den Vorschlag,
man solle lieber jeden Morgen die Dienstmänner mit Pla-
katen bekleben, wodurch eine weit schnellere Verbreitung der-
selben erzielt würde. Oberstlieutenant von Quast aber bemerkte
„Anschlagsäulen seien schon durch ihre Bezeichnung ver-
dammlich, denn Anschlag bedeute so viel wie Verschwör-
ung und die Verschwörung in einer Säule gleichsam zu
verkörpern, erscheine ihm staatsverbrecherisch. So wurde
denn kreuz und quer raisonnirt.

Die Magistratspartei konnte dem gegenüber natürlich
nicht stumm bleiben und bald sehen wir in allen Landes-
zeitungen einen heftigen Streit entbrannt, in welchem die
Väter der Stadt durch überlegene Weisheit wohl schließlich
siegreich geblieben wären, wenn sie nicht unvorsichtigerweise
einen neuen mächtigen Gegner in den Kampf gezogen hätten.
Es war nämlich in einem den praktischen Nutzen der An-
schlagssäulen behandelnden Magistratsaufsatze die Behauptung
aufgestellt worden, die neuen Schöpfungen dienten zugleich
zum „Kunstschmuck" der Stadt und durch diese Acußerung
sah sich der Künstlerverein derselben plötzlich zur Ein-
mischung veranlaßt. Es erschien demnach in den Zeitungen
folgende Aufforderung:

„"Nachdem der Magistrat der Residenz erklärt hat, er
„betrachte die neuerrichteten Anschlagsäulen als Kunst-
„schmuck, so halten wir uns verpflichtet, unsere Mitglieder
„zu einer Besprechung über den ästhetischen Werth beuann-
„ter Säulen auf Donnerstag Abend 7 Uhr einzuladeu."

Der Vorstand des Künstlervereins.

Buchbinder Klebemeyer.

Photograph und Lottcriecollecteur Stange.

Untersteuerrevisor Schwazdrossel.

An dem festgesetzten Abend der Debatte hatten sich die
Mitglieder des Künstlervereins zahlreich in ihrem großen
Festsaale eingefunden. Außerdem waren verschiedene einfluß-
reiche, dem Vereine sonst fernstehende Personen erschienen,
so wie die Vertreter zweier befreundeter Gesellschaften: des
Bandwurmvereins und des Bri efmarkeuvereins.
Diese Vereine standen seit lange mit der Kunstgenossenschaft
in einer Art Cartel, förderten sich gegenseitig in ihren In-
teressen, liehen sich bei Vereinsfesten abwechselnd ihre Fahnen
und hatten eine gemeinsame mit Arabesken gezierte Wein-
und Speisekarte, so wie einen gemeinsamen Protektor in
der Person des geheimen Staatsraths Trommler.

Der Bandwurmverein nahm nur solche Männer auf,
welche den Bandwurm besessen und das abgetriebene Exem-
plar dem Vereinsarchive in einer Spiritusflasche zugleich mit
den nöthigen geschichtlich-biographischen Notizen einverleibt
hatten. Das Gefühl einer mehr oder weniger bandwurm-

reichen, im Archive beglaubigten Vergangenheit gab den
Mitgliedern eine gewisse veteranenhafte Haltung, welche der
Ausbildung des gesellschaftlichen Humors sehr förderlich war.
Dem Publikum gegenüber, zumal der schöneren Hälfte des-
selben, pflegten sie sich „die Löffelgarde" zu nennen —
von ihrem Stifter und Präsidenten, Grossist Löffel. Wir
dürfen übrigens nicht verschweigen, daß dem Vereine nach-
gesagt wurde, er mache unter dem Deckmantel des Band-
wurmkultuö Propaganda für den Nationalverein, wenigstens
ist constatirt worden, daß er sich im Besitz einiger schwarz-
roth-goldener Bierkrüge befand.

Die Tendenz des Briesmarkenvereins bedarf kaum
einer weiteren Erklärung. Es durfte nur ein Solcher „Brief-
markomanne" werden, der eine vollständige Sammlung aller
eristirenden souveränen Briefmarkenköpfe vorlegen konnte. Als
Portraitsammler waren die Markomannen dem Künstlervereiu
nahe getreten. Im Gegensatz zum Bandwurmverein vertraten
sie eine konservative Richtung, nachdem die Staatsregierung,
welche das pietätvolle Sammeln gekrönter Portraits als be-
sonders loyal ansah, ihnen ihre hohe Protektion geschenkt hatte.

In Angelegenheiten des städtischen Interesses konnten
die Künstler auf die eifrige Unterstützung beider befreundeten
Vereine rechnen, namentlich von Seiten der Löffelgarde, welche
den Senator Hamster haßte, weil er kürzlich von einem
Bandwurm befreit und ihrem Bunde doch nicht beigetrcten
war. Viele behaupten, daß dieser Umstand die Anschaffung
der schwarz-roth-goldenen Bierseidel als Gegendemonstration
veranlaßt habe.

Auch die „Markomannen" hatten Ursache gegen die
städtische Behörde mißgestimmt zu sein, denn diese hatte
kürzlich den Wunsch des Vereins, den Kreis seines Wirkens
durch Maikäfersammeln vergrößern zu dürfen, abschlägig
und mit der Motivirung beschieden: derartige Erweiterung
der Statuten verletze die Rechte der „Bienen- und Ge-
flügelzüchter."

Es war am Ende des Saals eine Redncrbühne er-
richtet, auf welcher ein von dem Bürstenbinder Fiedel gear-
beitetes sprechend ähnliches Modell der streitigen Anschlag-
säule ausgestellt war, und darüber an der Wand erblickte
man die bekränzten Statuetten von Albrecht Dürer, St.
Lukas und dem geheimen Staatsrath Trommler. Vorstands-
mitglied Buchbinder Klcbemeyer als Geschäftsführer
eröfsnete die Sitzung mit einer lichtvollen Auseinandersetzung
des vorliegenden Falls: ob die Plakatsäulen als Kunst-
schmuck betrachtet und, falls dies nicht der Fall, durch welche
architektonische Maßregeln sie dazu gemacht werden könnten.

Es erhob sich der als Kunstforscher durch ein Werk
über die Hausschlüssel der Assyrer berühmte Professor
Birnbaum. Die s. g. Anschlagsäulen müßten zuerst als
Profanbau charakterisirt werden. Gestern in einer Be-
rathung hätten sich die Kunstverständigen uneins gezeigt, ob
sie unter die Kategorie des Central- oder Fayadenbanes
zu stellen seien. Ihm wäre in der Kunstgeschichte zwar kein
Ceutralbau ohne Inneres, ohne Wölbung noch Gliederung
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