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Die Weihnachtsglocken.

'„I dn mein Jesulein!" rief der Alte, „was ist das?
Zn dem Pater Procnrator willst Du? und heute noch? Ach,
das geht ja nicht! Ist der doch heut' hinüber nach der Stadt
in Geschäften und kommt erst kurz vor den Vigilien zurück. -Oder
dann zu dem hochwürdigen Herrn Prior? Ach, du mein Jesu-
lein, das wird auch nicht gehen, heute wohl nicht! Der hoch-
würdige Herr hat alle Hände voll zu thun. Du glaubst gar
nicht, Käthe, was es jetzt voll ist oben. Eine Menge fremder
Herren Patres sind da von überall her, denn vor den Ketzern
ist ja nichts sicher, und wie viele Klöster haben sie verbrannt!
Hier herauf aber kommen sie nicht. Ehe die Schurken sich von
den, leibhaftigen Satan nicht Flügel anwachsen lassen, ist all'
ihr Toben und Stürmen und Schießen umsonst. Viermal haben
sie schon hier unten gelegen um den Berg her an die Tausende,
aber wir (natürlich waren wir alle heraufgeflüchtet) saßen oben
so sicher und ruhig, und kehrten uns nicht an ihre Brandpfeilc
und all' das Geschieße. Den Hof hier brannten sie freilich
jedesmal nieder. Es sind auch von Prag herüber alle heiligen
Kleinode ans der Domkirche in großen Truhen hierher geschasst
worden, denn hier sind sic sicherer geborgen, als sonst irgendwo.
Ich werde Dir nachher oben den Keller zeigen, wo die Schütze
verwahrt sind. O, mein Jesulein, was da alles drinnen ist!
Aber," brach er ab, da er gewahrte, wie Katharine seinem ge-
schwätzigen Plaudern nur mit Sorge und Unruhe zuhörte, „jetzt
erst vou Deinen Sachen, Käthe. Nun, siehst Du, vor den
Vigilien gehe ich mit den Kindern hinauf; die Väter oben haben
i in der Kirche ein heilig' Bethlehem aufgestellt, das sollen sich
die Crcscenz und die Anna ansehen, da kommst Du mit, und
! ich werd' den Bruder Lorenz fragen, den Pförtner, wie's steht,
und ob Du den hochwürdigen Herrn Prior sprechen kannst!
Sei nur ruhig; ist's heute nicht, so wird sich morgen schon
Zeit finden. Also mit dem hochwürdigen Herrn Prior willst
Du reden," setzte der Alte in einem abermaligen Anfall der
Verwunderung hinzu, als wenn es ihm jetzt erst recht zum
j Bewußtsein käme, fuhr aber sogleich beruhigend fort, um die
sorgenvolle Wolke auf der Stirn Katharinens zu zerstreuen:
„Na, Hab' nur keine Angst, er ist ein gar lieber Herr und gar
nicht stolz. Es wird schon gehen!"

Es war bereits Nacht in dem einsamen Gcbirgsthal, als
Eudcrliu mit seinen Enkeln und Katharinen den Fclscnpfad zum
Kloster Hinaufstieg. Der Mond, ganz verhüllt vou dem schneeigen
Wolkenschleier, breitete sein mattes Dämmerlicht über Wald und
Höhen. Sie hatten lange zn steigen und das Thal lag schon
tief unter ihnen mit seinem dunklen Walde, als sie endlich an
: das erste Thor kamen. Enderlin zog an dem Glockendraht und
nannte Namen und Begehr dem Pförtner, der aus schmalem
Fensterlein herausschaute. Das Thor ward geöffnet und sie
traten ein. Enderlin hatte ein längeres Gespräch mit dem
Bruder Pförtner, während Katharine besorgt die Redenden
beobachtete und kummervoll das wiederholte Kopfschütreln des
Pförtners gewahrte Sic wäre gar zu gerne so bald wie mög-
lich all' die Beklommenheit und Angst vor jener Unterredung
mit dem hochwürdigen Herrn losgcwordcn. Jetzt aber trat
Enderlin Ivieder zu ihr mit den Worten: „Küthe, heute gcht's

