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Gailhabaud, Jules; Kugler, Franz [Hrsg.]
Jules Gailhabaud's Denkmäler der Baukunst (Band 2): Denkmäler des Mittelalters, Erste bis fünfte Abtheilung — 1852

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https://doi.org/10.11588/diglit.3502#0172

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Kirchen zu Royat uM Clermont.

Die Kirche zu Royat.

Oft schon haben wir uns die Frage vorgelegt, warum doch die Künstler, die sich mit dem Studium
der Baualterthümer beschäftigen, zu diesem Zwecke ausschliesslich nur die grossen Städte besuchen, da
doch oft die Kirche eines bescheidenen Dorfes originelle Anordnungen, merkenswerthe Eigenthümlichkeiten
des Styls und nicht gewöhnliche Details darbietet, die allgemein verbreitete Ansichten, die eine Art Gesetzes-
kraft haben, wenn nicht gänzlich umzustossen doch mindestens zu berichtigen vermögen. Die im
Befestigungsstyl des Mittelalters erbaute Kirche des Dorfes Royat gehört zu dieser Zahl und kann als
eines der eigenthümlichsten Bauwerke Frankreichs mit Recht genannt werden. Nicht als ob Frankreich
nicht noch eine gute Zahl von Ueberresten der feudalen Macht des mittelalterlichen Clerus besässe; denn
es ist bekannt, dass befestigte Ringmauern den grössten Theil der Abteien und Priorieen gegen die
Ueberfälle räuberischer Barone und gegen Aufstände der Unterthanen schützten, oder auch wohl den
Streifzügen kriegerischer Mönche einen Stützpunkt gewährten; solchen Klosterbefestigungen begegnet man
auf jedem Schritte in allen Provinzen Frankreichs, aber vielleicht nur mit Ausnahme der Kirche von
Redon in der Bretagne kennen wir kein zweites Beispiel einer befestigten Kirche in Frankreich; denn
Kirchen mit blossen Zinnenkrönungen, die bei fast gewöhnlichen architectonischen Anordnungen durch
diese Zuthat der Befestigungsbaukunst nichts von ihrem Character einer christlichen Kirche eingebüsst
haben, können wir nicht dazu rechnen, während die Kirche von Royat, in ihrem Aeusseren wenigstens,
ganz das Aussehen einer kleinen gothischen Citadelle hat.

Eine viertel Meile (2 Kilometres) westlich von Clermont-Ferrand liegt das kleine Dorf Royat (Rubiacum)
im Grunde eines lachenden und fruchtbaren, von kahlen und dürren Höhen eingeschlossenen Thaies, das
wegen seiner malerischen Reize, mit seinen Wässern und Felsen, ja mit seinen Ruinen dem Tusculum der
römischen Campagne verglichen werden kann; so ist es denn auch das Tivoli Frankreichs von den Land-
schaftsmalern, die es fast allein besuchen, benannt worden.

Man nimmt an, dass die Kirche von Royat im VII Jahrhundert von dem heiligen Prix oder von dem
heiligen Projet, dem Bischof von Clermont, zugleich mit einem Nonnenkloster gegründet worden sei. Im
Jahre 1165 wurde sie zur Pfarrkirche und das Kloster zur Priorie erhoben unter Abhängigkeit der Abtei
Mauzac. Wie man wohl denken kann, gehört das gegenwärtige Gebäude nicht der frühen Zeit seiner
Gründung an; die Anordnung seines Planes, seine Constructionsweise und seine Ornamentation machen
es zu einem Bauwerk des romanischen Styles, d. b. zu einem, das dem Ende des XI und vielleicht der
ersten Hälfte des XII Jahrhunderts angehört; aber wichtige Veränderungen und Umbauten wurden mit
demselben in den folgenden Jahrhunderten und hauptsächlich im XIV mit ihm vorgenommen; in dieser
Zeit fand der Umbau des ganzen Oberbaues statt: der obere Theil sämmtlicher Mauern und die Gewölbe
wurden neu gebaut, und das Gebäude erhielt die auf Kragsteinen ruhenden Bögen, sogenannte Machicoulis,
die die Kirche zu einer Feste machten. Alan kennt nicht specieller die Gründe und historischen Anlässe,
die zu der Zuthat eben so characteristischer wie vollständiger Vertheidigungsconstructionen bewogen
haben, die wenig conform sind mit dem, was wir sonst von Klosterbefestigungen kennen. Trotz der
Grösse und Güte der bei dieser Kirche verwendeten Bausteine befindet sich doch dieselbe heute in einem
traurigen Zustande des Verfalls, der noch zunehmen wird, wenn nicht die französische Regierung sich zu
einer kräftigeren Erhaltung des Gebäudes als bisher entschliesst, da die Mittel des Dorfes Royat sehr
beschränkte sind und andererseits auch noch durch die Reparatur der Schäden, die die von Zeit zu Zeit
eintretenden Überschwemmungen des Ortes nöthig machen, in Anspruch genommen werden.

Der Grundriss der Kirche von Royat bildet ein lateinisches Kreuz; das stark vorspringende Querschiff
trennt Schiff und Chor; letzteres ist viereckig geschlossen und hat keine Apsis. Unter Chor und einem
Theile des Querschiffs breitet sich eine Krypta aus, die wie der untere Theil der Kirche aus dem XI Jahr-
hundert datirt. Aus dem Boden der Krypta sprudelt eine kleine Quelle auf. Diese Krypta wird durch
zwei Reihen Säulen, jede von fünf an Zahl, in drei kleine parallele Schiffe getheilt; die Capitelle dieser
Säulen sind entweder einfach ausgebaucht oder mit grob sculpirten Blättern versehen, und haben eine
Höhe von 7| rheinl. Fuss (2 M. 35) mit Inbegriff der Basis und des Capitells bei einem Durchmesser
von 13J Zoll (35 CO; sie stützen die Kreuzgewölbe der Decke. Uebrigens kann man nichts Einfacheres
und Nackteres als die Architectur dieser unterirdischen Kirche sehen, in der sich jedoch noch einige
schwache Spuren des Einflusses bemerken lassen, den die byzantinische Baukunst in diesem Theile
Frankreichs ausgeübt hat. Der Styl der Verzierungen in der Ober- und in der Unterkirche scheint uns
das Alter zu rechtfertigen, das wir oben den ältesten Theilen dieses merkwürdigen Gebäudes angewiesen

Denkmäler der Baukunst. CXLVI. Lieferung.
 
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