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Eine klein
l eine kleine Börse, deren Inhalt hoffentlich hinreichen wird.
Da ich übrigens ohne gehörige Sicherheit kein Geld ver-
leihe, so muß ich es Ihnen wohl schenken," setzte er lächelnd
hinzu, „Ihnen oder vielmehr der armen Wittwe." — Wer
war froher, als ich, da ich das Geld hatte? Ich drückte dem
Fremden die dargebotene Hand und bedankte mich tausend-
mal und lief trunken vor Entzücken nach Hause. — Der
edle Mann! Er hatte mir das Geld gegeben und dabei nicht
einmal nach meinem oder nach Ihrem Namen gefragt. Schade
nur, daß wir den seinigen nicht wissen! Doch den erfahren
wir vielleicht noch. Denn denken Sie nur, wie mir's noch
weiter ging. Vorhin eben, als ich die Christbescheerung hierher
trage, begegnet mir der fremde Mann wieder. — „Ah, Sie
wollen zu der Wittwe?" sagt er freundlich, „wo wohnt sie
denn?" — Ich zeige nach Ihrem Dachstübchen heraus und —
„A propos,“ sagt er im Scherz, „ich muß mich doch selber
überzeugen, ob Sie das Geld auch richtig abliefern." —
„Kommen Sie mit, geehrtester Herr," sage ich. — „Nein,"
antwortet er, „ich habe durchaus kein Mißtrauen. Da ich
aber heute noch hier bleibe und gern auch einen Weihnachts-
Abend bei einer gemüthlichen Familie zubrächte, so möchte
ich wohl die Wittwe selber kennen lernen. Ich wüßte die
Zeit nicht besser zu verbringen. Ich logire hier nebenan im
goldenen Löwen, Nr. 7. Wenn Sie daher so gut sein wollen,
so kommen Sic nach etwa einem Stündchen auf mein Zimmer
und holen mich ab zu Ihrer Wittwe." — Freudig versprach
ich das, und nun, Frau Bornemann," setzte Franz hinzu,
! indem er ein Wachslichtstümpfchen in eine kleine Laterne
j steckte und anbrannte, „nun ist die Stunde vorbei, und ich
j . muß hinüber und den Fremden holen. Sic mögen sich dann
selber bei ihm bedanken."
Und rasch eilte Franz mit der brennenden Laterne davon.
„Der gute Fremde! — Wer er nur sein muß! —
i Ach, wenn er doch schon da wäre!" jubelte Maria, wischte
rasch den Staub von Tisch und Stühlen und setzte Alles
an seinen rechten Platz.
Die Mutter aber, bedenklich den Kopf schüttelnd, sagte:
„Es ist doch sonderbar! — Ein Unbekannter, der uns so aus
vollen Händen schenkt, sollte der nicht seine Absichten haben? —
Wir müssen vorsichtig sein."
6.
Es dauerte nicht lange, da hörte man Tritte auf der
Stiege. — „Das sind sie!" rief Maria und öffnete die
Thüre. Der Fremde und hinter ihm Franz traten herein.
Der Fremde, ein sehr elegant gekleideter, starker Mann
von verwitterten Zügen ging freundlich grüßend auf die
Wittwe zu. Kaum aber hatte er ihr näher in das Gesicht
geschaut, als er betroffen zurückfuhr. Auch Frau Borne-
inann ihrerseits sah ihn starr, ja erschrocken an. Der Fremde
blickte rasch die Anwesenden, blickte die Stubengeräthe umher
an — jetzt siel sein Blick auf das an der Wand hängende
Porträt — er zuckte — er faßte die Wittwe wieder schärfer
in's Auge und — — — „Gertrud!" rief er plötzlich mit
ausgebreiteten Armen.
: Familie.
„Heinrich!" schrie die Mutter erblassend und zitternd
und sank ohnmächtig in ihren Stuhl.
Es entstand eine große Pause. Alle Herzen pochten
hörbar.
„Gertrud! Du, Du bist's?" rief der Fremde nochmals.
„Ja, Du bist's, liebe Frau!" Und vor ihr hingesunken hielt
er sie fest in seine Arme geschlossen und schluchzte laut und
bedeckte sie mit heißen Küssen. „So höre doch, Gertrud!
Komm' doch zu Dir!" sichte er, dann wandte er sich um.
„Und Ihr, Ihr seid meine Kinder?" rief er die Arme aus-
breitend. „Du bist Maria, meine gute, liebe Maria? Ach wie
groß und wie schön Du geworden bist! — Und Du bist mein
kleiner, lieber Karl? — O, so kommt doch, kommt doch Alle!"
„Vater! Vater!" schluchzte Maria heftig an ihres
Vaters Halse.
„Papa? — Bist Du der tobte Papa? — Der Papa
dort auf dem Bilde?" rief der kleine Karl, als ihn sein
Vater in die Arme nahm und heftig herzte und küßte.
Frau Bornemann erholte sich allmälig. Sie schlug die
Augen auf.
