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Zwei Schädel.

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aus ihnen ersah, erschien mir hinreichend interessant, um es auch
Andern mitzutheilen. _

Es war im Mai des Jahres 1763 während der ersten
Periode der laugen Regierung des Herzogs Karl, die man im Ver-
gleich mit den nachfolgenden Regierungsjahren vorzugsweise die
„glanzende" nennen kann, als eine Truppe sogenannter eng-
lischer Reiter auf dem Cannstadter Wasen ihren Circus auf-
schlug, um den Bewohnern Stuttgarts und Cannstadts ihre
Künste zu zeigen. Der Ruf des prachtliebenden und verschwender-
ischen Hofes und der durch das schlimme Beispiel desselben zu
gleicher Ueppigkcit und Genußsucht nacheifernden Hauptstadt lockte
alljährlich eine große Anzahl solcher wandernder Künstler nach der
württembergischen Residenz, denn der Herzog liebte neben seinen
mit ungemessenster Pracht veranstalteten Schauspielen, Bällen,
Concerten, Feuerwerken, Jagd- und Laudpartieen, derartige
Abwechslungen in seinen Vergnügen sehr. Jede solche wandernde
Künstler-Truppe war deßhalb in Stuttgart willkommen und er-
hielt höchster Weisung gemäß sofort den polizeilichen Cvnsenz
zum Zeigen ihrer Künste, wenn sie nicht allzu untergeordneten
Ranges war und besonders — wenn die weiblichen Mitglieder
der Gesellschaft hübsch waren. Der damals erst 35 Jahre
zählende Fürst liebte nämlich schöne Frauen über Alles und ob-
wohl er damals noch nicht von seiner ungeliebten Gemahlin
Elisabeth Friederike Sophie von Bayreuth geschieden war, so
befanden sich doch au seinem Hofe eine Unzahl einheimischer und
fremder — Damen, welche die berüchtigten blauseidenen Schuhe,
die Livree seiner Maitressen, trugen. In diese Livree aber
zwang der junge Despot jedes Mädchen, welches das Unglück
gehabt hatte, ihm durch ihre Schönheit anfzufallen, denn die
Furcht vor des Herzogs Rache ließ ihn nur selten auf einen
Widerspruch seitens seiner erkorenen Opfer stoßen. Hierbei
aber war ihm durchaus einerlei, ob das Mädchen, das seine
Sinnlichkeit gereizt hatte, vornehmen oder geringen Standes war;
die blauen Schuhe trugen Töchter seiner höchsten Staatsbeamten
ebensogut wie die seiner Lakaien.

Der auf dem Cannstadter Wasen angekoiumenen Kunstreiter-
Truppe war ein in jeder Beziehung günstiger Ruf vorangegangen.
Die Pferde — so wurde behauptet — seien sehr schön und
vortrefflich dressirt, ebenso sollten die Leistungen der Gesellschafts-
Mitglieder Alles bisher Gesehene an Kühnheit, Eleganz und
Leichtigkeit der Ausführung übertreffen. Vor Allem jedoch wurde
die außerordentliche Schönheit und die graziöse Anmuth der
Primadonna der Gesellschaft gerühmt. „Die schöne Kozelska"
— >vie man sie in's Gemeinhin nannte — wurde allgemein
als die Perle der Gesellschaft gepriesen, die nur zu sehen, schon
allein das Eintrittsgeld zum Circus werth sei. — Begreiflicher
Weise herrschte deßhalb in Stuttgart und besonders bei Hofe
eine nicht geringe Spannung auf den Beginn der Produktionen;
der Herzog selbst wollte schon die erste Vorstellung besuchen,
denn >vas auf der Welt ihn am meisten interessirte, sollte er hier-
zu sehen bekommen: ein schönes Mädchen und schöne Pferde.