nicht, 's ist keine Zeit, aber morgen, sagt hier Bruder Lorenz,
möcht' es sich wohl schicken; da ist auch der Pater Procurator
wieder da." Neugierig hatte der Pförtner schon mehrmals nach
dem Mädchen hcrübergeschaut, das heraufgekommen war, um
mit dem Herrn Prior reden zn wollen. Ein banger schwerer
Seufzer aus beklommener Brust war die Antwort der Ent-
täuschten. „Nun, komm' nur jetzt mit hinauf und sieh' Dir
das Bethlehem an!" fuhr der Alte fort und sic stiegen nun
weiter hinauf auf Stufen, in den Felsen eingehauen, bis sic
auf den freien Platz kamen, wo zur linken Hand des Klosters
hohe Mauern aufragten, während zur rechten die gewaltige
Kirche sich emporthürmte. „Dort," sagte flüsternd der Alte,
indem er Katharinen anstieß und auf ein Thürlein zeigte, das
einen Keller unter der Kirche verschloß, dort unten liegen die
Kleinodien und all' die Hciligthümer, Käthe!"

Sie stiegen nun die Stufen zur Kirchenpforte hinauf und
traten ein in die riesenhohen Hallen. Drüben erhob sich der
Hochaltar, von dem der Glanz zahlreicher Kerzen strahlte, zur
Linken die Chorstühle, in denen die hochwürdigen Patres saßen
in weißem Gewand mit dem schwarzen Scapulier, vor sich
ans den Pulten die mächtigen Bücher, aus denen sie Gebete
ablasen. Voll und kräftig hallte der Orgelton in dem hohen
Gewölbe der Kirche. Dieß 'Alles, wie es hier mitten in der
Einsamkeit des Thales der Sorgenvollen mit einem Male ent-
gegentrat, erfüllte ihre Seele mit einem Schauer der Andacht.
Rechts von der Eingangsthüre war das Bethlehem erbaut, vor
welchem alsbald die Kinder in neugieriger Andacht standen, zur
linken Hand stand das Pförtlein zum Kreuzgang offen; der
Dümmerschein einzelner Lampen, die vor den heiligen Bildern
brannten, drang in die<)cller erleuchtete Kirche. Katharinens
Seele war unsäglich P)wc rbelade» mit Sorge, Kummer und
Weh. Alles lag eine unnennbare Last, auf ihr. Sie sehnte
sich nach Einsamkeit, um ihr sorgenvolles Herz auszuschüttcn
vor Gott und den Heiligen. Leise trat sie hinweg von dem
Bethlehem m» in den Kreuzgaug hinein. Durch die Fenster
schaute der bwrbp dämmernde Mondenschein, ein mattes Licht
lag in dem schmalen Gange, hie und da vor den Bilder» brannte
ein Lämpchen. Tort stand das Bild der heiligen Jungfrau,
das Haupt zur Seite geneigt zu dem Kinde auf ihrem Arme.
Das Angesicht der Gcbenedeiten erschien in dem Zwielicht des
Lämpchens jo holdselig, mitleidig und Hülfe verheißend, daß
die Sorgenvolle eine rechte Zuversicht zu der Helferin in allen
Nöthen überkam, sie kniete in dem Betstuhl nieder und den
kummervollen Blick emporrichtcnd zu dem Bilde, schüttete sic
ihr sorgenschweres Herz aus vor der Gnadeuvollcn. „O Tu
Heilige, Gcbcnedcitc! Tu weißt ja, wie es mir um's Herz ist,"
flüsterte sie, „ich brauche Dir's nicht zu sagen. Du weißt, was
uns quält, und wie verlassen wir sind! O hilf'! hilf'! heilige
Mutter! Tu weißt, wie ich den Franz gern Hab', lieber fast
denn mein eigen Leben! Sollen wir niemals zusammen kommen, j
ich will's geduldig ertragen und will nicht murren, aber das
Eine, Du Heilige, Gcbenedcite, das Eine lass' Dich erbitten,
nur das Eine gewähre mir: schütze ihn, behüte ihn, daß er
nicht untergehe, daß er nicht in die schwere Sünde falle, von
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