„Du bist's wirklich, Heinrich? — Du lebst noch?"
lispelte sie. „Ja, Du bist's! — Du lebst! — Großer Gott,
das ist zu viel!"
„Lieber Vater," rief Maria, „wir hatten Dich ja tobt
geglaubt. — Sie haben uns ja Deinen Todtenschein geschickt."
„Meinen Todtenschein?" fragte Bornemann erstaunt.
„Und Deine Bricftafel," setzte die Mutter hinzu und
hob sich an dem Arme ihres. Mannes empor.
„Meine Brieftafel?" sagte Bornemann. „Ach, nun
errathe ich den Zusammenhang. — Wie Ihr seht, Ihr Guten,
lebe ich noch, und danke Gott, daß ich auch Euch Alle noch
am Leben treffe. — Wie oft hat mich der Gedanke gepeinigt,
daß ich Euch, oder doch Eines von Euch, vielleicht nicht
Wiedersehen würde. Aber ich sehe Euch ja Alle wieder!
Zwar arm und dürftig, aber ich sehe Euch doch. O, Ihr
habt wohl viel gelitten in meiner Abwesenheit? — Arme
Gertrud, wie tiefe Furchen hat der Kummer in Dein Ge-
sicht gegraben! — O, verzeiht, verzeiht, daß ich so leicht-
sinnig war, Euch zu verlassen. Ich habe es bitter, habe cs
tief bereut. — Verzeiht, daß ich Euch so lange im Elende
schmachten ließ. Ich selbst war im Elende und außer Stande
Euch zu helfen. — Aber nun haben wir uns ja Alle wieder;
es sollte ja Alles noch gut gehen, und ist gut gegangen.
Unsere Noth hat nunmehr ein Ende. — Aber sagt mir doch,
wie kommt Ihr hierher in die Residenz? — Ich glaubte, Ihr
würdet noch in T.sein, wenn Ihr noch am Leben wäret."
Frau Borncmann, die sich nunmehr von ihren ersten
gewaltsamen Gemüthsbewcgungen hinlänglich erholt hatte,
erzählte kurz ihre einfachen, traurigen Erlebnisse. — Ihr
Mann versprach die seinigen, die freilich viel reicher und
mannichfaltigcr, obschon zum großen Theil nicht minder
düster gewesen waren, ein andermal weitläufig zu erzählen;
für heute wolle er sich ganz kurz fassen. — „Ihr wißt,"
sagte er, „wie trübe es mir gleich bei meiner Ankunft in
Eine klein
l eine kleine Börse, deren Inhalt hoffentlich hinreichen wird.
Da ich übrigens ohne gehörige Sicherheit kein Geld ver-
leihe, so muß ich es Ihnen wohl schenken," setzte er lächelnd
hinzu, „Ihnen oder vielmehr der armen Wittwe." — Wer
war froher, als ich, da ich das Geld hatte? Ich drückte dem
Fremden die dargebotene Hand und bedankte mich tausend-
mal und lief trunken vor Entzücken nach Hause. — Der
edle Mann! Er hatte mir das Geld gegeben und dabei nicht
einmal nach meinem oder nach Ihrem Namen gefragt. Schade
nur, daß wir den seinigen nicht wissen! Doch den erfahren
wir vielleicht noch. Denn denken Sie nur, wie mir's noch
weiter ging. Vorhin eben, als ich die Christbescheerung hierher
trage, begegnet mir der fremde Mann wieder. — „Ah, Sie
wollen zu der Wittwe?" sagt er freundlich, „wo wohnt sie
denn?" — Ich zeige nach Ihrem Dachstübchen heraus und —
„A propos,“ sagt er im Scherz, „ich muß mich doch selber
überzeugen, ob Sie das Geld auch richtig abliefern." —
„Kommen Sie mit, geehrtester Herr," sage ich. — „Nein,"
antwortet er, „ich habe durchaus kein Mißtrauen. Da ich
aber heute noch hier bleibe und gern auch einen Weihnachts-
Abend bei einer gemüthlichen Familie zubrächte, so möchte
ich wohl die Wittwe selber kennen lernen. Ich wüßte die
Zeit nicht besser zu verbringen. Ich logire hier nebenan im
goldenen Löwen, Nr. 7. Wenn Sie daher so gut sein wollen,
so kommen Sic nach etwa einem Stündchen auf mein Zimmer
und holen mich ab zu Ihrer Wittwe." — Freudig versprach
ich das, und nun, Frau Bornemann," setzte Franz hinzu,
! indem er ein Wachslichtstümpfchen in eine kleine Laterne
j steckte und anbrannte, „nun ist die Stunde vorbei, und ich
j . muß hinüber und den Fremden holen. Sic mögen sich dann
selber bei ihm bedanken."
Und rasch eilte Franz mit der brennenden Laterne davon.
„Der gute Fremde! — Wer er nur sein muß! —
i Ach, wenn er doch schon da wäre!" jubelte Maria, wischte
rasch den Staub von Tisch und Stühlen und setzte Alles
an seinen rechten Platz.
