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Der Uhrmacher von Straßburg.

| jedesmalige Datum bezeichnete. Dann zeigte er die über dem
| Zifferblatte auf einem gestirnten Himmel befindlichen Mond-
, Phasen, die Sonnen- und Mondgleichen nebst einem Mechanis-
mus, der die kirchliche Zeitrechnung angab. Endlich erklärte er
die Verrichtungen der einzelnen Figuren, wie sie nun sogleich mit
dem Glockenschlage zwölf nacheinander in Thätigkeit treten sollten.

Jetzt hob die Uhr zum Schlage aus.

Auf einer Galerie über dem Zifferblatte drehte zuerst der
Genius der Zeit eine Sanduhr um, die er in der Hand hielt;
zugleich schlug ein neben ihm stehender Engel die vier Viertel
der Stunde an einer Glocke an. Dann kamen über dem Engel
als Repräsentanten der vier Menschenalter ein Knabe, ein Jüng-
ling, ein Mann und ein Greis aus einer Nische hervorgeschritten
i und neigten sich vor einem in der Mitte stehenden Todten-
gerippe, welches mit dem fleischlosen Arme die zwölfte Stunde
an einer anderen größeren Glocke ausschlug, gleichsam, um alle-
gorisch anzuzeigen, daß dem Rufe des Todes Alles, was da
lebt — Jung und Alt — Folge leisten müsse.

Mit dem letzten Glockenschlage erhob sich über einer zweiten
Galerie von seinem erhöht stehenden Sitze die herrliche Gestalt
! des Weltheilandes und breitete segnend seine Hände aus über
die Menschheit, der er Vergebung und Erlösung vom Sünden-
falle gebracht hatte. Zugleich schritten langsam die zwölf Apostel
1 aus einer • geöffneten Pforte hervor; Jeder beugte Haupt und
Knie vor dem segnenden Herrn und Meister und schritt lang-
i sam, wie er gekommen, wieder hinweg. Mit der Beugung des
| ehrwürdigen Apostelfürsten Petrus aber breitete der auf der
höchsten Spitze des ganzen Baues stehende riesige Hahn die
Flügel aus, reckte den Hals, öffnete den Schnabel und durch
! das ganze Münster kündete sein lange gezogener täuschend nach-
geahmter Schrei, daß unter allen Menschen, selbst denjenigen
i nicht ausgenommen, den der Herr „den Felsen" genannt hatte,
Keiner ohne Mängel, Keiner — unfehlbar sei.

Mit tiefem, andächtigen Schweigen waren alle Anwesenden
! dem ergreifenden Schauspiele gefolgt — jetzt aber, nachdem der
! Mechanismus alle seine Funktionen richtig versehen hatte, brach
! trotz der Heiligkeit des Ortes ein wahrer Sturm des Beifalls
! los und Alles — Hoch wie Niedrig — beeilte sich, den glück-
i lichen Meister mit Beweisen von theilnehmeuder Bewunderung
> zu überschütten.

Die Gelehrten aber holten erst bedächtig ihre astronomi-
j schen Karten hervor und prüften genau den Stand der Ge-
j stirne, wie er sich auf die Mittagsstunde dieses Tages zu er-
( geben hatte, und als sich derselbe als durchaus genau und richtig
erwies, konnten auch sie dem Meister ihre Bewunderung nicht
versagen, um so mehr, da Isaak nach ihren Begriffen kein Ge-
lehrter, sondern nur ein Laie war.

Ties gerührt empfing Isaak alle die Glückwünsche der
hohen Herrschaften, seiner Freunde und Mutter Margarethens,
der die Hellen Thränen über die Wangen herabliefen, als sie
I ihn in ihrer ungestümen Weise beim Schopfe faßte und einen
! derben Kuß auf seinen Mund drückte. Triumphirend rief sie
dann nach allen Seiten ihren Bekannten zu: „Nicht wahr —

[ ich sagte es ja immer, der Isaak weiß, was er will!"

