18
Der Liebling.
Der wollt' seinen Abschied nicht nehmen,
Er blieb bei der Gendarmerie!
»; Miris.
Der alte Mandl.
Von Gustav Kicmist.
(Fortsetzung.)
Spät Abends, soeben war der Greis mit seinen Aus-
zeichnungen fertig, trat Sigismund in's Zimmer, einen statt-
lichen Aktenbündel unterm Arme. Der Sohn brachte die Ela-
borate, welche er im Laufe dieses verhängnißvollen Tages ge-
fertigt hatte. Sigismund arbeitete auf der Hofkammer als
jüngster Beisitzer. Von den zahlreichen Kindern, die dem Kammer-
präsidenten aus zwei Ehen entsproßtcn, fand sich nur noch
Sigismund im elterlichen Hause. Die übrigen Kinder, Töchter
und Söhne, waren glücklich verheirathet. Letztere zudem auf
Erbgütern und als churfürstliche Rentner und Pfleger seßhaft.
Sigismund, des Vaters Liebling, zählte jetzt zweiuudzwanzig
Jahre. Ein schöner Mann war's, schlanker gewachsen als der
Vater; mit dem blonden reich gelockten Haupthaare, welches
leuchtend die edle Stirne umfloß, mit dem hellen Blicke des
treuen Auges war er ein Abbild des Vaters in dessen jungen
Jahren. Liebe zu dem erwählten Berufe, dem kameralistischcn,
und Anhänglichkeit an den greisen Vater bildeten die reine Lebens-
lust dieser aufblühenden Mannesseele. Einem solchen Sohne
mußte das Herz des Vaters entgegenschlagen.
„Du kömmst mit Akten? Hast trotz der Aufregung des
Tages, oder gerade wegen derselben, um sie zu dämpfen, noch
so wacker gearbeitet?" Mit diesen Worten blickte Mandl lächelnd
aber doch nicht ohne Spannung in das Auge seines Sohnes.
Dieser erwiderte: „Es war mir Bedürfnis), die unliebsame
Stunde der Audienz zu vergessen. Vater! Sie ahnten den In-
halt der Audienz richtig, wußten auch meine Antwort an die
Churfürstin im Voraus! Verdrießlich warf ich mich in der
Kanzlei auf die Arbeit — da sind meine Relationen!"
Der alte Mandl.
„Werd' heute noch diesen Stoß Deiner Arbeiten durch-
gehen. Da Hab' ich aber auch etwas für Dich!" Und Mandl
reichte Sigismund das fertige Memorandum. „Lies' es; morgen
bring' ich's dem Churfürsten. Höre! Ich wurde heute Morgens
nicht zum gewöhnlichen Vortrage zugelassen, dagegen aber", und
Mandl's Züge nahmen eine Bitterkeit an, die ihnen sonst fremd
war, „bald darauf eiligst wieder vorgerusen." — Und nun be-
richtete der Greis seine heutigen Erlebnisse. „Es kommen Stürme!"
schloß Mandl, „die Sommaruga's sind unsere bösen Gestirne!"
Sigismund stand mit verschränkten Armen und blickte ernst
vor sich hin. „Mein Vater! Sie stehen hoch über dem ver-
läumderischen Treiben der Wälschen. Dieser Jntrigue wäre
übrigens vorzubcugen gewesen; wir Hütten Alle zu Freunden ge-
wonnen, wenn ich Eleonorens Hand —"
„Nichts hievon, mein Sohn! Du sollst mit dieser —
Coguette nicht unglücklich werden! Nein, auf mein Recht stütz'
ich mich, mein Gewissen ist mein Trost. Nimm das Memo-
randum mit und bring' mir's morgen früh zurück. Noch Eins,
eh' Du gehst! Ich denke, meine Lebensbeschreibung fortzusctzcn,
die ich vor einiger Zeit begonnen habe. Du hast bisher mir als
Sekretarius hiezu gedient; willst Du wieder dieß Amt über-
nehmen, wenn ich nächstens neu beginne, mein cumculum vitae
zu diktiren?" So sprach der Greis. Gerne sagte der Sohn zu-
„Gute Nacht, Sigismund!"
Rasch wandte bei diesen Worten sich der Sohn im Gehen
noch einmal, umarmte bewegt den Vater und rief: „Euer
Sigismund wird nicht dulden, daß Ihr gekränkt, verlüumdet
oder ränkevoll gestürzt würdet. Unser Recht verthcidigc ich
bis auf's Äcußerste!"