Die Mutter aber, bedenklich den Kopf schüttelnd, sagte:
„Es ist doch sonderbar! — Ein Unbekannter, der uns so aus
vollen Händen schenkt, sollte der nicht seine Absichten haben? —
Wir müssen vorsichtig sein."
6.
Es dauerte nicht lange, da hörte man Tritte auf der
Stiege. — „Das sind sie!" rief Maria und öffnete die
Thüre. Der Fremde und hinter ihm Franz traten herein.
Der Fremde, ein sehr elegant gekleideter, starker Mann
von verwitterten Zügen ging freundlich grüßend auf die
Wittwe zu. Kaum aber hatte er ihr näher in das Gesicht
geschaut, als er betroffen zurückfuhr. Auch Frau Borne-
inann ihrerseits sah ihn starr, ja erschrocken an. Der Fremde
blickte rasch die Anwesenden, blickte die Stubengeräthe umher
an — jetzt siel sein Blick auf das an der Wand hängende
Porträt — er zuckte — er faßte die Wittwe wieder schärfer
in's Auge und — — — „Gertrud!" rief er plötzlich mit
ausgebreiteten Armen.
: Familie.
„Heinrich!" schrie die Mutter erblassend und zitternd
und sank ohnmächtig in ihren Stuhl.
Es entstand eine große Pause. Alle Herzen pochten
hörbar.
„Gertrud! Du, Du bist's?" rief der Fremde nochmals.
„Ja, Du bist's, liebe Frau!" Und vor ihr hingesunken hielt
er sie fest in seine Arme geschlossen und schluchzte laut und
bedeckte sie mit heißen Küssen. „So höre doch, Gertrud!
Komm' doch zu Dir!" sichte er, dann wandte er sich um.
„Und Ihr, Ihr seid meine Kinder?" rief er die Arme aus-
breitend. „Du bist Maria, meine gute, liebe Maria? Ach wie
groß und wie schön Du geworden bist! — Und Du bist mein
kleiner, lieber Karl? — O, so kommt doch, kommt doch Alle!"
„Vater! Vater!" schluchzte Maria heftig an ihres
Vaters Halse.
„Papa? — Bist Du der tobte Papa? — Der Papa
dort auf dem Bilde?" rief der kleine Karl, als ihn sein
Vater in die Arme nahm und heftig herzte und küßte.
Frau Bornemann erholte sich allmälig. Sie schlug die
Augen auf.
„Du bist's wirklich, Heinrich? — Du lebst noch?"
lispelte sie. „Ja, Du bist's! — Du lebst! — Großer Gott,
das ist zu viel!"
„Lieber Vater," rief Maria, „wir hatten Dich ja tobt
geglaubt. — Sie haben uns ja Deinen Todtenschein geschickt."
„Meinen Todtenschein?" fragte Bornemann erstaunt.
„Und Deine Bricftafel," setzte die Mutter hinzu und
hob sich an dem Arme ihres. Mannes empor.
„Meine Brieftafel?" sagte Bornemann. „Ach, nun
errathe ich den Zusammenhang. — Wie Ihr seht, Ihr Guten,
lebe ich noch, und danke Gott, daß ich auch Euch Alle noch
am Leben treffe. — Wie oft hat mich der Gedanke gepeinigt,
daß ich Euch, oder doch Eines von Euch, vielleicht nicht
Wiedersehen würde. Aber ich sehe Euch ja Alle wieder!
Zwar arm und dürftig, aber ich sehe Euch doch. O, Ihr
habt wohl viel gelitten in meiner Abwesenheit? — Arme
Gertrud, wie tiefe Furchen hat der Kummer in Dein Ge-
sicht gegraben! — O, verzeiht, verzeiht, daß ich so leicht-
sinnig war, Euch zu verlassen. Ich habe es bitter, habe cs
tief bereut. — Verzeiht, daß ich Euch so lange im Elende
schmachten ließ. Ich selbst war im Elende und außer Stande
Euch zu helfen. — Aber nun haben wir uns ja Alle wieder;
es sollte ja Alles noch gut gehen, und ist gut gegangen.
Unsere Noth hat nunmehr ein Ende. — Aber sagt mir doch,
wie kommt Ihr hierher in die Residenz? — Ich glaubte, Ihr
würdet noch in T.sein, wenn Ihr noch am Leben wäret."
Frau Borncmann, die sich nunmehr von ihren ersten
gewaltsamen Gemüthsbewcgungen hinlänglich erholt hatte,
erzählte kurz ihre einfachen, traurigen Erlebnisse. — Ihr
Mann versprach die seinigen, die freilich viel reicher und
mannichfaltigcr, obschon zum großen Theil nicht minder
düster gewesen waren, ein andermal weitläufig zu erzählen;
für heute wolle er sich ganz kurz fassen. — „Ihr wißt,"
sagte er, „wie trübe es mir gleich bei meiner Ankunft in