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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 2): Denkmäler des Mittelalters, Erste bis fünfte Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3502#0113

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Die Kirche der Matter Gottes (Theotokos) zn Constaiitinopel.

Auf dem westlichen Abhänge eines der zahlreichen Hügel, die die Mauern Constantinopels einschliessen,
und in geringer Entfernung von der berühmten Moschee des Soliman erhebt sich eine alte, heute ver-
lassene griechische Kirche, obgleich die Türken sie einst ihrem Cultus geweiht hatten. Ein grosser Brand,
der aus dem umherliegenden Stadttheile einen Haufen Ruinen gemacht hatte, war ohne Zweifel die Ursach,
dass diese Kirche verlassen wurde. Die Griechen nannten sie ßeovöxog rov Atäov.

Ihre Erbauung scheint in das IX. und X. Jahrhundert zu gehören, was einiger Maassen die Disposition
des Grundrisses zu bestätigen scheint, dessen Aehnlichkeit mit dem der Marcuskirche zu Venedig, die,
wie man weiss, im J. 996 angefangen wurde, bemerkenswert]! ist. Die Maasse der Kirche, die wir in
dieser Monographie vorführen, sind zwar unendlich kleiner als die der venetianischen Metropole, aber wir
werden im Laufe dieses Aufsatzes die Aehnlichkeiten, die man zwischen diesen beiden Bauwerken auf-
finden kann, und den Einfluss nachweisen, den die 0&oi6m$ auf den Bau der Marcuskirche gehabt haben kann.

Wer war der Gründer dieser Kirche? Wann wurde sie geweiht? Wir wissen es nicht; kein Schrift-
steller hat uns darüber irgend eine Nachricht hinterlassen.

Die Kirche ist von West nach Ost gerichtet. Das Terrain fällt von der Apsis nach der Vorderfacade
ab, was die doppelte Freitreppe nöthig machte, auf der man zum Haupteingang hinaufsteigt. Wir treten
durch diesen in eine weite Halle, die auch noch an beiden Seiten um einen Theil der Seitenfa^ade herum-
geht; sie wird durch zwei grosse gegen Abend gekehrte Arkaden, in deren jede zwei Säulen eingestellt
sind, erhellt. Die Anordnung dieser Halle ist in jedem Punkte der ähnlich, die man bei der Marcuskirche
in Venedig beobachtet hat. Im Innern ist dieser Narthex -) mit vielen Marmorsäulen decorirt, die man
einem antiken Gebäude entnommen hat, wie man aus dem Wuchs ihrer Schäfte und aus der Sculptur
ihrer Kapitale schliessen kann; diese Anwendung fremder Baubestandtheile bei Errichtung unserer Kirche
ist ein Beweis ihres hohen Alters. An dem südlichen Ende dieser Halle hat man einen Ausgang angebracht;
der diesem correspondirende Theil der Halle an der anderen Seite hat keinen Ausgang, sondern bildet eine
Art Kapelle, die von der Halle durch zwei der Mauer nahe gestellte Säulen geschieden wird. Dies war
vielleicht die Taufkapelle oder das Baptisterium; wenn man nicht etwa dieses, wie bei der Marcuskirche
zu Venedig, gegen Süden gelegen annimmt;''') aber dann wären hier die Säulen verschwunden, von denen
wir keine Spur gesehen haben. An dieser südlichen Seite gelangt man durch eine Thüre in der Hinter-
wand in einen geschlossenen quadraten Kaum, dessen Wände minder alt als die des ursprünglichen Gebäudes
zu sein scheinen und einem Seiten-Narthex, den wir bald kennen lernen werden, wahrscheinlich eingebaut
wurden. Die Türken haben gegen diesen südlichen Theil der ursprünglichen Seiten-Halle den Sockel eines
Minarets und einige andere Gebäulichkeiten gelehnt, die wir als der griechischen Kirche fremd aus unserm
Grundriss weggelassen haben.

