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Ich und mein Name.

Muskeln zu stärken, hat aber nicht die geringste Ader von
Poesie; mit einem Wort: er ist gerade das Gegentheil von
mir. Ich liebe das Studium, habe recht Tüchtiges gelernt,
bin, wie ich wohl sagen darf, recht hübsch, wenn ich auch ge-
rade nicht die ungeschickte, riesige Gestalt eines Garde-Dragoners
habe. Ich bin nicht zu groß, um ungeschickt in meinen Beweg-
ungen zu erscheinen, aber auch nicht so klein, um als unbe-
deutender Mensch in Damengesellschaften übersehen zu werden.
Mein ganzes Wesen verräth den denkenden, sinnigen Mann,
der sofort aus der Menge gleichgültiger Gesichter herauszuer-
kennen ist.

Meine Beschäftigung ist meistens eine literarische, beson-
ders cultivire ich die Poesie, der ich stets einen gewissen philo-
sophischen und wissenschaftlichen Hauch beizumischen bestrebt bin.
Für Geologie schwärme ich und wende außerdem viel Zeit auf
die Ethnologie. Wie gerne würde ich eine wissenschaftliche Reise
nach Asien unternehmen, wie ungemein könnte ich dadurch das
j Feld der Wissenschaft bereichern, doch ich fürchte mit Recht die
i dort herrschende ungeheure Hitze, die Strapazen und die ver-
! dammungswürdigen Religionsansichten der Asiaten. Diese so-
| wohl als der Geruch des Kameelmistes sind mir so zuwider,
j daß ich in ihrer Nähe bestimmt einer schweren Nervenkrankheit
unterliegen müßte.

Es bedarf wohl keines ferneren Beweises, daß mein Bru-
der und ich durchaus nicht zusammen passen. Ich habe es da-
her vorgezogen, ein stilles, poetisches Häuschen unfern einer
kleinen Stadt zu beziehen, während mein Bruder sich mitten
im Geräusch des großen Berlins wohl fühlt und dort seinen
i Geschäften nachgeht. Nur des Abends wandele ich zur Stadt, |
: wo ich in ästhetischen Thees sehr gerne gesehen bin, natürlich
> auch oft von meiner großen Belesenheit etwas zum Besten gebe
i und außerdem mehrere gelehrte Gesellschaften besuche. Auf einem
dieser ästhetischen Thees bei der verwittweten königlichen Haupt-
Steueramts-Räthin v. Boxdorsf tanzte ich mit Fräulein Helene
Veilchenthan. Ich hoffe wegen der Erwähnung des frivolen,
höchst ermüdenden Vergnügens des Tanzes dadurch entschuldigt
zu sein, weil ohne Tanzen es unmöglich gewesen wäre, mich
! dem Fräulein zu nähern. Sie tanzte immer, wo sich nur eine
Gelegenheit bot. Sie, die Tochter eines angesehenen Arztes,
hielt sich zum Besuch mit ihrer Tante bei der königlichen Haupt-
Steueramts -Räthin auf. Sie war sehr hübsch und ich bekam
eine hohe Meinung von ihrer Bildung, als sie mir mittheilte,
daß sie auch wissenschaftliche Vorlesungen besuche; natürlicher
Weise konnte ich das nicht ganz mit ihrer Leidenschaft für wilde
Tänze in Einklang.bringen. Es könnte bei meinem hohen Bild-
ungsgrade merkwürdig erscheinen, daß ich, der gefeierte Dichter
in so mancher Gesellschaft, eine Dame mit meiner Zuneigung
beglückte, die das barbarische Vergnügen des Tanzes liebte. Ihre
guten Eigenschaften jedoch ließen mich diesen großen Fehler über-
sehen. Sie war wirklich hübsch; ihre braunen Augen schauten
so schelmisch unter den langen Wimpern hervor, und ihre Zähne
waren von blendender Weiße. Hauptsächlich jedoch fesselte mich
ihr Sinn für die Wissenschaft. Wenn nicht getanzt wurde, faß
ich stundenlang neben ihr und erklärte ihr die zarten Unter-

schiede auf dem Flügelnetze der verschiedenen Fliegenspecies, suchte
ihr die Entstehung der Eingeweidewürmer zu verdeutlichen oder
las ihr meine Gedichte vor. Stets aber blieb sie sich gleich;
ans ihrem so frischen Gesicht lag dex Ernst des Forschens, ihr
Auge sah weder mich, noch die Umgebung, es blickte eben in
sich hinein.

Ich fühlte, daß mein Herz verwundet fei, doch — wie
durfte ich auf Erhörung hoffen, wie sollte cs möglich fein, daß
sie, Helene Veilchenthan, nicht entsetzt wäre bei dem Gedanken,
ihren lieblichen Namen mit dem Namen Müller zu vertauschen!
Wie aber erfahren, ob sie wirklich vor diesem Namen zurück-
beben würde? Bei meinem klaren Geiste hatte ich bald das
Mittel gefunden.

Als wieder bei der königlichen Haupt-Steueramts-Räthin
v. Boxdorff getanzt wurde, benutzte ich die erste lange Panse,
um der lieben Helene einen Vortrag über Namen zu halten.
Ich begann mit einer längeren Desinition der in Schottland !
üblichen ccltischen Aue und 0' vor den Namen, ging dann
auf das holländische van äer über, kam auf den Unterschied des
„Graf zu" und „Graf von", und plötzlich, durch eine geniale
Wendung fragte ich sie mit recht sinnigem Tone: „Was sagen
Sie aber zu dem Namen Müller?"

Helene, die bis dahin nur vor sich hingcblickt hatte, sah
mich groß an und fragte: „Nun?"

„Nun," fuhr ich mit zitternder Stimme fort, „ich heiße !
August Müller!"

Ich biß die Zähne zusammen, um jeden Hohn über diesen
Namen hinnehmen zu können.

„August Müller!" wiederholte sie nachdenklich mit-rinem
bezaubernden Lächeln, „der Name ist mir sehr, sehr lieb!
August Müller!"

Ich schwamm in Wonne und war eben im Begriff, ihr
diesen Namen für ewige Zeiten anzubieten, als ein Lieutenant
sie zur Quadrille entführte. Ich sah wohl ein, daß nach dem
Tanze nicht der passende Zeitpunkt sei, um die Gluth meiner
Liebe in ihren pochenden Busen zu versenken; still ging ich da- j
her nach Hause, überlegte mir auf dem Heimwege eine Liebes- j
Romanze in Alexandrinern, nahm mir vor, dieselbe bei der
nächsten Gelegenheit ihr vorzulesen und mit dem Verse ihr zu
Füßen zu fallen: „Ja, August Müller liebt — Dich, bietet
Dir die Hand an!"

Doch — das böse Schicksal hatte es anders beschlossen.
Ich fand zu Hause eine Depesche meines Bruders vor, worin
nur die Worte standen: „Komm' sogleich. I'erieuluin in
mora!"

Was war vorgefallen? War es wieder nichts als eine
Laune von ihm? Oder sollte er schwer krank sein, mich noch
einmal zu umarmen wünschen? Letzterer Gedanke ließ mir keine
Ruhe; ich bestellte Extrapost und fuhr mit Tagesgrauen ab.
Spät Nachmittags war ich in der großen geräuschvollen Stadt,
matt von der Reise, licbeskrank im Herzen! Wie unangenehm
es also meine Nerven berührte, als mir mein Bruder ein lautes
Hurrah entgegenschrie und seine drei wilden Jungen tobend und
lärmend sich an den Onkel klammerten, mag sich Jeder selbst
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