Universitätsbibliothek HeidelbergUniversitätsbibliothek Heidelberg
Overview
loading ...
Facsimile
0.5
1 cm
facsimile
Scroll
OCR fulltext
190

Gegen Zahnschmerzen.

Es mochte ungefähr eine Stunde nach Mitternacht sein,
da fuhr mein Freund, der Oberbuchhalter Hartenstein, aus dem
Bette auf. „Himmelkreuzdouncrwettcr!" donnerte er mit dem
grellen Bas; seiner Löwenstimme, daß seine Wauduachbarin, die
in Ruhestand versetzte Hebamme Wehmaicr auf ihrem Lager zu-
sammenfuhr und entsetzt rief: „Maria und Josef! . . Mitten
im Winter ein . . . Donnerwetter! ..." Bevor aber das
Elemeutarcrcigniß losbrach, winselte cs schon seit vielen Stunden
nicht weit von Harteustein's Bette gar jämmerlich. „Hühühü!
. . . Au . . au . . au! . . . Uiuiui! . . . Hühühü! . . .
Auweh, auweh! ..." Diese Tonleiter des Jammers wurde
von Harteustein's Söhnlein, dem neunjährigen Fritz, mit einer
Virtuosität in den Ucbcrgängen und Auflösungen ausgeführt,
daß es Einem durch Mark und Bein ging. „Das dauert nun
schon die dritte Rächt!" lautete das leisere Donnerwetter des
Herrn Hartenstein, worauf er Licht zu machen sich anschickte.
Aber er hatte die Zündhölzelschachtcl neben das Glas Wasser
auf das Nachttischchen gelegt, die Unruhe, mit der Hartenstein
sich bisher im- Bette herumgeworfen hatte, verschüttete bei einem
Anprall das Wasser und die Zündhölzchen waren nun tropfnaß.
„Himmelkruzincscrtürkcn!" brach nun das oberbuchhalterische
Wetter von Neuem aus, worauf Hartenstein aus dem Bette
sprang, um aus der Tasche seiner Beinkleider das Nauchfeucr-
! zeug zu suchen. Aber die Beinkleider waren nicht am gewohnten
Orte auf der Lehne des Balzacs. Dazwischen setzte Fritz mit ver-
stärkter Hartnäckigkeit sein „Hühühü! Uiuiui! Auweh! Auweh!"
fort. „Ein Erdbeben!" jammerte die Nachbarin und klammerte
! sich mit beiden Händen krampfhaft an die Seitentheile ihres
Bettes. „Uiuiui! Uiuiui!" heulte Fritz mit verstärkter Energie
i fort. Drrrpumm! fiel jetzt auch der Nachttisch um. „Da soll
denn der Teufel d'reinschlageu!" rumorte Hartenstein. „Malefiz-
bub'! Hält st Dir gestern den sakrischen Zahn reißen lassen!
! Jetzt war' Ruh'!" Ta klopft's au der Thüre. „Zum Kukuk!

