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Fürbringer, Max
Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel: zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane ; mit 30 Tafeln (Band 2): Allgemeiner Theil, Resultate und Reflexionen auf morphologischem Gebiete, systematische Ergebnisse und Folgerungen — Amsterdam, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.15181#0708

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1534

macht. Ich stimme diesen Auffassungen und Folgerungen gern zu, finde in den Federn voi»
Archaeopteryx diejenigen Gebilde, welche in der Organisation dieses Vogels relativ die grösster»
Fortschritte in der Differenzirung bekunden, und erblicke darin einen nicht misszuverstehenden
Hinweis auf die fundamentale Bedeutung, welche der Federentwickelung für die gesammte
Organisation der Vogelclasse zukommt. Ob aber die Schwungfedern von Archaeopteryx eine
die Flügelfedern aller Ratitcn (incl. Struthio und Rhea) an Differenzirungshöhe übertreffende
und den Remiges der Carinaten im Principe nahe kommende Ausbildung erreichten, wie dies
Dames will, erscheint mir zunächst noch nicht erwiesen. Meine mikroskopischen Beobachtungen
an den Federn der Ratiten (cf. p. 1482 und 1497) ergaben mir, dass die gemeinhin angenommene
scharfe Grenze in der Contourfeder-Bildung zwischen Carinaten und Ratiten nicht besteht; mikros-
kopische Untersuchungen der Schwungfederabdrücke von Archaeopteryx fehlen, makroskopisch
aber machen dieselben einen schwächeren Eindruck als z. B. diejenigen von Rhea und Struthio. —

Aus diesen Darlegungen resultirt, dass ich in Archaeopteryx weder einen Schalttypus (Seiten-
zweig) noch eine directe Übergangsform zwischen Reptilien und Vögeln erblicken kann.

Die Anhänger der Schalttypus-Theorie berufen sich namentlich auf den Schwanz, die
freien Metacarpalia und die mit reptilienartigen Krallen versehenen Finger, um darzuthun, dass-
ein Geschöpf mit solchen Bildungen bereits zum Vogel verdorben war; mir (wie so manchem
anderen, bereits oben citirten Autor) ergab dagegen die genauere Untersuchung und Vergleichung,
dass hier allerdings Gebilde von einer primitiveren Entwickelungsstufe als bei den späteren Vögeln'
und selbstverständlich von einer gewissen Individualisirung vorliegen, dass aber keines so ab-
weichend vom Vogeltypus ausgebildet ist, dass dieser nicht aus ihnen oder wenigstens ihnen sehr
Ähnlichen hergeleitet werden könnte; gerade die Hand aber bietet eine ganz speciell auf densel-
ben hinweisende Tendenz dar.

Die Differenz der Anschauungen, ob man in Archaeopteryx eine Übergangsform zwischen
Reptilien und A7ögeln oder bereits einen Vogel zu erblicken habe, hängt in der Hauptsache
von der verschiedenen Auffassung und Ausdehnung ab, welche man dem Begriffe Vogel giebt.
Wer in der Bezahnung der Kiefer und der Amphicoelie der Wirbel Merkmale erblickt, welche
mit dem Charakter der echten Vögel nicht vereinbar sind, der muss auch Ichthyornis, vielleicht
auch Hesperornis und Enaliornis von ihnen entfernen und den wahrscheinlichen Beginn der
Vogelclasse erst gegen das Ende der Kreide versetzen. Ebenso aber wird der, welcher wegen
des wirbelreichen langen Schwanzes oder wegen des Mangels der Proc. uncinati oder wegen der
unverwachsenen Metacarpalien Bedenken trägt, Archaeopteryx den Vögeln einzureihen, sich die
Frage vorlegen müssen, ob er dann noch die Jugendstadien der Anseres oder die Palamedeidae
oder Gastornis (eventuell auch Casuarius?) bei den Vögeln lassen darf.

Wie ich bereits zu wiederholten Malen betont, genügen einzelne ausgclesene Merkmale nicht für
taxonomische Erschliessungen, sondern es muss hierbei immer die Summe der Charaktere
ins Auge genommen und zugleich untersucht werden, erstens, ob dieselben in toto für oder
gegen die Vogelnatur entscheiden, zweitens, welches Merkmal unter ihnen als dasjenige aufzu-
fassen sei, das dem Vogeltypus sein besonderes Gepräge verleiht, seine übrige Organisation
beherrscht und phylogenetisch zuerst zur speeifischen und für die vorliegende Classe charakteris-
tischen Entwicklung kam. Diese Summe aber entscheidet meiner Erachtens hier unbedingt
für die Vogelnatur; dasjenige Merkmal aber, welches ich, zum Theil im Einklang mit
Owen, Huxley (1S68, 1S71), Marsii und Dames, *«r' ^o/jjr als das typische Vogelmerkmal
bezeichnen möchte, die Befiederung '); zeigt auch bei Archaeopteryx bereits eine Höhe

») Die Gründe für die fundamentale typische Bedeutung der Befiederung, einen so oberflächlichen Charakter
dieselbe auch zu bilden scheint, sind zum Theil schon in den vorhergehenden Ausführungen (vergl. ausserdem noch
p. 1006 f. und p. 1492 Anm. 2) enthalten. Es ist leicht verständlich, dass die erste speeifische Differenzirung
der primitiven sauropsiden Vorfahren zum Vogeltypus zunächst nicht in den tieferliegenden, sondern vorzugsweise
in den oberflächlicheren, zu der Aussenwelt in directerem Connexe stehenden Theilen, d. h. dem Integu-
 
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