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Aus dem Tagebuch eines Zerstreuten.

falls nicht ohne bedeutende Schwierigkeiten, die Grenze meines
Gebietes, i. e. den Rand des Korbwagens, und

auf dem grünen Teppich der Wiesen —"
prüfte ich, zwar nicht „den leichten, geflügelten Schritt", wie
Maria Stuart, wohl aber machte ich die ersten schwachen Ver-
suche, mir selbst in der Welt fortzuhelfen, und kroch demgemäß
auf allen Vieren, langsam aber consequent, immer tiefer in
das hoffnungsgrüne Dickicht.

Meine Wärterin, ohne den Inhalt näher zu revidiren,
zog das leere Wägelchen in gutem Glauben hinter sich her und
bemerkte ihren Verlust erst, als meine Mutter ängstlich in den
Kinderbetten hernmwühltc. Meine Wenigkeit war inzwischen von
einem jagdlustigen Hühnerhunde aufgespürt und seinem Herrn
als unbekanntes, aber immerhin acccptablcs Beutestück vor die

Stecknadeln, zerrissenen Kassenscheinen und verlorenem Spiel-
zeug wimmelt.

Auch meiner Schulzeit will ich nicht weiter Erwähnung
thun, als es zur Charakteristik unumgänglich nothwendig ist.
Ich verzehrte also, um kurz zu sein, die Frühstückscerealien
meiner Mitschüler, ja, ich schrieb nicht selten die Arbeiten der-
selben ab — alles natürlich in der Zerstreutheit und doch hat
mau sich nicht gescheut, diesen Jrrthümern die niedrigsten Be-
weggründe anzudichten.

Von größerer Bedeutung für meine Zukunft war ein Miß-
griff, den ich mir in der Prima, welche ich nach langem Ringen
und Kämpfen mit einer Note für „zerstreutes Wesen" glücklich
erreicht hatte, beim öffentlichen Examen zu Schulden kommen
ließ. Unser Lehrer in der Geographie war nämlich von der
Natur mit einer wahren Giganten-Nase beschenkt worden,
auf deren Spitze sich zum Ueberfluß noch eine bedeutende
Warze von hochrother Farbe erhob. Unglücklicher Weise
haftete mein schweifendes Auge an diesem Phänomen ge-
rade in dem Augenblicke, als der Geograph sich an mich
mit der Frage wendet: „Welches ist die höchste Spitze des
Riesengebirges?" — Ich schweige. Der Professor wieder-
holt seine Frage dringender, und mit tonloser Stimme
gebe ich zur Aniwort: „Nun, die Warze auf Ihrer Nase!"
Die Folge dieser Aeußerung war (da man derselben eine
boshafte Absicht unterlegte) meine Entlassung aus der An-
stalt, und mein Vater sah sich gcnöthigt, um meine Schul-
studicn nicht zu unterbrechen, mich in die Residenz zu einem
alten Vetter in Pension zu senden.

Füße gelegt worden. Dieses Evenement brachte mich auch zum
ersten Male mit der Polizei in Berührung, indem mein ehr-
licher Finder es für das Beste hielt, mich dieser Stiefmutter
jedes civilisirten Staates zur ferneren Verwendung zu übergeben
und ich glaube mit Bestimmtheit annehmen zu dürfen, daß sich
meine ganze spätere Anhänglichkeit an das genannte Institut
(es vergehen nämlich nicht 14 Tage, ohne daß ich mindestens
einmal wegen irgend eines in der Zerstreutheit geschossenen
Bockes vor den Commissarins citirt werde) auf diese frühzeitige
Bekanntschaft mit demselben zurückführen läßt.

Am Morgen des folgenden Tages wurde ich durch meine
besorgten Eltern zurückgefordert, und es erscheint mir nicht ohne
Bedeutung, daß ich während der ganzen Zeit meiner Welt-
wanderung durchaus kein Zeichen kindlichen Mißfallens von mir
gab, sondern nur weit aufgerissenen Auges meine neue Umgeb-
ung fixirte.

Da stehe ich nun mit meinen Siebensachen auf dem
Posthofe ohne eine bekannte Seele oder auch nur eine
theilnehmende, die mir einen guten Rath gäbe. Tie Adresse
meines Vetters habe ich vergessen und den Empfehlungsbrief
während der langweiligen Fahrt in kleine Stücke zerrissen und
als imaginäre Tauben aus dem Wagenfenster fliegen lassen.

Zwei unhöfliche Kerle haben mir auf meine Frage nach
der Wohnung des Rentier Mayer in's Gesicht gelacht; es wird
mir nichts übrig bleiben, als mein Gepäck auf der Post zu
lassen und mich auf's Gerathewohl auf den Weg zu machen,
um meinen Verwandten in der ganzen Stadt zu suchen.

„Wachsen Sie endlich — werden Sic größer!" höre ich
den Leser dieser Blätter gähnend ausrufen: ich bitte also um
Entschuldigung — was überhaupt eine Capital - Beschäftig-
ung meiner Wenigkeit ist — und überspringe die Periode des
„Polrocks" und der „Pumphosen", welche von verschluckten

Endlich nach vielem, vergeblichem Umherlaufen doch also
gefunden! Mein Vetter selbst ist zwar nicht zu Hause, aber
seine junge Frau hat mich sehr liebenswürdig ausgenommen.
Mir ist allerdings dunkel in der Erinnerung, als wäre dieser
Vetter nach meines Vaters Erzählungen ein Hagestolz — in-
dessen kann ich mich ja irren, oder er hat sich auch wohl seit-
her verheirathet.

Sonderbar, daß die Frau Base so drängt, ich solle meine
Sachen rasch von der Post holen; sic könnte doch am Ende
auch das Dienstmädchen dahin schicken — na, man muß sich
fügen, besonders da sie eine so hübsche junge Frau ist.
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Aus dem Tagebuch eines Zerstreuten"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
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Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Fund
Kleinkind <Motiv>
Jäger <Motiv>
Karikatur
Baum <Motiv>
Hund <Motiv>
Jagdhund <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
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Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 55.1871, Nr. 1365, S. 82
 
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