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Ich und mein Name.

ausmalen. Sprachlos sank ich auf einen Stuhl; mein Bruder
brachte mir zur Erquickung ein Glas — Schnaps! Man denke,
Schnaps! Natürlich rührte ich es nicht an, sondern stärkte mich
an Limonade. Endlich war ich so weit gestärkt, um meinen
Bruder fragen zu können: „Nun, theurer Wilhelm, verhehle
mir nichts; ich fühle mich stark genug, Alles zu hören. Wel-
ches Unglück ist geschehen?"

„Unglück?" rief staunend mein Bruder und lachte wieder
so roh, daß mir die Glieder zitterten. „Ein Unglück ist durch-
aus nicht passirt, im Gegentheil, eine gute Gelegenheit zu Deinem
Glücke. Das kleine Haus hierneben mit dem großen, prächtigen
Garten und dem Schwan im Teiche, den Du ja so oft be-
sungen, das Alles soll morgen schuldenhalber sehr billig verkauft
werden. Da habe ich an Dich gedacht und weil Du mir die
Verwaltung unseres „prosaischen Geldes" anvertraut hast, will
ich's für Dich kaufen. Topp?"

Wie kann ein gebildeter Mensch: Topp! sagen! doch, an
meinem Bruder war nichts zu ändern, ich that, als wenn ich
das abscheuliche Wort nicht gehört hätte und ging nach län-
gerer Besprechung auf den Plan ein; ich dachte an das Glück,
am Arme meiner Helene unter den rauschenden Bäumen lust-
wandeln zu können, mit ihr zusammen den graziösen, ewig
denkenden Schwan zu füttern!

Es war bereits Abend geworden, als wir über den Plan
uns geeinigt hatten, und ich ging die Treppe zum Garten hin-
ab, um in seiner Stille mich an den silbernen Strahlen des
Mondes zu ergötzen, mich in seinem magischen Lichte zu baden.
Ich sah hinauf zum wolkenlosen Himmel, da — strauchelte mein
Fuß an der letzten Stufe, ich fiel und — hatte mir das Ge-
lenk verstaucht. Der herzugerufene Arzt erklärte, daß ich min-
destens sechs Wochen still liegen müsse! Welche Quäl für ein
liebendes Herz! Als der Schmerz nach einigen Tagen etwas
nachließ, beschäftigte ich mich mit der trauten Poesie. Wie
manche Ode, wie manches herrliche Sonnett habe ich verfaßt,
wie glücklich gelangen mir die Ottaverimen und erst die Gha-
selen! Es waren die schönsten Arbeiten meines Lebens! Alle
sandte ich sie ihr, der Vielgeliebten, alle, alle! Und doch,
drei Wochen schmachtete ich vergeblich nach einer Zeile! End-
lich bringt mir die Schwägerin einen Brief. Wie pochte mir
das Herz! Die Aufschrift war etwas schief, die Buchstaben
fast männlich-rauh, ungebunden, wie ähnlich, wie bezeichnend
für ihren männlich-forschenden Charakter! Ich erbrach das
Siegel und las:

'

„Theurer August!

Wie konntest Du wohl denken, daß meine Liebe zu Dir
nicht die alte ist! Grolle mir nicht, daß ich noch immer so
leidenschaftlich tanze, doch brauchst Du nicht eifersüchtig zn sein.
Mir ist jeder Tänzer gleich und als Talisman trage ich Deine
: theuren, vielgeküßten Briefe auf dem Herzen. Schwester Julie
heirathet nächste Woche und da Dich doch nun einmal das Ge-
j schick in die Stadt geführt, wo mein Vater wohnt, so bitte ich,
flehe ich, geh' zu ihm hin, suche seinen Widerwillen gegen Dich

zu bekämpfen; wenn er sieht, wie leidenschaftlich Du mich liebst,
er wird, er kann nicht nein sagen! Der Mama habe ich schon
geschrieben; sie soll mit Papa ein paar Tage schmollen, da- !
mit er für unsere Absichten mürbe wird!

Tausend Küsse von

Deiner

Helene Veilchenthau."

Tausend Küsse von meiner Helene! Göttlich, himmlisch,
bezaubernd! Doch — wie eigenthümlich! Wer ist Schwester
Julie! Gewiß glaubt sie von meiner Liebe, daß ich Tag und
Nacht ihre Familienangelegenheiten erforscht habe! Wie schlecht,
daß ich's nicht gethan! Ich soll zum Papa gehen! Die Flügel
der Liebe werden mich zu ihm tragen, wenn mein Fuß geheilt!
Doch — warum hat er einen Widerwillen gegen mich? Ist ;
er vielleicht eifersüchtig auf meine Kenntnisse? Aber gleichviel!
Der Schwung meines dichterischen Gemüths muß ihn für mich
einnehmen! Theurer, lieber Brief! Lass' Dich küssen, viel
tausendmal! Noch einmal lese ich dich und noch einmal, jedes
Wort will ich — halt! auf der andern Seite noch ein P. 8.
Haha! Wie ist's möglich, daß ich daran nicht gleich gedacht, !
daß ich vergessen, wie ein Damenbrief ohne Postseriptum ganz
undenkbar ist! Welch' köstlichen Schatz habe ich noch zu meinem
ersten Schatze entdeckt, wie soll jedes neue Wort mir neue Gluth i
in die Adern jagen! Auge! bemeistere deine Unruhe, daß die
lieben, theuren Worte nicht tanzen und flimmern.

„P. 8. Einen herrlichen Spaß muß ich Dir noch erzählen.
Seit einigen Wochen kommt ein kleines, schmächtiges Männchen -
mit einem Mondscheingesicht in die so langweilige Gesellschaft
der Frau Boxdorff. Er sucht mich stets auf, spricht entweder
nur von sich selbst oder erzählt mir wissenschaftlichen Kram, der
mir höchst gleichgültig ift.- Ich sitze gern bei ihm, weil ich nie
zu reden brauche, er redet und plappert den ganzen Abend,
und dabei kann ich so schön meine Gedanken hinschweifen lassen
zu Dir! Seine Gedichte, die er mir rießweise einsendet, bilden
das Tollste, Fadeste und Dümmste, was ich je gelesen. Wenn
Du später in glücklicher Zukunft einmal nicht schlafen kannst,
werde ich sie Dir vortragen. Das Merkwürdigste aber bei der
Geschichte ist — er hält sich jetzt in derselben Stadt auf wie
Du, hat sich den Fuß verstaucht, wohnt dicht bei Dir im
Nebenhause — Du wohnst Nr. 61 und er Nr. 50 — und
heißt — wie Du! August Müller!!

Noch einmal tausend Küsse

Todtenblässe überzog mein Antlitz; der nahe hängende
Spiegel sagte es mir! — —

Mein Name ist mein Fluch! Göttliche Natur! Wie konn-
test du bei deiner alldurchdringenden Schönheit den Namen
August Müller schaffen! Und noch dazu für mich!

Wie lange ich dumpf dahingelebt, ich weiß es nicht; doch
der Stolz rüttelte mich auf. Sollte ich dem unglücklichen Vater

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