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Fürbringer, Max
Untersuchungen zur Morphologie und Systematik der Vögel: zugleich ein Beitrag zur Anatomie der Stütz- und Bewegungsorgane ; mit 30 Tafeln (Band 2): Allgemeiner Theil, Resultate und Reflexionen auf morphologischem Gebiete, systematische Ergebnisse und Folgerungen — Amsterdam, 1888

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https://doi.org/10.11588/diglit.15181#0709

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] 535

•der Differenzirung, die es nicht zweifelhaft erseheinen lässt, dass bei diesem Arogel bereits eine
lange Reihe von befiederten Vorfahren vorausgegangen ist ]). Bei den Frühesten dieser noch
unbekannten Ahnen, bei denen die phylogenetische Entwicklung der primitiven Federn aus
sehüppchenartigen Vorläufern erst begann, ist es selbstverständlich schwer, wenn nicht unmöglich,
die Grenze zwischen Reptil und Vogel zu ziehen; Archaeopteryx aber steht von jener Anfangs-
grenze bereits weit ab und völlig im Bereiche der Vogel c lasse.

Dass Archaeopteryx mit anderen Sauropsiden, den Pterosauricrn, das Vermögen theilt,
sich in einer ziemlich unvollkommenen Weise in der Luft zu bewegen, scheint einzelne Autoren,
z. B. Owex und Wiedersueim, in erster Linie veranlasst zu haben, Beide in einen gewissen
genealogischen Verband zu bringen. Derselbe ist indessen ein ganz loser; die Fälligkeit der
Luitbewegung wird bei Pterosauriern und Vögeln durch in der Haupssache so grundverschiedene
Mittel zu Stande gebracht, dass die vereinzelten dabei zu beobachtenden Isornorphien nicht
ernstlich in Frage kommen. Namentlich Vogt hat darüber sehr klare Auseinandersetzungen
gegeben, denen ich kaum noch etwas zuzufügen habe.

Wende ich mich jetzt zu der zweiten Frage, die eventuellen specielleren Relationen
•der Archaeopteryx zu irgend welcher Abtheilung der späteren Vögel betreffend, so ist hierüber
zur Zeit nur sehr wenig zu sagen.

Mit einem grossen Quantum von Wahrscheinlichkeit darf behauptet werden, dass Archaeopteryx
xu den primitiven Darinaten (Proto-Ptenornithes) 2) gehört. Aber damit scheint mir für
seine speciellere Genealogie nicht viel gewonnen, da nach den früheren Auseinandersetzungen
(cf. p. 1518) die beiden Abtheilungen der Carinateu und Rathen keine genetisch in sich ge-
schlossenen und zugleich scharf und principiell einander gegenüberstehenden Hauptäste des
Vogelstammes repraesentiren, sondern von ziemlich heterogenen Vertretern gebildete Sammel-
gruppen vorstellen, welche mehr künstlich, je nach dem Grade ihres Flugvermögens resp. dessen
völligem Verluste, zusammengehalten und von einander gesondert wurden. Aus diesem Grunde
kann ich auch der von Dames vorgeschlagenen Classification, wie gedankenreich sie auch
durchgeführt ist, nicht folgen.

Beim Suchen nach specielleren Anknüpfungen kann man auf Grund des einen oder des anderen
Merkmales von Archaeopteryx eine grössere Ähnlichkeit bald mit dieser, bald mit jener späteren
Vogelfamilie herausfinden; die genauere Vergleichung der erhaltenen Befunde lehrt aber zugleich,
dass diese verschiedenen Ähnlichkeiten zu einseitig und zugleich unter sich zu discrepant sind,

mente und den Extremitäten begann und erst allmälig vermöge der mannigfachen Correlationen der-
selben zu den von der Peripherie mehr abgewandten Theilen in die Tiefe griff. So konnte es zu Stadien
kommen, deren Befiederung und Beinbildung bereits eine hohe und specifische; deren Wirbelsäule aber noch eine
ziemlich tiefe Stufe der Differenzirung darbietet (Archaeopteryx) oder zu solchen, wo eine den lebenden Vögeln in
•der Hauptsache gleichkommende Ausbildung der vorderen und hinteren Extremität sich noch mit ziemlich primi-
tiven Zügen der "DorsalWirbelsäule combinirt (Ichthyornis). Archaeopteiyx zeigt uns zugleich, dass die vogelartige
Ausbildung des Integumentes und der hinteren Extremität derjenigen der vorderen Extremität vorauseilte. Damit
ist natürlich nicht ausgeschlossen, dass eventuell auch andere Vogelahnen existirten, bei denen Flügel und Bein
gleichzeitig zu hoher Ausbildung kamen oder wo noch andere graduelle Combinationen gegeben waren. Mit diesen
noch gänzlich unbekannten Grössen können wir aber nicht rechnen, sondern müssen uns an die bekannten That-
,sachen halten, welche der Befiederung und speeifischen Ausbildung der hinteren Extremität den zeitlichen Vorrang
geben. Von diesen Beiden aber gebührt der Befiederung die Vorzugsstellung, denn einerseits findet sich
eine dem Vogeltypus nahekommende Ausbildung der Beine und des Beckens auch bei gewissen Dinosauriern, ande-
rerseits besitzt die hintere Extremität eine beschränktere Bedeutung für den Gesammtkörper als die Befiederung,
welche im Laufe der Zeit von mächtigstem Einflüsse auf die Lebensweise des Vogels wie auf die weitere Ausbil-
dung seines Schwanzes, Flügels, Brustgürtels und Kumpfes wurde,

l) Vergl. auch p. 494 Anm. 2.

•-) Cf. p. 1493 und 1518.
 
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