Ein zweiter Narthex oder ein Vestibulum, von drei Seiten von dem ersten so eben beschriebenen
Narthex eingeschlossen, führt gerade in das Schiff der Kirche, von dem es durch eine starke Mauer, in
der sich drei Thüren von grossen Dimensionen befinden, getrennt ist. Diese zweite Halle wird von der
ersten durch zwei, unten durch Brüstungen verschlossene Arkaden erhellt, die zwischen den Säulen sich
öffnen, und steht mit derselben durch eine breite Thür, die sich in der Axe des Gebäudes befindet, in Verbindung.

Nach dem Brauch griechischer Christen sind die drei Schiffe der Kirche in ein Quadrat eingeschrieben,
in dessen Mitte vier starke Säulen in gleichen Abständen von einander aufgestellt sind, die die Gewölbe
und die grosse Kuppel tragen. Das um vieles breitere Hauptschiff als die beiden Nebenschiffe wird durch
zwei starke Pfeiler begränzt, die den Anfang des Sanctuariums bestimmen, das ebenfalls viereckig beginnt
und sich gegen Osten mit einer .halbkreisrunden Apsis schliesst; die drei Fenster dieser Apsis sind von
einander durch Pfeiler mit damit verbundenen Halb - Säulchen getrennt. Zwei Thüren führen von dem
Sanctuarium in die Sacristeien, die sich an den Enden der beiden Seitenschiffe befinden.

Ein zweiter Porticus scheint sich an der ganzen Südseite der Kirche hingezogen zu haben; er wird
durch einen späteren Einbau getheilt und bildet jetzt zwei geschiedene Theile, erstlich ein mit Säulen
decorirtes Entree, das zum südlichen Seitenschiff führt, und zweitens eine kleine, gegen Osten mit einer
Apsis geschlossene Kapelle, in welche man von dieser Seite her gelangt.

Die Facade der Theotokoskirche ist sehr regelmässig; ein Unterbau erhebt den Boden des Narthex
zum Niveau desjenigen der Kirche. Man gelangt zum Haupteingang durch eine doppelte Freitreppe, unter
der ein Halbkreisbogen in Ziegeln eingewölbt ist. Ein wenig vorspringender Vorbau enthält die Thür, die
im Rundbogen geschlossen ist; eine zweite höhere Arkade umschliesst die kleinere der Thür, und
lasst zwischen ihrem Bogen und dem oben horizontal abgeglichenen der Thüre ein halbkreisförmiges Fenster
entstehen, das in der Mitte durch einen viereckigen Pfeiler in zwei Theile getheilt wird und den Narthex

) va.Q&'rfe bezeichnet eigentlich den hohlen Rohrstab; nach Hesiodus brachte Prometheus in einem hohlen Narthexstabe,
sv xoikm vaQ&rjXt,, das himmlische Feuer zur Erde herab. Aus welchem Grunde nun die Vorhallen der Kirchen Nartheken
genannt wurden, ist unbekannt. Kremer meint in seinen Cölni s chen D om briefen (pag. 30), man habe mit diesem Worte
'n der Baukunst alles Viereckige bezeichnet, was länger ist als breit, und da die Vorhallen der alten christlichen Kirchen
iy> m un(^ v»ereckig gewesen seien, so habe man sie Nartheken genannt. Man könnte auch an die etwa mit Stäben ver-
?'. erJen Eingangs-Thiiren zur Kirche ein Narthex denken, damit die Büssenden, die nur an diesem Orte dem Gottesdienst
Hcir "e" <'ur^ten) zwar mit dem Gesicht, aber nicht mit dem Gehör von demselben ausgeschlossen wären. Wahrschein-
voro.r lst es aber, dass dem Worte Narthex noch andere Beziehungen auf das, was in der Vorhalle der alten Kirche
.... w ö n°ttimen wurde, zu Grunde liegen, die bis jetzt noch nicht aufgeklärt sind. L. L.

•es aber annimmt, möchte denn doch die Parallele zwischen beiden Bauwerken zu weit treiben. L. L.

Denkmäler d,r Baal,,,,,,,. L Liefen]„g
 
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