Mandl blickte tiefsinnend dem Abeilenden nach. —
Einige Tage sind seitdem verflossen. Mandl hat das Memo-
randum dem Churfürsten persönlich überreicht. Ferdinand Maria
erschien sehr freundlich und gnädig und verhieß Bescheid und
Abhilfe. Der Greis glaubte, seine düsteren Ahnungen ver-
scheuchen zu dürfen. Heute nun sind im Arbeitszimmer Mandl
und sein Sohn allein. Der Greis sitzt in einem Lehnstuhle,
das ehrwürdige Haupt zurückgeneigt, die Hände auf dem
Schooße. Sigismund hat am Tische Platz genommen und hält
die Feder bereit.
„Schreib!" begann der Greis. „Die Abendsonne meiner Er-
innerung blickt heute so schön zurück auf mein Leben voll der Ehren
und köstlichen Mühen! In wenig Tagen wcrd' ich dreiundsicbzig
Jahr' alt, da möcht' ich auch dieses Memoirenheft von Deiner
Hand vollendet sehen. — Recapitulir' mir das bisher Geschriebene
in Kürze."
Und Sigismund las, Blatt um Blatt der Biographie von
vorncher überblickend, mit Auslassung minder wichtiger Stellen:
„Mein Vater war ein schlichter Land-Edelmann im
Schwäbischen — sein Gut gedieh mit Gottes Hilfe — ich
bin der jüngste von seinen sechs Buben — anno 1606,
siebzehn Jahre alt, bin ich Laoealanrous jnris auf hoher
Schul zu Ingolstadt geworden — anno 1613 gradum
doctoratus in Perugia auf hoher Schul erhalten — anno
1618 bin ich in die geheime Canzlei gekommen — anno
Der Liebling.
Der wollt' seinen Abschied nicht nehmen,
Er blieb bei der Gendarmerie!
»; Miris.
Der alte Mandl.
Von Gustav Kicmist.
(Fortsetzung.)
Spät Abends, soeben war der Greis mit seinen Aus-
zeichnungen fertig, trat Sigismund in's Zimmer, einen statt-
lichen Aktenbündel unterm Arme. Der Sohn brachte die Ela-
borate, welche er im Laufe dieses verhängnißvollen Tages ge-
fertigt hatte. Sigismund arbeitete auf der Hofkammer als
jüngster Beisitzer. Von den zahlreichen Kindern, die dem Kammer-
präsidenten aus zwei Ehen entsproßtcn, fand sich nur noch
Sigismund im elterlichen Hause. Die übrigen Kinder, Töchter
und Söhne, waren glücklich verheirathet. Letztere zudem auf
Erbgütern und als churfürstliche Rentner und Pfleger seßhaft.
Sigismund, des Vaters Liebling, zählte jetzt zweiuudzwanzig
Jahre. Ein schöner Mann war's, schlanker gewachsen als der
Vater; mit dem blonden reich gelockten Haupthaare, welches
leuchtend die edle Stirne umfloß, mit dem hellen Blicke des
treuen Auges war er ein Abbild des Vaters in dessen jungen
Jahren. Liebe zu dem erwählten Berufe, dem kameralistischcn,
und Anhänglichkeit an den greisen Vater bildeten die reine Lebens-
lust dieser aufblühenden Mannesseele. Einem solchen Sohne
mußte das Herz des Vaters entgegenschlagen.
„Du kömmst mit Akten? Hast trotz der Aufregung des
Tages, oder gerade wegen derselben, um sie zu dämpfen, noch
so wacker gearbeitet?" Mit diesen Worten blickte Mandl lächelnd
aber doch nicht ohne Spannung in das Auge seines Sohnes.
Dieser erwiderte: „Es war mir Bedürfnis), die unliebsame
Stunde der Audienz zu vergessen. Vater! Sie ahnten den In-
halt der Audienz richtig, wußten auch meine Antwort an die
Churfürstin im Voraus! Verdrießlich warf ich mich in der
Kanzlei auf die Arbeit — da sind meine Relationen!"
Der alte Mandl.