Gertrud aber reichte dem Manne ihrer Liebe die Hand und
sah ihm stumm in das treue Auge — Worte hatte sie keine.

Jetzt, nachdem sich die glückwünschende Menge etwas ver-
laufen hatte, nahte sich mit wichtiger Miene und gemessenem
Schritte des Rathes Büttel, kündete Isaak mit Ausruferstimme
dessen Gruß an und lud ihn ein, um 4 Uhr des Nachmittags
im Sitzungssaale der Einundzwanzig *) zu erscheinen, behufs der
Feststellung der für das Werk zu zahlenden Summe. Nachdem
er die bereitwillige Zusage erhalten hatte, schritt er gravitätisch
und ebenso gemessen wieder hinweg und folgte in ehrbarer Ent-
fernung den Mitgliedern des „hochwohlweisen Rathes," die so-
eben durch die „Magistrats-Pforte" das Münster verließen.

Unter donnernden Hochrufen der begeisterten Menge verließ
jetzt auch Isaak mit den Seinigen die Stätte seines Triumphes
und schritt mit ihnen der bescheidenen Vorstadt-Wohnung zu,
doch um sie — wie er hoffte — heute zum letzten Male zu
betreten. Leider sollten seine Hoffnungen sich nicht erfüllen,
denn er hatte ohne Mathias gerechnet.

Dieser hatte in seinem verblendeten Hasse den Tag des
höchsten Triumphes seines Schwagers zugleich zur Ausführung
seiner Rache bestimmt. Eine dringende unaufschiebbare Arbeit
vorschützend, betheiligte er sich nicht an dem Gange zum Mün-
ster; er benützte vielmehr die Zeit des Morgens, um erst mit
Zettlitz die Ausführung seines Planes nochmals zu verabreden
und dann in das „Schnackenloch" zu eilen und dort alles Noth-
wendige mit dem Wirthe zu besprechen und die Monatsmiethe
für das verborgene Zimincr im Aufträge des Junkers mit zehn
Dukaten vorauszubezahlen. Zu dem um 1 Uhr bestellten fest-
lichen Mittagsmahle kam er dann, endlich heim und war bei
ausgelassener Lustigkeit von einer wohlberechnetcn Herzlichkeit
gegen Isaak und Gertrud, um einen etwa statthabenden Groll
über seine Nichtbetheiligung an dem heutigen wichtigen Familien-
Ereiguisse wieder vollständig zu zerstreuen. Bald jedoch entfernte
er sich wieder, weil er die nun fertige Arbeit zu dem Käufer,
einem vornehmen Fremden, verbringen müsse. Er wolle dieß,
setzte er hinzu, als Verfertiger selbst thun, denn sicher fiele ihm
da ein reiches Trinkgeld ab.

Bald nahte auch die Zeit, da Isaak das Haus verlassen
mußte, um endlich den Lohn seiner Mühen zu ernten. Er sagte
deßhalb der Mutter wie Gertrud Lebewohl und machte sich auf
den Weg, um sich den gestrengen Herren des Rathes rechtzeitig
zur Verfügung zu stellen.

„Sei nur nicht, wie gewöhnlich, zu bescheiden, Isaak!"
rief ihm noch Frau Margarethe nach, „Alles, was Du ver-
langen kannst, ist noch zu wenig für dieses Prachtwcrk!"

Lächelnd schritt der Meister über seine Schwelle; er war
über seine Forderungen längst mit sich im Reinen. Fünftausend
Dukaten — eine für jene Zeit schon sehr beträchtliche Summe
— war der immerhin mäßige Preis, den er dem Rathe stellen
wollte. Als die beiden Frauen allein waren, trug Gertrud

*) Der Großrath war zusammengesetzt aus 21 auf Lebenszeit
gewählten Mitgliedern, die den Namen „Einundzwanzigcr führten."
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