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Aus dem Tagebuch eines Zerstreuten.

— oder: „Ihre heute vollzogene eheliche Verbindung beehren
sich ergebenst anzuzeigen" — oder gar: „Meine geliebte Frau
Louise, geb. Born, wurde ..." mit einem Wort, ich beging
die abgeschmacktesten Thorheiten von der Welt.

Daß derartige Absurditäten, wie ich sie jetzt lieferte, nicht
lange verborgen bleiben konnten, versteht sich von selbst. Von
meinen Zuhörern erfuhr sie auf kürzestem Wege der Uoctor
magnificus — er nahm mich auf liebenswürdige Weise in's
Gebet und ich, von einem plötzlichen Heldcnmuth beseelt, falle
richtig dem freundlichen, alten Herrn zu Füßen und drücke mit
den Worten: „Ja, Louise, ich liebe Dich! mache mich zum
glücklichsten Sterblichen und sage, daß ich Dir nicht gleichgültig
bin!" — einen feurigen Kuß auf die runzliche Hand des Greises.
Natürlich war ein homerisches Gelächter des würdigen Gelehrten,
dem auf feiner langen Lebensbahn gewiß noch nichts Aehnliches
pasfirt war, die unmittelbare Folge.

Ich sprang auf wie ein gehetzter Hase und wollte voller
Verzweiflung davon stürzen; der Rector aber faßte mich glück-
lich beim Rockschoß, zog mich auf ein Sopha und sagte —
Thränen des Lachens in den Augen mit vibrircnder Stimme:
„Nicht so, mein Lieber, nicht so dürfen Sie mir von dannen.
Ich selbst kann leider, wie Sie wohl begreifen werden, Ihre
sonst höchst schmeichelhafte Werbung nicht annehmen; gern aber
will ich, da es Ihnen vielleicht zum zweiten Male nicht ganz
so gut mit der Liebeserklärung glücken würde, als so eben —

| (hier zuckte es wieder wie Wetterleuchten auf dem Gesicht des
Rectors, doch drängte er, im Hinblick auf meine Armensünder-
Physiognomie, einen lauten Heiterkcitsausbruch gewaltsam zurück)

— gern aber will ich bei der Angebeteten Ihres Herzens den
Freiwerber für Sie spielen, wenn Sie mich nämlich mit Ihrem
Vertrauen beehren wollen."

Wer zweifelt, daß ich dieß Anerbieten mit innigstem Danke
annahm?! Schon nach drei Tagen hatte der Rector sein Wort
gelöst; die Erlanbniß einer kurzen Unterredung ohne Zeugen mit
Fräulein Louise Born war mir gewährt; ich hatte — höre es,
Welt! — in dieser Unterredung meinen Zweck so gut im Auge
behalten, daß ich, wenn schon auf einem kleinen Umweg über
die Mathematik der Griechen und Römer, wirklich eine zweite
ganz passable Liebeserklärung zu Stande brachte — und kurz,
ich war Bräutigam; wenn auch leider noch nicht offiziell!

Diese höhere Weihe eben, diese Geltung auch der Oeffcnt-
lichkeit gegenüber, sollte meine Verlobung gestern empfangen —
empfing sie auch — o ja! aber nicht ohne daß ich selbst vor-
her, wie gewöhnlich, ein Gegenstand des Anstoßes, des Aerger-
nisses oder doch wenigstens der allgemeinen Heiterkeit geworden
wäre. Der Professor Born, der Onkel meiner Braut, hatte
für den Abend eine große Gesellschaft, bestehend aus näheren
und entfernteren Verwandten, sowie ans den meisten unserer
Kollegen von der Universität, zusammen geladen, um ihnen das
freudige Ereigniß auf eine „schmackhafte" Weise beizubringen.

Wie lang mir die Zeit bis zur siebenten Abendstunde wurde,
mag sich Jeder denken, der selbst einmal in ähnlichen Umstän-
den gewesen ist; denn diese siebente Stunde sollte mir ja end-
lich die längst ersehnte Erlanbniß bringen, meine süße Louise

in meine Arme schließen, den ersten Kuß von ihren Rosenlippen
rauben zu dürfen.

Es ist erst vier Uhr; noch drei Stunden — eine Ewig-
keit für ein liebendes Herz! Ich laufe wie eine Hyäne im Käfig
auf und ab; pfui, welch' miserabler Vergleich — doch wie soll
man die Ungeduld und Sehnsucht eines Bräutigams auch nur
annähernd vergleichen?

Fünf Minuten über vier! — Das halte ich nicht aus!
— Unter der Arbeit pflegen die Stunden zu Augenblicken zu
werden. Ich setze mich an den Schreibtisch und nehme den
Euklid vor; schlage das Buch jedoch bald verdrießlich zu und
will eben meinen Sitz verlassen, da füllt mir der Brief eines
Studienfreundes in die Augen, den ich Morgens empfangen,
von dem ich aber in der Aufregung bis dahin nur die Unter-
schrift gelesen hatte. Ich durchlaufe die bekannten Schriftzüge;
plötzlich stoße ich auf eine interessante Aufgabe, die dem Schrei-
ber, welcher in meinem Fache zu Halle docirte, wichtig genug
schien, sie mir mitzutheilen ....

„Wenn ich an dieser Stelle," brumme ich, die Stndier-
lampe anzündend, vor mich hin, „wenn ich hier für ab'-;

z=i~\/~y — x . cos . m . fubstituire — hm! hm!"

Plötzlich reißt es an der Klingel — unwirsch fahre ich
auf und öffne.

„Ach, Gott sei Dank! Der Herr Doktor sind also nicht
krank? Das Fräulein hat schon eine wahre Todesangst ausge-
standen; denn man hat den Herrn Doktor schon um sieben er-
wartet und jetzt ist es gleich nenn."

„Was ist es!" rief ich entsetzt. „Neun Uhr schon? Un-
möglich!"

In diesem Augenblick schallten dumpfe Töne vom nächsten
Kirchthurm zu mir herüber —

„Tönt die Glocke — Grabgesang!"

„Mein Kind, sagen Sie nur — ich wäre in der That
sehr — sehr beschäftigt — nein, sehr unwohl wäre ich gewesen,
aber es ginge mir schon besser und ich würde in fünf Minuten
dort sein."

Ich trat auch wirklich nach kaum fünf Minuten in das
Gesellschaftszimmer des Professors. Ein blendender Lichtglanz
Bildbeschreibung

Werk/Gegenstand/Objekt

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Titel/Objekt
"Aus dem Tagebuch eines Zerstreuten"
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Fliegende Blätter
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Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

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Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
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Mann <Motiv>
Salon <Architektur>
Hochschullehrer <Motiv>
Tisch <Motiv>
Leuchter
Nachtkleidung
Karikatur
Frau <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

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Künstler/Urheber (GND)
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Creditline
Fliegende Blätter, 55.1871, Nr. 1367, S. 98
 
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