„Werd' heute noch diesen Stoß Deiner Arbeiten durch-
gehen. Da Hab' ich aber auch etwas für Dich!" Und Mandl
reichte Sigismund das fertige Memorandum. „Lies' es; morgen
bring' ich's dem Churfürsten. Höre! Ich wurde heute Morgens
nicht zum gewöhnlichen Vortrage zugelassen, dagegen aber", und
Mandl's Züge nahmen eine Bitterkeit an, die ihnen sonst fremd
war, „bald darauf eiligst wieder vorgerusen." — Und nun be-
richtete der Greis seine heutigen Erlebnisse. „Es kommen Stürme!"
schloß Mandl, „die Sommaruga's sind unsere bösen Gestirne!"
Sigismund stand mit verschränkten Armen und blickte ernst
vor sich hin. „Mein Vater! Sie stehen hoch über dem ver-
läumderischen Treiben der Wälschen. Dieser Jntrigue wäre
übrigens vorzubcugen gewesen; wir Hütten Alle zu Freunden ge-
wonnen, wenn ich Eleonorens Hand —"
„Nichts hievon, mein Sohn! Du sollst mit dieser —
Coguette nicht unglücklich werden! Nein, auf mein Recht stütz'
ich mich, mein Gewissen ist mein Trost. Nimm das Memo-
randum mit und bring' mir's morgen früh zurück. Noch Eins,
eh' Du gehst! Ich denke, meine Lebensbeschreibung fortzusctzcn,
die ich vor einiger Zeit begonnen habe. Du hast bisher mir als
Sekretarius hiezu gedient; willst Du wieder dieß Amt über-
nehmen, wenn ich nächstens neu beginne, mein cumculum vitae
zu diktiren?" So sprach der Greis. Gerne sagte der Sohn zu-
„Gute Nacht, Sigismund!"
Rasch wandte bei diesen Worten sich der Sohn im Gehen
noch einmal, umarmte bewegt den Vater und rief: „Euer
Sigismund wird nicht dulden, daß Ihr gekränkt, verlüumdet
oder ränkevoll gestürzt würdet. Unser Recht verthcidigc ich
bis auf's Äcußerste!"
Mandl blickte tiefsinnend dem Abeilenden nach. —
Einige Tage sind seitdem verflossen. Mandl hat das Memo-
randum dem Churfürsten persönlich überreicht. Ferdinand Maria
erschien sehr freundlich und gnädig und verhieß Bescheid und
Abhilfe. Der Greis glaubte, seine düsteren Ahnungen ver-
scheuchen zu dürfen. Heute nun sind im Arbeitszimmer Mandl
und sein Sohn allein. Der Greis sitzt in einem Lehnstuhle,
das ehrwürdige Haupt zurückgeneigt, die Hände auf dem
Schooße. Sigismund hat am Tische Platz genommen und hält
die Feder bereit.
„Schreib!" begann der Greis. „Die Abendsonne meiner Er-
innerung blickt heute so schön zurück auf mein Leben voll der Ehren
und köstlichen Mühen! In wenig Tagen wcrd' ich dreiundsicbzig
Jahr' alt, da möcht' ich auch dieses Memoirenheft von Deiner
Hand vollendet sehen. — Recapitulir' mir das bisher Geschriebene
in Kürze."
Und Sigismund las, Blatt um Blatt der Biographie von
vorncher überblickend, mit Auslassung minder wichtiger Stellen:
„Mein Vater war ein schlichter Land-Edelmann im
Schwäbischen — sein Gut gedieh mit Gottes Hilfe — ich
bin der jüngste von seinen sechs Buben — anno 1606,
siebzehn Jahre alt, bin ich Laoealanrous jnris auf hoher
Schul zu Ingolstadt geworden — anno 1613 gradum
doctoratus in Perugia auf hoher Schul erhalten — anno
1618 bin ich in die geheime Canzlei gekommen — anno
Werk/Gegenstand/Objekt
Pool: UB Fliegende Blätter
Titel
Titel/Objekt
"Der Liebling"
Weitere Titel/Paralleltitel
Serientitel
Fliegende Blätter
Sachbegriff/Objekttyp
Inschrift/Wasserzeichen
Aufbewahrung/Standort
Aufbewahrungsort/Standort (GND)
Inv. Nr./Signatur
G 5442-2 Folio RES
Objektbeschreibung
Maß-/Formatangaben
Auflage/Druckzustand
Werktitel/Werkverzeichnis
Herstellung/Entstehung
Entstehungsort (GND)
Auftrag
Publikation
Fund/Ausgrabung
Provenienz
Restaurierung
Sammlung Eingang
Ausstellung
Bearbeitung/Umgestaltung
Thema/Bildinhalt
Thema/Bildinhalt (GND)