Aber auch die Mitglieder der Kunstreitertruppe waren durch
den angekündigten Besuch des Herzogs und seines Hofes in keine
kleine Aufregung verseht. Der Eigenthümer des Circus und Direktor

der Gesellschaft Kovachy Elenisz, ein Ungar von Geburt, fp»r*c
loeöer Mühe noch Kosten, um dem großen Bretter-Circus ei»
der hohen Gäste würdiges Aussehen zu geben. Eine Ehrew
Pforte von Moos und grünem Reis, mit Flaggen und Fahne»
verziert, wurde vor demselben errichtet, im Innern aber »»>
einer Estrade war eine mit rothem Sammt ausgeschlagene, reich
geschmückte Loge für den Herzog und den Hos hergerichtet
worden, über welcher von Genien gehalten und von schwarz"
rothen Fahnen umwallt das große württembergische Wappen und
eine ungeheure vergoldete Herzogskrone angebracht waren.
mit dem Namenszug Karls und fürstlichen Emblemen versehe»^
Lhronstuhl stand erhöht iiber die übrigen im Vordergrund der Loge,
ein diesem ganz ähnlicher für die Herzogin bestimmter Stuhl befa»d
sich an dessen Seite, obwohl der Direktor recht gut wußte, daß ^
Herzog an solchen Orten niemals mit seiner Gemahlin erschic»-
Abcr Kovachy, der —- wie seine pomphaft verkündenden Zettel
sagten — schon vor vielen hohen Potentaten sich mit seiner Gesell"
schuft zu produziren die Ehre gehabt hatte, war hinreichend in die
Geheimnisse der Etiquette eingewciht, um einen solchen Verstoß
gegen dieselbe durch Jguoriren der Fürstin nicht zu begehen.

Auch die Mitglieder der Gesellschaft entwickelten eine außer"
ordentliche Thätigkeit, die sich nicht allein auf das Herrichten
ihrer Costüme beschränkte, sondern auch auf das Einüben ga»t
neuer graziöser Stellungen, mimisch-plastischer Darstellungen u»d
kühner, halsbrecherischer Sprünge ausdehnte. Besonders
schöne Kozelska" beabsichtigte nicht nur durch ihre persönliche
Schönheit und die Pracht ihrer Costüme, sondern auch durch
ihre Kunstfertigkeit zu glänzen und deßhalb übte sie täglich Z»
Fuß und Roß mit ihrem Lehrmeister, dem Gymnastiker, Ver"
tretet- der Grotesk-Reiterei und — Hanswurst der Gesellschaft,
mit welchem Namen sich die heutigen „Clowns" damals noch
begnügen mußten. Uebrigens war Roman Sirsky ein Hans"
Wurst erster Größe, der sich nicht nur durch ganz köstliche»
Witz und erstaunliche Geschicklichkeit und Kraft auszcichnetc,
sondern er war nebenbei ein bildhübscher Bursche, ein Umstand,
wegen dessen er unter der Frauen- und Mädchenwelt fast dieselbe
Berühmtheit erlangt hatte, wie seine Landsmännin, die schöne
Kozelska, bei den männlichen Besuchern des Circus. Roma»
war deßhalb für den Direktor nicht minder „Perle" der Gesell-
schaft, als Johanna Kozelska und er hatte in seinen Augen n»l
einen einzigen Fehler, — er war verliebt und zwar gerade in
die weibliche Perle, die schöne Kozelska. Das Verliebtsei»
zwar hätte ihm Kovachy noch nicht als Fehler angerechnet, aber
der tolle Bursche beabsichtigte auch — das schöne Mädchen z»
heirathen und dies war's, was er ihm sehr verübelte. Ob bef
Direktor vielleicht selbst sein hohes Auge in Liebe auf die schöne
Künstlerin gerichtet hatte, oder ob er nur befürchtete, daß die
Kozelska mit dem Entbehren des Nimbus der Jungfräulichkeit
aufhören würde, „weibliche Perle" zu sein, d. h. als Magnet
für seine Kasse zu wirken, ist mir natürlich aus meinem Material,
den Prozeßakten, nicht ersichtlich. Sein Trost war übrigens,
daß Johanna noch immer zögerte, dem liebenden Hanswurst
das Jawort zu geben; sie fürchtete, wie es scheint, selbst sehr für
ihre „Perlenschaft" als Madame Sirsky. Dem sei übrigens tvic
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