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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 2): Denkmäler des Mittelalters, Erste bis fünfte Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3502#0211

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Befestigungen von Aigues-Mortes. Thor von Fevers.

Während des ganzen Mittelalters war der Kriegszustand fast der normale, der grösste Theil der Städte
musste daher befestigt sein und war es auch mehr oder weniger. Jetzt nun, wo die verschiedenen Pro-
vinzen, die einst Frankreich bildeten und eben so viele unterschiedene Nationalitäten bildeten, sich zu einem
einzigen durchaus gleichartigen Ganzen verschmolzen haben, ist die Existenz befestigter Städte nur noch
an den Gränzen eine nothwendige. Die Folge dieses Wechsels in den Verhältnissen ist die Zerstörung
des grössten Theils der alten Stadtmauern gewesen, die nunmehr ohne materiellen Nutzen waren. Ver-
geblich riefen sie, Zeuge heroischer Thaten, die das Land berühmt gemacht hatten, Erinnerungen zurück,
auf die die Einwohner hätten stolz sein müssen; sie wurden abgetragen um gemeine Speculationen zu be-
günstigen oder wenigstens doch um die einfältige Manie zu befriedigen, von der die kleinen Städte besessen
waren, nichts Altes zu respectiren um sich eine langweilige Promenade zu verschaffen, auf die die benach-
barte Unterpräfectur eifersüchtig sein konnte. Indessen giebt es doch, ungeachtet unzähliger Acte des
Vandalismus, wenige Städte von historischem Namen in Frankreich, die nicht einige Spuren ihrer alten
Befestigungen bewahrt hätten. Einige Städte haben diese sogar fast unberührt gelassen, wie Vitre, Avignon,
Carcassonne, Carpentras und Aigues-Mortes.

Die Stadt Aigues-Mortes verdankt ihren Ursprung einer Benedictiner-Abtei Namens Psahnodi, die nach-
dem sie durch die Sarazenen um das Jahr 725 zerstört worden durch Carl den Grossen im Jahre 788 wieder
erbaut wurde. In der Nähe dieser x\btei befand sich der Thurm Metaiere, um den und unter dessen Schutz
sich einige Häuser erhoben, die später einen Burgflecken bildeten, der seinen Namen von den stagnirenden
Gewässern erhielt, in deren Mitte er sich angebaut hatte. Am 25. August des Jahres 1248 schiffte Ludwig
der Fromme von hier aus mit einer zahlreichen Flotte nach Palästina, nachdem er die Mönche von Psalmodi
unter seine Botmässigkeit gebracht und den Hafen von Aigues-Mortes wieder hergestellt hatte. Eben so
schiffte er sich hier am 1. Juli des Jahres 1270 zu seiner Expedition nach Afrika ein, die für ihn einen
so unglücklichen Ausgang nahm. Ludwig der Fromme scheint eine Vorliebe für die Stadt Aigues-Mortes
gehabt und die Wichtigkeit ihrer Lage an der See gewürdigt zu haben, denn er ordnete noch sterbend an,
dass sie mit Mauern umgeben würde. Sein Nachfolger Philipp erfüllte diesen Wunsch; ihre merkwürdigen
Befestigungen, von denen wir einige in Skizzen unseren Lesern vorführen, datiren zum grössten Theil aus
dem Zeitraum von 1270 bis 1285.

Die Stadtmauer von Aigues-Mortes bildet ein rechtwinkliges Parallelogramm von 1705 Fuss Länge und
432 Fuss Breite (545 und 136 Metres) mit einer abgestumpften Ecke, an der sich der Donjon befindet. Die
aus grossen Quadern erbauten Mauern erheben sich bis zu 30 bis 37 Fuss Höhe; sie werden in gewissen
Zwischenräumen von Thürmen, einfachen oder doppelten, unterbrochen, deren es fünfzehn giebt, von denen
einige allein als Thore dienten, andere ohne Zweifel zur wohnlichen Aufnahme der Besatzung eingerichtet
waren. Die Thürme sowohl wie die sie verbindenden Mauern waren mit Zinnen gekrönt. Hier und da
bemerkt man an ihnen einige auf Kragsteinen ruhende Vorbaue, die manchmal zu einem sehr prosaischen
Zweck dienten, was ihr Vorsprung über gewöhnlich mit Wasser angefüllten Gräben erklärt. Jetzt sind die
Gräben von Aigues-Mortes ausgefüllt, aber man kann noch erkennen, dass sie sehr breit waren.

An der Nordwestecke der Stadtmauern befindet sich das Schloss und der sogenannte Constanzthurm
(tour de Constance), der den Donjon des Platzes abgiebt und den man deshalb mit ganz besonderer Sorg-
falt befestigt hat. Er ist von einer Mauer umgeben, die kreisrund wie er selber ist und die ihn isolirt;
seine Mauer hat eine Dicke von 8}s Fuss, seine Höhe beträgt 90 Fuss, sein Durchmesser 67 Fuss (28,50 und
21,10 Metres). Man gelangt in ihn durch zwei Thüren, deren schwere Flügel ganz mit Eisen beschlagen
sind. Er hat im Innern zwei gewölbte Stockwerke, die nur durch Schiessscharten und durch eine kreis-
runde Oeffnung in der Mitte des Gewölbes erleuchtet werden. Eine in der Mauerdicke ausgesparte Treppe
führt in das obere Stockwerk und auf die Plateform des Thurmes. Diese Plateform ist mit einer Zinnen-
brüstung versehen und diente nicht allein die Streiter bei der Verteidigung aufzunehmen, sondern war
auch so angelegt, dass sie das Regenwasser zu einer Cisterne leitete, die ebenfalls in der Dicke der Mauer
des Thurmes ausgespart war. Diese Cisterne so wie der in der oberen Etage befindliche Backofen beweist
uns, dass dieser Constanzthurm zur letzten Zuflucht der Besatzung diente. In ihm konnte sie sich noch
eine Zeit lang halten, sobald es ihr nicht an Lebensmitteln fehlte, wenn auch der Feind schon im Besitz
aller übrigen Werke war. Ueber der Plateform erhebt sich ein Thürmchen von 36 Fuss Höhe das zu der
Art gehörte, die man guettes oder cschauguettes (Wartthürme) nannte, weil sie zur Beobachtung der Um-
gegend dienten. Man sagt, dass dieser immer mit einem Leuchtfeuer versehen gewesen sei, was ihn um
so merkwürdiger machen würde, da er vielleicht das einzige Beispiel einer solchen Bauanlage wäre, das
noch aus alter Zeit in Frankreich existirt.
Denkmäler der Baukunst. CXXXXII. Lieferung.
 
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