Wer ist's?" — „Ich, die Nachbarin! . . Um Gottcswillen,
machen S' auf!" Hartenstein öffnet die Thüre. „Ja, was
ist denn bei Ihnen los, Frau Wehmaier?" — „Gott! das
Wetter! Mitten im Winter!" murmelt bebend die Frau. —
„Wetter?" brummt Hartenstein, „der Bub' macht ja wegen
des Zahns einen Heidenlärm, daß man sein eigen' Wort nicht
hört!" — „Und die Verwüstung!" bekreuzigt sich die Nachbarin,
als sie den umgestürzten Nachttisch erblickt. — „Ui, ui, ui!" fing
Fritz wieder an, den die geisterhafte Erscheinung der Nachbarin
eine Weile stumm gemacht hatte. — „Ich sag' Dir's!" rief
nun Hartenstein, „der Zahn wird morgen früh gerissen! da
hilft gar nichts!" — „Nein . . . ich lass' mir . . . nichts
reißen!" heulte Fritz und verkroch sich unter die Decke. — „Zahn-
weh hat's Bubi?" sagte mitlc'big die Nachbarin und lief sogleich
eiligst zur Thüre hinaus. Nach einigen Minuten kam sie mit einer
Schachtel zurück. Wie Pandora's Büchse entstieg dieser ein Hccr
vou Qualen für Fritz. Er bekam hiutcr's Ohr ein Besikator, er
wurde mit Kräutern eingeränchcrt, daß cs im Zimmer zum Er-
sticken war, er mußte sich Nelkenöl aus Baumwolle in den hohlen
Zahn stecken, ein Stückchen Knoblauch in's Ohr pressen lassen,
kurz die Nachbarin ging dem Fritz mit dem ganzen Arsenal ihrer
Zahnheilkunde an den Leib. Eine Weile ging's gut. Dann aber
brach das: „Ui, ui, ui!" auf's Neue mit verstärkter Heftigkeit
los. Fritz spuckte die Baumwolle aus, riß sich den Knoblauch
aus dem Ohr, das Besikator hinter demselben weg und warf die
Rauchtücher der Nachbarin an den Kopf. „Aber, Fritzl!" klagte
die Nachbarin. — „Heu! heu! Ui, ui! Ui, ui! Auaau! Weh!
Weh! Huhuhu!" raj'tc nun Fritz und warf sich dabei wild im
Bett umher. — „Frau Nachbarin!" donnerte nun Hartenstein,
„jetzt Hab' ich's satt!" Dabei steckte er die verhäugnißvollc
Schachtel der Nachbarin unter den Arm. „Gute Nacht, Frau Nach-
barin!" sagte er mit solcher Entschiedenheit, daß die gute Frau
mehr zur Thüre hiuausflog, als ging. Grimmig sah er nach
seinem Sohne. Plötzlich spielte aber ei» Lächeln um des verzwei-
felten Vaters Mund. Mit einer Sanftmuth sondergleichen sprach
er nun zu Fritz: „Der Zahn muß 'raus! Na, es geschieht nur,
wenn Du willst! Morgen früh gehen wir zum Zahnarzt, da
lasse ich mir einen Zahn reißen, damit Du siehst, daß cs ein
Kinderspiel ist, und thut gar nicht, aber gar nicht weh!" Fritz sah
den Vater mißtrauisch an./ „Nun, ich lasse mir morgen einen
Zahn reißen, dabei bleibt's. Folgst Du dann meinem Beispiel,
gut, wenn nicht, hast Du nichts verloren." Das schien dem Fritz
ziemlich einleuchtend, lind so trat denn Hartenstein schon früh
6 Uhr bei seinem alten Freunde, dein Zahnärzte, ein, Fritz furcht-
sam hinter dem Vater. Hartenstein nahm nun den Zahnarzt mit
großer Gewandtheit rasch bei Seite und flüsterte ihm in's Ohr:
„Der Bub hat 'u schlechten Zahn! 'raus muß er, aber der
Escl hat keine Courage. Du thust nur so, als rißcst Tu mir
einen Zahn — an Deiner Zange kannst Du ja einen vor-
bcreitcn — und dann geht der Bub auf den Leim!" Der

Zahuarzt blinzelte mit den Augen. Hartenstein setzte sich auf
den „gewissen" nieder» Stuhl, während Fritz in einer Ecke des
Zimmers lauert. „Da sieh' her, wie ich fidel bin!" rief ihm
der Vater zu, und machte ein luftiges Gesicht, als ginge cs
Image description

Werk/Gegenstand/Objekt

Titel

Titel/Objekt
"Gegen Zahnschmerzen"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Grafik

Inschrift/Wasserzeichen

Aufbewahrung/Standort

Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES

Objektbeschreibung

Maß-/Formatangaben

Auflage/Druckzustand

Werktitel/Werkverzeichnis

Herstellung/Entstehung

Entstehungsort (GND)
München

Auftrag

Publikation

Fund/Ausgrabung

Provenienz

Restaurierung

Sammlung Eingang

Ausstellung

Bearbeitung/Umgestaltung

Thema/Bildinhalt

Thema/Bildinhalt (GND)
Mann <Motiv>
Zahnschmerz
Bett <Motiv>
Leuchter
Persönlicher Rat
Karikatur
Schlafzimmer <Motiv>
Satirische Zeitschrift

Literaturangabe

Rechte am Objekt

Aufnahmen/Reproduktionen

Künstler/Urheber (GND)
Universitätsbibliothek Heidelberg
Reproduktionstyp
Digitales Bild
Rechtsstatus
Alle Rechte vorbehalten - Freier Zugang
Creditline
Fliegende Blätter, 55.1871, Nr. 1378, S. 190
 
Annotationen